Nebel, Nebel, immer noch Nebel. Fällt der Sonnenaufgang wieder ins Wasser? Von den umliegenden Bergen ist nichts zu sehen. Die Sichtweite beträgt keine 20 Meter. Einzig das Rauschen des Flusses tief unten in der Schlucht ist zu hören. Doch dann, plötzlich, Fetzen von blauem Himmel tauchen auf. Zwei Aussichtspunkte höher ist der Weg für die Sonne frei. Darunter bedeckt ein atemberaubendes Nebelmeer die Verdonschlucht. Oder Gorges du Verdon, wie sie in der Landessprache genannt wird. Mit bis zu 700 Metern tief eingeschnittenen, schmalen Tälern zählt die Schlucht zu den landschaftlich beeindruckendsten Canyons Europas.
Vom Col d’Allos entlang des Verdon nach Castellane
Der Name der Schlucht leitet sich von dem Fluss Verdon ab, der in der Nähe des Col d’Allos im Nationalpark Mercantour in den französischen Seealpen entspringt. In seinem weiteren Verlauf durchquert er mehrere künstlich aufgestaute Seen, die von Wasserkraftwerken genutzt werden. Der erste seiner Art ist der Lac de Castillon, der sich Saint-André-les-Alpes bis nach Saint-Julien-sur-Verdon erstreckt. Die vielen Segler und Boote auf dem See vermitteln einen ersten Eindruck von den nahezu unendlichen Freizeitmöglichkeiten, die die Region rund um den Verdon bietet.
Landschaftlich ist dieser Teil des Flussverlaufs bereits spannend, aber noch nicht wirklich als einmalig zu charakterisieren. Das ändert sich etwas flussabwärts in dem Städtchen Castellane. Der Verdon fließt hier durch ein tief eingeschnittenes Tal und unter einigen alten Steinbrücken durch Castellane hindurch. Die historische Altstadt mit ihren schmalen Gassen und vielen historischen Gebäuden ist auch für Durchreisende einen Stopp wert. Besonders imposant ist auch die Kirche Notre Dame du Roc, die knapp 200 Meter über der Stadt auf einem Kalksteinfelsen thront.
Castellane und der Eingang in die Gorges du Verdon
An dieser Stelle beginnt der erste Teil der Verdonschlucht. Dieser Teil mit der Bezeichnung „Prégorges“ („Vor-Schlucht“) lässt vermuten, dass der beeindruckendste Bereich des Canyons noch bevorsteht. Dem ist auch so, nichtsdestotrotz ist die Landschaft auch hier bereits atemberaubend. Insbesondere auch deshalb, da die Straße direkt am Verdon entlang durch die enge Schlucht führt. Auf beiden Seiten der Schlucht finden sich mehrere hundert Meter hohe, teils überhängende Felswände.
Der imposanteste und bekannteste Teil der Verdonschlucht beginnt an der Pont du Soleils. An dieser Brücke zweigt eine Seitenstraße ab, die über die Ortschaft Trigance einen Zugang zur Südseite der Verdonschlucht ermöglicht. Von der Soleils-Brücke an wird die Schlucht nämlich so schmal, dass kein Platz mehr für eine Straße ist. Auch auf der Nordseite steigt die Straße in der Folge spektakulär aus der Schlucht auf und erreicht nach vielen Serpentinen schließlich die Ortschaft La Palud-sur-Verdon.
La Palud-sur-Verdon und seine Route des Crêtes
La Palud-sur-Verdon ist nicht nur ein weiteres schön anzusehendes Bergdorf, sondern auch Ausgangspunkt für zahlreiche Aktivitäten. Sowohl einen Campingplatz als auch Unterkünfte für ausgedehnte Freizeitbeschäftigungen trifft man hier an. Keinesfalls entgehen lassen sollte man sich eine Fahrt über die sogenannte Route des Crêtes. Diese Ringstraße beginnt und endet in La Palud-sur-Verdon und führt zu mehreren sehr beeindruckenden Aussichtspunkten auf die Verdonschlucht. Eine komplette Umrundung auf der als D23 bezeichneten Strecke ist jedoch nur im Uhrzeigersinn möglich. Hierzu startet man über den Abzweig östlich von La Palud-sur-Verdon. Der Abschnitt zwischen dem höchstgelegenen Punkt und dem Chalet de la Maline im Westen kann aus Sicherheitsgründen nur in diese Richtung befahren werden. Der Rest der Strecke ist dagegen für zwei Spuren mit Gegenverkehr ausgelegt.
Ohnehin ist eine Fahrt in dieser Richtung aber empfehlenswert, da sukzessive immer schönere Aussichtspunkte angesteuert werden können. Der beste Ausblick bietet sich vom Belvédère de Dent de l’Air. Hier überblickt man nicht nur nahezu den kompletten Verlauf der mittleren Verdonschlucht. Auch die Fernsicht auf die umliegenden Alpenausläufer mit ihren kleinen Bergdörfern in der Entfernung ist sehenswert. Begleitet werden die Ausblicke stets durch das permanente Rauschen des rund 700 Meter tiefer gelegenen Verdon. Und wer Glück hat, den erwartet zum Sonnenaufgang womöglich auch ein beeindruckendes Nebelmeer über der Schlucht.
Wandern durch die Gorges du Verdon
Wer sich dagegen sportlich betätigen möchte, dem stehen eine Reihe von Möglichkeiten offen. Aktivitäten auf dem Wasser bieten sich mit Rafting und Segeltouren auf dem Stausee Lac de Saint-Croix am unteren Ende der Schlucht. Nicht entgehen lassen sollte man sich aber auf jeden Fall die lange Wanderung durch die Verdonschlucht über den Sentier Blanc-Martel.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.