Frei wie ein Vogel über Lake Tekapo und Südalpen

Schon wieder ein Sonnenaufgang, das bedeutet schon wieder ein frühes Aufstehen und eine kurze Nacht. Dafür ist es aber immerhin nicht so kalt wie am Tag zuvor im Hooker Valley, sodass ich im wahrsten Sinne des Wortes ganz unverfroren als erster auf dem Campingplatz den Weg an die frische Morgenluft antrete. Wie ich dann feststellen muss, bin ich noch viel zu früh, denn die Sonne erreicht zwar schon den Mount Cook, der Lake Pukaki im Vordergrund liegt aber noch gänzlich im Schatten. Daher ziehe ich es vor, erst einmal zu frühstücken und noch einmal die wahrscheinlich dreckigste Toilette meines gesamten Neuseelandaufenthalts bislang aufzusuchen, ehe ich mit dem Fotografieren beginnen kann.

Sonnenaufgang am Lake Pukaki

Im Gegensatz zum gestrigen Abend ist das Spektakel heute Morgen leider weitaus weniger packend. Die Sonne taucht erst hinter den umliegenden Hügeln auf, als das schönste Licht schon wieder verschwunden ist. So entstehen zwar einige nette Aufnahmen von der angeleuchteten Ostflanke des Mount Cook und seinen umliegenden Untertanen, doch das habe ich mir anders erhofft. Aber gut, inzwischen liegt die Messlatte für schöne Sonnenaufgänge ja auch schon ziemlich hoch.

Sonnenaufgang am Lake Pukaki mit Blick auf den Aroaki / Mount Cook

So breche ich schließlich vom Seeufer des Lake Pukaki auf, um gleich den nächsten und letzten großen See meiner Neuseelandreise anzusteuern, den Lake Tekapo. Dieser ist noch ein wenig größer als der Lake Pukaki und liegt in vergleichbarer Umgebung mit Hügeln am West- und Ostufer sowie den hohen Bergen im Norden, wo sich ganz zuhinterst auch der letzte Rest jenes Gletschers befindet, der einst diesen See geformt hat. Weit ist die Reise nicht, weswegen ich mir unterwegs etwas Zeit lasse, um den immer kleiner am Horizont werdenden Mount Cook noch einige Male mit unterschiedlichen Vordergründen abzulichten.

Hochzeit am Ufer des Lake Tekapo

Bei meiner Ankunft am Lake Tekapo biege ich auf den erstbesten Parkplatz am Ortseingang ab. Dort lege ich eine kurze Pause ein, beantworte ein paar E-Mails und verschaffe mir einen ersten Überblick des kleinen Ortes am Südufer des Sees. Anschließend breche ich zu einem kleinen Spaziergang entlang des Seeufers auf. Im Gegensatz zu Wanaka gibt es hier zwar auch einen gut ausgebauten Fußweg, das Ufer wird aber in wesentlich geringerem Umfang touristisch genutzt und kommt daher deutlich natürlicher daher. Prächtige Herbstfarben bieten sich mir wieder einmal bei den zahlreichen Bäumen, die zum Fotografieren und Filmen einladen. Gleich nebenan findet gerade ein Fotoshooting von einem Brautpaar statt. Da könnte ich mir definitiv auch schlimmere Orte vorstellen um zu heiraten!

Herbstfarben am Ufer des Lake Tekapo

Vor meiner Mittagspause muss ich meine Vorräte noch einmal auffüllen, sodass ich dem örtlichen Supermarkt einen Besuch abstatte. Im Gegensatz zu den Märkten, in denen ich bislang eingekauft habe, ist der Dorfladen von Tekapo deutlich kleiner. Die Kette, zu der er gehört, ist vor allem in den ländlicheren Bereichen der Südinsel anzutreffen. Das Sortiment ist daher nicht so groß wie bei den Discountern, die Wege zwischen den Regalen sind so eng, dass man kaum aneinander vorbeikommt, aber letztlich finde ich doch alles, was ich brauche. Darunter auch endlich wieder einmal unglaublich günstigen frischen Fisch, den ich mir heute Abend zubereiten will.

Folgenschwere Begegnung beim Einkauf

Auf dem Weg zurück zum Auto komme ich an einem Laden vorbei, den ich aus Sicht meines Geldbeutels wohl besser übersehen hätte. Aber die Werbung an der Fensterscheibe ist einfach zu verlockend. Ein Rundflug über die Südalpen zur Westküste, um den Mount Cook herum und wieder zurück nach Tekapo in einer kleinen Propellermaschine? Das wäre natürlich schon die Krönung meines Aufenthalts hier. Gerade bei dem genialen Wetter heute!

