Milchstraße an der Saarschleife

Vermutlich entstehen wohl die meisten Fotos bei Hobbyfotografen in Regionen fernab der Heimat, auf Reisen oder im Urlaub. Um Eindrücke festzuhalten, die man so vermeintlich nie mehr oder zumindest nicht so schnell wieder real erleben kann. Die Landschaften und Bilder, die man tagtäglich vor Augen hat, werden dabei gerne vernachlässigt. Daher habe ich mir vor einiger Zeit das Ziel gesetzt, meine Heimat, das Saarland, mit seinen schönsten Orten und Landschaften fotografisch zu dokumentieren.

Ein zentrales Fotoprojekt, das mir schon seit langer Zeit vorschwebt, ist es, eine typische saarländische Landschaft nachts unter einem klaren Sternenhimmel mit Blick auf die Milchstraße zu fotografieren. Ein schwieriges Unterfangen, denn bekanntlich ist Deutschland auch bei optimalen Wetterverhältnissen nicht gerade der beste Standort, um den Nachthimmel zu fotografieren. Aufgrund der dichten Besiedelung ist die Lichtverschmutzung an den meisten Orten so groß, dass auch das lichtstärkste Objektiv die Milchstraße nicht einfangen kann. Lange habe ich überlegt, welcher Ort im Saarland prinzipiell für dieses Vorhaben geeignet sein könnte. Und bin schließlich auf die Saarschleife gestoßen. Vermutlich kein anderes Motiv zieht mehr Touristen an als der markante Verlauf des Flusses, der dem Saarland seinen Namen gibt. Und glücklicherweise ist der etwas abgelegene Aussichtspunkt „Cloef“ mit seinen bewaldeten Flächen rundherum nachts auch einer der dunkelsten Orte in der Region.

Die Milchstraße im Saarland

Dennoch sind die Möglichkeiten eingeschränkt, die Saarschleife gemeinsam mit der Milchstraße zu fotografieren. Der Blick Richtung Südosten erlaubt es nur in den Monaten Mai und Juni, und auch nur zu ganz bestimmten Uhrzeiten, die Milchstraße überhaupt im Blickfeld zu haben. Eigentlich die falsche Jahreszeit, denn die beste Aussicht auf die Milchstraße bietet sich eher im Spätsommer. Dann steht sie allerdings für ein Foto mit der Saarschleife schon zu weit im Süden. Möglichst klare und trockene Luft ist eine weitere wichtige Voraussetzung. Und richtig dunkel muss es natürlich auch noch sein, was gerade im Juni nur während weniger Stunden in der Nacht der Fall ist. Eine weitere störende natürliche Lichtquelle ist unter Umständen zusätzlich unser Erdtrabant. Daher sollte im besten Fall entweder Neumond herrschen oder der Mond noch nicht aufgegangen sein.

Es versteht sich, dass die Chance äußerst gering ist, einen solchen Tag zu erwischen, bei dem alle genannten Voraussetzungen erfüllt sind. In den beiden letzten Jahren hat sich die Gelegenheit nicht ergeben, sodass ich 2015 einen neuen Anlauf starte. Durch den Mondzyklus ergeben sich zwei potentielle Fenster Mitte Mai und Mitte Juni. Beinahe wäre die Rechnung bereits im Mai aufgegangen, doch einige aufziehende Schleierwolken am späten Abend machen mir erneut einen Strich durch die Rechnung. Mitte Juni ergibt sich dann die vermeintlich bereits letzte Chance für das laufende Jahr. Es ist Donnerstag, der 11. Juni, ein warmer, aber noch recht trockener Sommertag. Für die folgenden Tage werden schwülwarme Bedingungen mit Gewittern am Abend erwartet. Den Prognosen nach wird die Wetterlage längere Zeit anhalten, sodass sich der 11. Juni als höchstwahrscheinlich letzte echte Gelegenheit im laufenden Jahr herauskristallisiert.

