Wo steht eigentlich die älteste kuppelbare Sesselbahn der Alpen? Die Antwort auf diese Frage führt in den westlichen Teil des höchsten europäischen Gebirges. Genauer gesagt in die französischen Alpen, in das Département Haute-Savoie, nach La Clusaz. Denn hier rattert und rumpelt eine Zweiersesselbahn des französischen Herstellers Poma den Berg hinauf und hinunter. Kuppelbar natürlich, also mit Klemmen, die automatisch am Förderseil befestigt und in den Stationen wieder gelöst werden. Ein absolutes Unikat in der sonst doch recht modernen Welt der französischen Skigebiete und eine Anlage mit ebenso einmaliger Geschichte. Seit 1980 ist diese Sesselbahn in Betrieb. Also streng genommen zumindest, denn eigentlich gibt es sie schon seit 1973. Jedenfalls teilweise. Und darüber hinaus ist auch ein Teil von ihr an einem anderen Ort schon vor knapp 30 Jahren einem Brand zum Opfer gefallen. Wie das alles zusammenpasst? Dieser Beitrag soll Licht ins Dunkel dieser mysteriösen und einmaligen Seilbahn bringen.
Eine mysteriöse und einmalige Seilbahn
Eine kuppelbare Sesselbahn ist in den Alpen erstmalig im Jahr 1945 anzutreffen. Die legendären Seitwärtssesselbahnen des Schweizer Eisen- und Stahlkozerns Von Roll erobern in den Folgejahren die Welt. Ein Jahrzehnt später setzen sich dann aber immer mehr geschlossene Fahrzeuge zum Schutz der Fahrgäste vor Wind und Wetter durch. Diese Kleinkabinenumlaufbahnen finden fortan überall in den Alpen Verbreitung.
Doch sie haben einen gewichtigen Nachteil. Die Fahrgäste müssen die Ski während der Fahrt abschnallen. Sesselbahnen sind hier Vorreiter. In Skigebieten werden sie mit fest am Förderseil angebrachten Fahrzeugen häufig eingesetzt. Doch die langsame Fahrgeschwindigkeit gepaart mit einer moderaten Förderleistung steht den vermeintlichen Vorteilen gegenüber.
Auch der Sessel schlüpfte aus dem Ei
Der französische Seilbahnhersteller Poma kommt zu Beginn der 70er Jahre als erster auf die Idee, die Vorteile beider Systeme zu kombinieren. Seines Zeichens selbst Erfinder der ersten vollautomatischen Kabinenbahn mit hoher Förderleistung, hängt Poma statt vierplätzigen Eiergondeln einfach offene Zweiersessel ans Seil. Salopp gesprochen schneidet er die Eier einfach in der Mitte durch. Denn die Sessel sind letztlich nichts anderes als eine Kabinenhälfte ohne Scheiben. Ebenfalls halbieren kann Poma die Zahl der Klemmen je Fahrzeug. Für vierplätzige Kabinen kommt seinerzeit vorschriftsgemäss eine Doppelklemme zum Einsatz, bei zwei Personen reicht eine einzelne. So setzt Poma auch bei seinen kuppelbaren Sesselbahnen auf die von der Firma Sacmi entwickelte Klemme mit der kurzen Bezeichnung „S“ – aber in einfacher Ausführung. Bereits 1972 nehmen die ersten beiden solchen Anlagen in Pralognan-la-Vanoise und Saint-Lary den Betrieb auf, im Jahr darauf folgt in Saint-Jean-d’Aulps gar die erste kuppelbare Sesselbahn mit Wetterschutzhauben.
Die Stationen unterscheiden sich in technischer Hinsicht kaum von denen der verwandten Eiergondelbahnen. Schräge Ebenen werden zur Beschleunigung und Verzögerung der Fahrzeuge genutzt, diverse Fördereinrichtungen für den verlangsamten Transport im Stationsumlauf. Die Ähnlichkeit wird auch dadurch unterstrichen, dass Poma im Laufe der Jahre mehrere kuppelbare Sesselbahnen nachträglich in Kabinenbahnen transformiert. Ein solcher Umbau erfolgt 1979 bei einer gewissen Anlage in Le Grand-Bornand. Die Sesselbahn Joyère wird nur sechs Jahre nach ihrer Eröffnung in eine Kabinenbahn umgewandelt. Die meisten Bestandteile können weiterverwendet werden, doch allen voran die Sessel und Einzelklemmen scheinen für das Alteisen bestimmt.
Die Sesselbahn Combe des Juments in La Clusaz
Wenn sich da mit La Clusaz nicht ein dankbarer Abnehmer finden würde. Der weltbekannte Skiort, in dem schon in den 30er Jahren die ersten Aufstiegshilfen entstehen, ist ohnehin auf der Suche nach einer Möglichkeit, die lange fix geklemmte Sesselbahn Combe des Juments durch ein schnelleres Exemplar zu ersetzen. Die Anlage ist eine wichtige Verbindung zwischen den Skigebietsteilen Aiguille und Étale und daher stark frequentiert. So übernimmt man kurzerhand die übrig gebliebenen Teile aus Le Grand-Bornand und beauftragt Poma mit dem Bau einer kuppelbaren Zweiersesselbahn. Der Hersteller greift auf die Pläne aus den frühen 70er Jahren zurück und erstellt eine Anlage, die in den meisten Punkten exakt dem Original entspricht. Einzig die Stützen und die Abspannung des Förderseils in der Talstation weichen vom Vorbild ab. Dieses ist als Kabinenbahn noch bis ins Jahr 1993 in Betrieb, ehe ein Kurzschluss dafür sorgt, dass die Talstation niederbrennt und auch das Förderseil reisst.
Die Sesselbahn Combe des Juments befördert dagegen auch über vier Jahrzehnte nach ihrer Eröffnung noch immer sicher ihre Fahrgäste über die knapp 1,6 Kilometer lange und mit 621 Höhenmetern steile Strecke. Sie ist heute die einzige verbliebene Sesselbahn der Alpen, die noch Kuppelklemmen für Einseilumlaufbahnen der ersten Generation besitzt und hat ihrerseits auch all die Folgemodelle überlebt, die Poma noch in den 70ern auf den Markt bringt. Mit der legendären Sacmi-Klemme entstehen ab 1974 auch einige kuppelbare Dreiersesselbahnen – der Prototyp notabene ebenfalls in La Clusaz. Und so ist die Sesselbahn Combe des Juments aus technischer wie historischer Sicht ein absolut fahrenswerter Oldtimer. Dass sie noch lange in Betrieb sein wird, muss aufgrund ihrer strategisch wichtigen Lage im Skigebiet allerdings leider bezweifelt werden.
Auch interessant ...
Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.