Aber letztlich kann ich mich trotz der Tafel, auf der zu lesen ist, dass heute noch Plätze frei sind, nicht dazu überwinden, die 360 NZD auszugeben. Da brauche ich erst einmal etwas Bedenkzeit, die ich während meiner Mittagspause habe. Die Gelegenheit wird sich so schnell sicher nicht mehr bieten. Gerade bei solch idealen Bedingungen wie heute. Andererseits habe ich die Südalpen nun schon aus ziemlich allen Richtungen gesehen und fotografiert, nur halt nicht aus der Luft.

Aber ist das wirklich so ein völlig anderes Erlebnis, dass es den Preis rechtfertigt? Irgendwie bin ich hin und her gerissen und genieße erst einmal das erste wirklich hervorragende Brot seit meinem Aufbruch vor eineinhalb Monaten. Ach, wie habe ich das vermisst. Brot, das man auch einfach pur essen kann, ohne dass einem langweilig wird oder man sich dumm und dämlich kaut. Hätte ich diese Dorfläden doch nur schon früher aufgesucht und nicht erst am Ende meiner Neuseeland-Reise!

Flug ja oder nein?

Nach dem Mittagessen muss ich eine Entscheidung fällen. Flug ja oder nein, respektive muss ich zunächst einmal schauen, ob jetzt überhaupt noch ein Platz frei ist. Daher fahre ich nochmals zu dem Geschäft, um mich zu erkundigen. Dort angelangt ist die Tür zwar offen, das Büro aber nicht besetzt. Man soll entweder telefonisch buchen oder direkt beim Flughafen von Tekapo vorbeifahren, der etwa zwei Kilometer außerhalb liegt. Da ich ohnehin in diese Richtung fahren muss, um zu meinem angepeilten Campingplatz zu gelangen, statte ich dem Flughafen einen Besuch ab. „Flughafen“ ist ein wenig übertrieben, denn auf der einzigen kurzen Start- und Landebahn können lediglich kleine Propellermaschinen landen. Eben solche, mit denen die Fluggesellschaft ihre Rundflüge bestreitet.

Am Flughafenterminal angelangt werde ich erst einmal vom Andrang überrascht, der einer Gruppe australischer Senioren geschuldet ist, die hier kurz vor dem Start ihres Rundflugs zu stehen scheinen. Ein netter Herr kommt auf mich zu und fragt mich, wie er mir denn weiterhelfen könne. Tja, viel Auswahl gibt es ja nicht. Ob denn heute noch ein Flug geht, möchte ich wissen. Es starten noch ein paar Maschinen, aber ob noch Platz ist, ist er sich zunächst nicht sicher.

Nach einer Rückfrage kann er mir dann aber doch tatsächlich noch genau einen Platz anbieten, nämlich zusammen mit der schon anwesenden Reisegruppe, die sich auf zwei der kleinen Flugzeuge verteilt. In einem der beiden Flieger ist noch ein Sitz vakant. Also entweder jetzt oder nie! Oder zumindest nicht mehr heute, und morgen ist aufgrund des Windes und der voraussichtlich etwas zahlreicheren Wolken nicht mit ähnlich guten Bedingungen zu rechnen. Nachdem mich der Pilot schon mit Handschlag begrüßt hat, kann ich jetzt sowieso nicht mehr nein sagen und bezahle mit etwas Bauchweh den Preis für den Flug.

Viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht

Viel Zeit zum Nachdenken bleibt mir ohnehin nicht, denn der Flug startet genau jetzt. Also noch schnell die Sonnenbrille aus dem Auto geholt, den Rucksack abgegeben, die Kamera startklar gemacht und schon stehe ich gemeinsam mit den anderen Fluggästen auf dem Rollfeld. Andy, unser Pilot, weist mich gleich an, auf dem rechten Vordersitz Platz zu nehmen. Oha, mit dieser Ehre habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Die etwas neidischen Blicke der Senioren aus Australien, die auf den hinteren Sitzen Platz nehmen, entgehen mir zwar nicht. Aber hey, der Pilot ist hier der Chef. Kann ich auch nichts dafür! Und so finde ich mich plötzlich mit Ausblick auf jede Menge Armaturen, einen Steuerknüppel und den zentralen Propeller der Maschine mit acht Sitzplätzen wieder. Ich glaube, das hat sich jetzt schon gelohnt!

