Schon früh stehe ich an diesem Morgen auf. Noch liegt eine weite Strecke vor mir, bis er in Reichweite kommt, der Svartisen-Gletscher. Normalerweise hätte ich die Etappe in mehrere Teile aufgespalten. Schon gestern bin ich an einigen Dingen vorbeigefahren, die ich eigentlich gerne noch mitgenommen hätte. Aber nachdem es definitiv nur noch heute trocken sein soll und danach erst wieder Mitte nächster Woche muss ich den Svartisen-Gletscher noch heute erreichen. Ganz so lang wie gestern werde ich nicht mehr unterwegs sein, aber mit rund vier Stunden Fahrzeit muss ich dennoch rechnen. Auf den norwegischen Landstraßen kommt man mit den 80 km/h einfach nicht richtig vorwärts. Vor allem, wenn die Hälfte der Zeit die Geschwindigkeit nochmal zusätzlich herabgesetzt ist und die andere Hälfte irgendjemand vor einem langsamer fährt als erlaubt.
Neue Perspektiven auf dem Weg nach Nordland
Aber ich will nicht schon wieder meckern. Zum ersten Mal seit Tagen ergeben sich unterwegs dank der trockenen Witterung und einem endlich einmal nicht eintönig grauen, sondern kontrastreicheren Himmel einige Fotogelegenheiten. So halte ich auf dem Weg in Richtung Nordland auf einem Rastplatz an, der direkt an einem schönen Fluss liegt, an dem ich mich rund eine halbe Stunde aufhalte, um ein paar Langzeitbelichtungen zu machen. Im weiteren Verlauf fasziniert mich die völlig andere Landschaft verglichen mit den letzten Tagen in Fjordnorwegen. Die steilen Felswände und Wiesen sind hier den typisch skandinavischen Nadelbaumwäldern gewichen, durch die sich die E6 scheinbar endlos in Richtung Norden schlängelt.
In Mosjøen, dem größten Ort im norwegischen Nordland, der mich vor Narvik erwartet, will ich eigentlich noch schnell ein paar Einkäufe erledigen. Doch in Sachen Supermarkt werde ich nicht fündig. So muss ich mich noch bis Mo i Rana gedulden. Aber dort kann ich alles besorgen, was ich für die nächsten Tage benötige. Unterwegs wird für Bauarbeiten an der E6 wieder einmal Maut fällig. 29 Kronen in Summe. Gearbeitet wird an den Baustellen allerdings interessanterweise nirgendwo.
Von Mo i Rana zum Svartisen-Gletscher
Inzwischen ist es nach all den Zwischenstopps schon 13.30 Uhr, sodass es höchste Eisenbahn wird, wenn ich den Svartisen-Gletscher heute noch zu Gesicht bekommen möchte. Von der E6 biege ich kurz hinter Mo i Rana auf eine Seitenstraße ein, die mich noch einmal über rund 20 Kilometer bis zum Svartisen bringt. Gut, genau genommen nicht ganz bis zum Gletscher, sondern bis zu einem kleinen Kiosk samt Parkplatz, der an einem Gletschersee gelegen ist.
Die Straße dorthin ist in einem desaströsen Zustand, sodass ich kaum mit mehr als 40 km/h fahren kann, um wenigstens um die größten Schlaglöcher noch zirkulieren zu können. Die letzten beiden Kilometer sind dann nicht mehr asphaltiert und fahren sich daher um Längen besser. Mir ist schon in den letzten Tagen aufgefallen, dass in Norwegen abseits der Hauptstraßen die geschotterten Pisten weitaus besser zu fahren sind als die geteerten. Dann lässt man es doch am besten gleich bleiben mit dem Asphalt?
Als ich während meiner kurzen Mittagspause einen Blick auf die aktuelle Wetterprognose werfen will, muss ich feststellen, dass die Netzabdeckung nicht bis hierher in diese abgelegene Tal reicht. Damit muss ich auch meinen Plan für die Nacht überdenken. Eigentlich will ich hier auf dem Campingplatz übernachten. Nachdem ich dann aber auch noch feststelle, dass der Platz eigentlich nichts weiter als Stellplätze zu bieten hat (nicht einmal fließendes Wasser), muss ich mir so oder so eine Alternative suchen.
Mit dem Boot zum Gletscher
Ich marschiere zu dem erwähnten Kiosk, um mir dort ein Ticket für das über den See fahrende Boot zu besorgen. Im Gegensatz zum Nigardsbreen ist der See deutlich größer und der Weg entsprechend länger. Aufgrund der fortgeschrittenen Tageszeit entscheide ich mich daher für den Weg über das Wasser, der mich 170 NOK kostet. Aufgrund der angesprochenen Größe des Sees verkehrt das Boot nur zu festgelegten Abfahrtszeiten. In diesem Fall jeweils zur vollen Stunde am Parkplatz und zur halben Stunde auf der anderen Seeseite.