Seltene Gelegenheit

Fest entschlossen, das Abenteuer heute anzugehen, beobachte ich das Wetter und das Wolkenradar schon den ganzen Tag. Es zeichnet sich ab, dass die noch vorhandene Schleierbewölkung zum Abend hin verschwindet und eine klare Nacht bevorsteht. Dennoch bleiben Restzweifel, dass die warme und damit tendenziell feuchtere Luft den Blick auf den Nachthimmel doch einschränken könnte. Gegen 23 Uhr – die Fotoausrüstung ist längst parat gelegt – schaue ich nochmal aus dem Fenster, um eine definitive Entscheidung zu treffen. Ja, die ersten Sterne sind sichtbar, ich werde es probieren. Dieses Jahr wird sich vermutlich keine bessere Gelegenheit mehr ergeben.

Kurze Zeit später trete ich die etwa dreiviertelstündige Fahrt zur Cloef bei Orscholz an. Da ich bereits im vergangenen Oktober zum Sonnenaufgang zur Saarschleife gefahren bin, kenne ich die Strecke und die Gegebenheiten vor Ort gut, sodass ich auch im Dunkeln keine Orientierungsprobleme erwarte. Nur noch wenige andere Fahrzeuge treffe ich auf dem Weg ins nördliche Saarland an. In den Wohngegenden sind im Vorbeifahren die letzten laufenden Fernsehgeräte erkennbar, an den meisten Rastplätzen auf der Autobahn haben sich die Fernfahrer bereits in ihre Schlafgemächer zurückgezogen.

Ich liebe es, um diese Uhrzeit unterwegs zu sein, wenn die Welt langsam aber sicher zu schlafen beginnt. Ab jetzt scheint mir die Erde alleine zu gehören. Etwas unheimlich ist es dann aber doch, als ich gegen Mitternacht den Parkplatz an der Cloef erreiche. Keine Menschenseele ist zu sehen, das Laub raschelt im warmen Wind und die Sterne sind die einzige Lichtquelle nachdem meine Scheinwerfer erloschen sind. In der Ferne höre ich eine Eule rufen, während ich meine Ausrüstung schultere und die letzten Meter zu Fuß bewältige. Einige Minuten geht es mit eingeschalteter Taschenlampe durch den Wald, ehe er vor mir liegt, der wohl bekannteste Ort des Saarlandes.

Nacht an der Saarschleife

So wie heute habe ich ihn allerdings noch nie erlebt. Der sonst so gut und manchmal zu gut bevölkerte Aussichtsplatz führt ein einsames Schattendasein. Es ist gespenstig still. Auch der Wind ist inzwischen fast völlig eingeschlafen, sodass sich in der glatten Wasseroberfläche der rund hundert Meter unter mir liegenden Saar die Sterne spiegeln. Unter Zuhilfenahme der Taschenlampe baue ich meine Ausrüstung auf und richte die Kamera aus. Der Ausblick ist atemberaubend. Unter mir die langsam dahinfließende Saar, über mir der klare Nachthimmel und weit, ganz weit entfernt am Horizont, die Zivilisation.

Doch ganz so dunkel wie erhofft ist es zunächst leider nicht, denn am Horizont leuchten die entfernten Städte doch stärker als erwartet. Mit bloßem Auge ist die Milchstraße momentan noch nicht zu sehen, aber die dunkelste Zeit der Nacht liegt auch noch vor mir. So mache ich einige Testaufnahmen, um für die beste Zeit der Nacht gerüstet zu sein. Schließlich entscheide ich mich für eine Aufnahme im Hochformat, da wegen der Lichtverschmutzung am Horizont die Sterne wohl nur weiter oberhalb am Firmament gut zu sehen sein werden.