Es dauert nicht lange, da rollt unser Flugzeug schon in Richtung Startbahn. Und als „Kopilot“ habe ich im Gegensatz zu den anderen Fluggästen mit ihren Kopfhörern für den Kommentar des Piloten auch ein vollständiges Headset, mit dem ich die gesamte Kommunikation zwischen Pilot, den anderen Flugzeugen und Tower hören kann.

Das kleine Flugzeug der Air Safaris

Hoch über dem McKenzie Country

Nach der Startfreigabe schweben wir auch schon kurze Zeit später über das hier nahezu ebene Mackenzie Country hinweg und nehmen in der Folge Kurs Richtung Norden. Unter uns liegt der aus der Luft noch blauer schimmernde Lake Tekapo mit dem Ufer, an dem ich vor einer Stunde noch stand und meine Mittagspause machte und in der Ferne sind die ersten vergletscherten Berge der Southern Alps bereits sichtbar. Was für ein Erlebnis!

Tekapo Island aus luftiger Höhe

Das Godley Valley mit Seen und Gletschern

Godley River aus der Vogelperspektive

Unser Pilot weiß nahezu an jeder Stelle des Fluges etwas Interessantes zu berichten. Hier eine Farm, die bei Hochwasser nur über die hauseigene Landebahn erreichbar ist, dort ein kleines Skigebiet, linker Hand ein See, rechts die markanten vom ehemaligen Tekapo-Gletscher geformten Gesteinsmassen. Immer wieder lässt er uns wissen, dass wir den mit Abstand besten Tag seit langer Zeit erwischt haben, um einen solchen Flug zu erleben. Das habe ich jetzt am Franz Josef Glacier, am Fox Glacier, in Wanaka, am Milford Sound und am Lake Pukaki auch schon gehört. Entweder flunkern hier alle ein bisschen oder ich habe einfach nur unglaubliches Glück mit dem Wetter. Wahrscheinlich ist tatsächlich letzteres der Fall!

Die Gletscher zum Greifen nah

Es dauert nicht allzu lange, bis wir den Lake Tekapo hinter uns lassen und die ersten Gletscher vor unseren Augen erscheinen. Der erste ist der Godley-Gletscher, der letzte Überrest jenes Gletschers, der einst bis zum heutigen Ort Lake Tekapo reichte.

16 Kilometer Länge misst der folgende Gletscher im nächsten Tal, der Murchison-Gletscher, der zweitlängste seiner Art in Neuseeland. Wir überqueren ihn in recht geringer Höhe, wodurch die bedrohlich wirkenden Gletscherspalten zum Greifen nah sind. Die hohen umliegenden Berge sorgen dafür, dass sich die Luft etwas unregelmäßig verteilt, weswegen unsere kleine Maschine ein wenig ins Schaukeln gerät, als wir die Southern Alps über dem Firnfeld des Tasman-Gletschers überqueren.

Die Gletscherwelt der Südalpen aus der Luft

Gletscher der Südalpen aus der Luft

Noch einmal ein Blick auf die Westküste

Vor uns liegen nun die regenreiche Westküste mit ihren Wäldern und dahinter die Tasmansee. Beide verstecken sich unter einer teils durchlässigen Wolkendecke. Hier oben, über den Wolken, ein gewaltiger Anblick. Schnell kommen der Franz Josef Glacier und der Fox Glacier in Sichtweite, wo ich weit unter uns auch einen der Helikopter ausmachen kann, die hier – notabene zum gleichen Preis wie für den kompletten Rundflug über die Alpen von Tekapo aus – Scharen an Touristen auf den Gletscher transportieren.

Gletscherplateau über der wolkenverhangenen Westküste

Nicht zu übersehen ist aber natürlich der König der neuseeländischen Alpen, der Aoraki, der hier wie ein Adler über alles wacht, was unter ihm liegt. Wir fliegen einmal um den Gipfel herum, und immer wieder kommen neue Perspektiven, neue Gletscher und neue Felsformationen ins Blickfeld. Nicht weniger schön, aber doch ein gutes Stück niedriger, der vergletscherte Gipfel des Mount Tasman, dem zweithöchsten Berg Neuseelands, der nordöstlich des Mount Cook liegt. Beide habe ich zum ersten Mal gesehen, als sie sich im Lake Matheson an der Westküste spiegelten – aber von hier oben sind die Anblicke noch einmal um einiges eindrücklicher. Zum ersten Mal kann ich in Neuseeland ein Panorama auf Gletscher und Berge unter mir genießen. So wie ich es aus „unseren“ Alpen dank der zahlreichen Seilbahnen eigentlich gewohnt bin.