So muss ich mich noch ein wenig gedulden, bis ich die 15-Uhr-Fahrt nehmen kann. Dies ist bereits die vorletzte. Und ganz klar ist mir zunächst nicht, ob es eigentlich möglich ist, auch nach der rund zweistündigen Wanderung zum Gletscher und zurück noch möglich ist, ein Boot zurück zu nehmen oder ob man stattdessen am See entlang laufen muss. Da aber jede Menge kleine Kinder mit an Bord sind, gehe ich mal davon aus, dass wohl auch noch zu späterer Stunde ein Rücktransport möglich ist.
Von imposanten Wasserfällen und schroffem Gestein
Etwa 20 Minuten dauert die gemächliche Überfahrt bis unser nur spärlich besetztes Boot an der anderen Anlegestelle ankommt. Dort warten allerdings bereits Scharen an Personen auf den Rücktransport. Der Plan geht also mal wieder auf. Entweder man ist morgens der Erste oder nachmittags der Letzte, um dem Pulk aus dem Weg zu gehen. Schon vom See aus kann ich einen imposanten Wasserfall erkennen. Ein regelrechter Sturzbach, der vom Gletscher kommend den See speist. An diesem entlang steige ich auf und komme recht schnell voran. Der Weg lässt sich gut begehen, wenngleich im oberen Teil immer wieder einige steilere Absätze zu überwinden sind. Diese sind allerdings aus fotografischer Sicht wiederum interessant, bieten sich durch die schroffen, vom Gletschereis geformten Felsen doch interessante Muster und Strukturen.
Und dann liegt er nach rund 50 Minuten Marsch vor mir. Der Svartisen-Gletscher, oder um genau zu sein, ein kleiner Teilbereich dieses riesigen Gletscherplateaus. Auf der Westseite reicht es noch fast bis zum Meer hinab. Hier, auf der Ostseite, ist der zerklüftete Gletscher aber nicht weniger schön anzusehen. Rund 400 Meter vor dem Gletscher endet der offizielle Wanderweg allerdings. Daher belasse ich es bei einigen Aufnahmen aus der Ferne. Das Gletschereis von Nahem habe ich ja bereits am Nigardsbreen bestaunen können. Und den fand ich irgendwie auch etwas eindrücklicher.
Übernachtung am Røssvoll Camping
Gegen 17.00 Uhr erreiche ich um viele Fotoaufnahmen reicher wieder den Bootsanlegesteig, wo auch kurze Zeit später ein weiteres Mal das Boot eintrifft. Besonders bleibt mir definitiv der riesige Gletscherbach in Erinnerung, der über weite Strecken unterirdisch aus einem See abfließt, ehe er dann wiederum in den See mündet, über den ich nun mit dem Boot zurückfahre. Als ich gegen 18 Uhr wieder am Auto zurück bin, suche ich auf meiner App die Umgebung nach Campingplätzen ab. Einer sticht mir direkt ins Auge. Liegt er doch direkt an der Kreuzung, an der ich von der E6 auf die Straße zum Svartisen eingebogen bin.
Eine knappe halbe Stunde später stehe ich an der Rezeption des Røssvoll Camping und frage in dem etwas improvisiert wirkenden Gebäude nach einem Stellplatz. Eine Frau mit Säugling auf dem Arm kassiert einhändig 100 NOK von mir, die die Nacht mit Zugang zu Toilette und Dusche kostet. Erstaunlich günstig, schnell wird mir aber auch klar, warum. Der Campingplatz besitzt kein Toiletten- und Duschgebäude, sondern lediglich eine zum Serviceraum umfunktionierte „Hytter“, wie man sie auf den norwegischen Campingplätzen zu Hauf findet. Also nur eine Toilette und Dusche für den ganzen Campingplatz. Zum Glück ist aber außerhalb der restlichen Hütten nicht wirklich viel Betrieb, sodass ich schnell in den Genuss einer wohltuenden Dusche komme.
Die Ruhe vor dem Sturm?
Als ich im Anschluss zu Abend esse, lichtet sich die Bewölkung am Himmel zu weiten Teilen und endlich, endlich wird es mal etwas heller. Die Sonne bleibt zwar hinter den Wolken, aber immerhin. Ein Lichtblick! Wobei es ja eigentlich nur die Ruhe vor dem Sturm ist. Ab morgen Mittag soll es bis mindestens Montag durchgängig regnen. Meinen geplanten Besuch der Lofoten kann ich mir daher schenken. Bleibt nur zu hoffen, dass ich am Dienstag oder Mittwoch die Sesselbahn in Abisko fahren kann. Bis dahin muss ich die Zeit wohl irgendwie totschlagen.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.