Die Milchstraße beginnt zu leuchten

Dann heißt es warten – warten darauf, dass auch der letzte Rest an natürlichem Licht im Nordwesten verschwindet und die Milchstraße am Himmel weiter hinauf steigt. Ich genieße den Blick auf die Saar unter mir und versuche am Firmament den einen oder anderen mir bekannten Himmelskörper auszumachen. Jetzt stellt es sich wieder ein, dieses Gefühl, die Welt für sich alleine zu haben, wie ich es schon so oft auf meinen Touren zu entlegenen Orten, exponierten Gipfeln und im ewigen Eis erlebt habe. Jenseits des letzten Postens irdischen Schaffens scheine ich dem All über mir ein Stück näher zu sein. Wohl nie war der Leitspruch des Saarland-Marketings treffender als in dieser Situation. „Großes entsteht immer im Kleinen“ – und in diesem Moment fühle ich mich gerade noch ein bisschen kleiner.

Plötzlich raschelt es neben mir im Gebüsch. Ungebetenen Besuch kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Aber selbst mit der Taschenlampe kann ich nichts Verdächtiges erkennen. Habe ich mich verhört? Vielleicht ist es auch nur der Wind. Trotzdem fühle ich mich irgendwie etwas unwohl, sodass ich mich wieder meiner Kamera widme, um mich etwas abzulenken. Inzwischen ist es halb ein Uhr nachts. Ohnehin Zeit, endlich mit dem Fotografieren zu beginnen.

Nun ist die Milchstraße bei genauem Hinsehen auch mit bloßem Auge erkennbar. Und tatsächlich, auch die Fotoaufnahmen erscheinen schon auf den ersten Blick brauchbar. Zwar leuchtet die Milchstraße nicht ganz so deutlich wie erhofft, aber sie ist durchaus sichtbar und die Lichter am Horizont fügen sich ebenfalls gut ins Bild ein. Ich experimentiere noch ein wenig mit den Belichtungseinstellungen und dem Blickwinkel. Doch eigentlich ist das Foto, auf das ich so lange gewartet habe, schon im Kasten. Vielleicht hätte der Himmel noch einen Tick klarer sein können. Aber für den ersten Versuch, die Saarschleife mit der Milchstraße abzulichten, bin ich mehr als zufrieden.

Milchstraße über der Saarschleife
Die Saarschleife und ein Teil der Milchstraße (16mm, f/2.8, 30s, ISO 3.200).

Milchstraße über dem Saarland
Aus einem anderen Blickwinkel (16mm, f/2.8, 30s, ISO 3.200).

Rückweg nach Hause

Ich überlege noch ein wenig, ob ich nicht noch etwas länger warten soll, in der Hoffnung, dass die Milchstraße noch etwas deutlicher in Erscheinung tritt. Doch inzwischen ist die Luft merklich abgekühlt, sodass die relative Luftfeuchtigkeit ansteigt und der Himmel wieder etwas diesiger wird. Gegen Viertel nach eins breche ich meine Zelte schließlich ab und mache mich auf den Weg zurück ans Auto. Wieder raschelt es neben mir und diesmal erkenne ich den Übeltäter. Ein kleiner Rotfuchs. Verängstigt schaut er mich an und verdrückt sich dann schnell wieder im Unterholz. Ich verdrücke mich ebenfalls. Gegen zwei Uhr treffe ich müde aber zufrieden wieder zu Hause ein.

3 Gedanken zu „Milchstraße an der Saarschleife“

  1. Kunst kommt von KÖNNEN!
    und Geduld, und Planung, und die Gunst der guten Stunde.
    Hier passt nun alles zusammen.
    Respekt, tolles Bild, und Danke für den Bericht „drumrum“..

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  2. Megaklasse geschrieben.
    Das Foto ist Atemberaubend. Mit der Lichtverschmutzung hätte ich nicht gedacht das man es doch so gut einfangen kann.

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    • Lieber Dirk,

      besten Dank! Ja, bei der Lichtverschmutzung in unseren Gefilden muss wirklich ansonsten alles zusammenpassen, damit man die Milchstraße so sehen kann. Ich habe in den letzten Jahren auch an verschiedenen anderen Orten im Saarland die Sterne fotografiert und es geht wirklich nur bei sehr klarer, kühler Luft gut. Auch wenn man sich von den Städten / Dörfern etwas weiter entfernt.

      Viele Grüße
      Felix

      Antworten

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