Gletscher am Hochstetter Dome in den neuseeländischen Alpen

Der Tasman Glacier aus der Vogelperspektive

Vom Mount Cook zurück zum Lake Tekapo

Nach dem 360°-Flug um den Mount Cook setzen wir unsere Reise in Richtung Süden fort, wo unter uns mir wohlbekannte Täler auftauchen. Das Hooker Valley mit seinem See, auf dem gegenüberliegenden Hang die Mueller Hutt und das Mount Cook Village im Talgrund. Alles Orte, die ich erst gestern zu Fuß bestaunen konnte. Nur wenige Augenblicke später überqueren wir den Tasmangletscher und den gleichnamigen Gletschersee, auf dessen Ufer ich vorgestern blickte. Daneben der ewig lange Wanderweg zu Ball Hutt hinter der Gletschermoräne, die ich ebenfalls schon von nahem erkundet habe. In der Entfernung schimmert der Lake Pukaki, an dessen Ufer ich heute Morgen aufgewacht bin. Von hier oben wirkt die Welt so klein!

Das Hooker Valley und der Lake Pukaki im Hintergrund

Hooker Valley mit Hooker Lake und dem Mount Cook Village im Tal

Viel zu schnell nähert sich der knapp einstündige Flug seinem Ende, als wir nach dem Überqueren des Lake Alexandrina und des Mount-John-Observatoriums Kurs auf die Landebahn des Tekapo Air Field nehmen und wenige Minuten später dort sicher wieder die Erde erreichen. Ein Erlebnis, das jeden müden Dollar voll und ganz wert war – nicht nur das, von allen Erlebnissen in Neuseeland ist dieser Flug sicher das mit Abstand eindrucksvollste gewesen. Die Berge, die Gletscher, die Orte noch einmal zu sehen, die ich am Boden schon erkundet habe, all das wird diesen Flug für immer unvergesslich machen. Die beste Entscheidung der ganzen Reise, diesen Rundflug anzutreten. Und ja, ich komme auch jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, immer noch nicht aus dem Schwärmen heraus!

Lake Alexandrina aus der Luft

Noch einmal kann sich der Tag nicht übertreffen

Völlig platt von dem spontanen und ungeplanten Erlebnis komme ich wieder am Auto an, um gleich den Weg zum Campingplatz in Angriff zu nehmen. Den restlichen Nachmittag will ich nun ruhig angehen, denn noch einmal kann sich der Tag so oder so nicht mehr übertreffen. Nach einer Fahrt über rund zehn Kilometer vorbei am Fuße des Mount John und seinem Observatorium erreiche ich den Lake MacGregor, einen kleinen See unweit des Lake Tekapo. Er wird allerdings nicht von Gletscherwasser gespeist, wodurch er eine gänzlich andere Farbe besitzt. Nichtsdestotrotz sind die Ausblicke auch hier nicht zu verachten. Buntes Laub schmückt die zahlreichen Bäume am Rand des Sees an dessen Ufer direkt der Campingplatz gelegen ist. Wieder einmal eine ausgesprochen einfache Ausstattung. Eine Toilette, sonst nichts.

Übernachtung am Lake McGregor

Fünf Dollar kostet es trotzdem, aber dafür gibt es immerhin eine Mülltonne, diese findet man auf den DOC-Plätzen in der Regel nicht. Eine Dusche gibt es nicht, aber eine Nacht überlebe ich es auch noch ohne. Wobei ich eigentlich nicht sicher bin, ob ich hier nicht noch eine zweite Nacht verbringen soll. Der Holiday Park am Lake Tekapo, an dem ich morgen übernachten will, scheint mir sein Geld nicht wert zu sein. Die Stellplatzgebühr für eine Nacht ist schon überdurchschnittlich hoch, Duschen und WLAN kosten extra und die Einrichtungen sind zudem auch nicht gerade gut bewertet. Mal sehen, vielleicht schwimme ich einfach eine Runde im See. Das könnte allerdings eine ziemlich kalte Angelegenheit werden.

Da ich für das Abendessen heute mehr Zeit habe, kann ich ohne den üblichen Zeitdruck, vor Einbruch der Dunkelheit fertig zu sein, recht entspannt meinen Fisch zubereiten. Der Seeteufel, der in dem kleinen Dorfladen im Angebot war, schmeckt ausgezeichnet. Butterzarter Fisch, dazu eine Sahnesauce und Reis. Ein perfekter Ausklang eines Tages, der mir wohl noch lange Zeit in positiver Erinnerung bleiben wird.

Abenstimmung am Lake McGregor

Sonnenuntergang am Lake McGregor

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