Das Avers ist vermutlich eine Region, die nur die wenigsten Touristen nur schon vom Namen her kennen. Dass man dort im Winter auch noch skifahren kann, das weiss ausserhalb des Kantons Graubünden vermutlich kaum jemand so wirklich. Und selbst wenn. Avers ist kein Skigebiet aus dem Genre, das der Mehrheit der heutigen Skifahrergeneration zusagt. Doch eigentlich hätte auch alles ganz anders sein können.
Eigentlich hätte auch alles ganz anders sein können
Ende der 1960er Jahre, der wirtschaftliche Aufschwung und zunehmende Wohlstand nach dem zweiten Weltkrieg ist in Europa überall zu spüren. In den Alpen spriessen die Skigebiete aus dem Boden wie nie zuvor. Touristisch zuvor noch völlig unbedeutende Orte werden plötzlich zu industrialisierten Zentren, die Millionen Gäste aus dem In- und Ausland anziehen. Die verschlafenen Bergdörfer innert kurzer Zeit umzufunktionieren und am Aufschwung teilhaben zu können, scheint trotz des massiven Eingriffs in die Bergnatur und Dorfkultur äusserst lukrativ.
Auch im Avers, einem abgelegenen Tal hinter der Viamalaschlucht, machen sich Ideen zur Errichtung einer grossen Skiarena breit. Die weit verstreute Walsersiedlung inmitten der sonst rätoromanischen Region des Kantons Graubünden will nicht mehr nur die Landwirtschaft als einzigen Erwerbszweig nutzen. Eine gut ausgebaute Strasse als Anschluss ins Hinterrheintal ist dank des Baus der Staumauer im Valle di Lei bereits vorhanden, der Ausbau der San-Bernardino-Route zu einer überaus wichtigen Nord-Süd-Verkehrsader ist in vollem Gange. Die hochalpine Lage mit dem Talboden auf knapp 2000 Metern Höhe sowie die Möglichkeit einer Verbindung in die Nachbartäler lässt die Skigebietsplaner träumen. Auch Investoren sind bereits gefunden, sodass schliesslich 1969 die erste touristische Transportanlage in Juppa, einer der acht Fraktionen der Gemeinde Avers, eröffnet wird.
Schnell wird die vielversprechende Lage zum Problem
Schnell wird die einst so vielversprechende Lage aber zum Problem. Starke Winde im Tal und auf den umliegenden Gipfeln lassen einen Ausbau immer weniger lukrativ erscheinen. Die ursprünglichen Investoren ziehen sich zurück, die Pläne für ein Grossskigebiet, wie es in der Umgebung während der folgenden Jahre mehrfach entsteht, verschwinden in den Schubladen. Was bleibt, ist ein überaus steiler und langer Schlepplift, der mit seinen Abfahrten in erster Linie fortgeschrittene Skifahrer anzieht. Die Touristenmassen schaffen es in der Folge nie nach Avers. Sie bleiben schon vorher in einem der zahlreichen Bündner Grossskigebiete hängen und haben die wilde, unberührte Natur im Avers weder Sommer noch Winter je mit eigenen Augen gesehen.
Dennoch kann sich der bestehende Skilift behaupten. Längst nicht jeder steht auf Masse und Industrie im Skigebiet, sodass sich der Lift einer treuen Fangemeinde erfreuen kann. Im Winter 1990/1991 kommt schliesslich ein weiterer kurzer Schlepplift hinzu, der einen deutlich flacheren Hang erschliesst und somit auch weniger geübten Fahrern die Chance gibt, für die Fahrt am steilen Skilift Tscheischa zu üben. Der sanfte Tourismus hat dafür gesorgt, dass das Tal hinter der Viamalaschlucht weder seine wilde Natur noch seinen ursprünglichen Charakter verloren hat. Wie es wohl ausgesehen hätte, hätte man die ursprünglichen Pläne verfolgt, kann man sich heute anhand der zahlreichen grossen Skigebiete ausmalen. Der ursprüngliche Zustand würde dagegen heute nur noch in den Erinnerungen der ersten Skifahrer in den 70er Jahren existieren.
Eine Reise durch Raum und Zeit
Ob es Glück oder Pech war, dass der geplante Ausbau nie stattgefunden hat, dazu gibt es wahrscheinlich viele Meinungen. Aus meiner Sicht ist es ein Glücksfall, dass man dieses Tal heute noch so erleben kann, wie es vor dem grossen Ski- und Tourismusboom in den Alpen war. Eine Reise nach Avers ist nicht nur eine Reise im Raum, sondern auch eine Reise in der Zeit. Zurück in eine Zeit, als beim Skifahren noch nicht die Höhenmeter auf der Skiline zählten, als die Tickets noch aus Pappe waren, als das Mittagessen noch aus regionalen Spezialitäten bestand und sich die Kosten für den Betrieb eines Skigebietes noch nicht in astronomischen Höhen befanden.
Die kleine Skischaukel in einem völlig unbekannten Tal ist ein idealer Rückzugsort, fernab vom modernen Skisport, wie er heute andernorts zelebriert wird. Und gerade deshalb dürfte dem Skigebiet Avers auch weiterhin eine goldene Zukunft bevorstehen. Eine Spezialisierung auf bestimmte Zielgruppen, wie sie in anderen, immerzu ähnlichen Skigebieten ohne eigenes Profil mühsam versucht wird, hat man in Avers schon lange erreicht. Dadurch, dass man seinerzeit – möglicherweise auch unfreiwillig – nicht den Fehler gemacht hat, das zu machen, was alle anderen gemacht haben.
Avers – wilde, unberührte Natur
Der Parkplatz am Einstieg ins Skigebiet von Avers. In knapp 2000 Metern Höhe beginnt das Skigebiet – dort, wo andernorts längst Schluss ist.
Die Problematik mit dem Wind lässt sich schon beim ersten Blick auf die Skihänge am Tscheischhorn erkennen. Der wenige Schnee ist völlig verweht.
Der steile Schlepplift Tscheischhorn
Dem Skilift macht der Wind dagegen wenig Mühe. Kühn trassiert nähert sich die steile Brändle-Anlage – eine der letzten je gebauten – mit 550 Metern Höhendifferenz dem Tscheischhorn.
In der Streckenmitte wurden die Stützen Mitte der 90er Jahre durch Exemplare von Garaventa ersetzt. Ebenso erfolgte der Austausch sämtlicher Rollenbatterien. Die verschiebbar auf den Fundamenten angebrachten Stützen deuten darauf hin, dass man hier vermutlich Probleme mit einem rutschenden Hang hatte.
Erst die letzten drei Stützen vor dem Ausstieg erinnern wieder an den ursprünglichen Konstrukteur dieser Anlage.
An der Bergstation lässt sich auf dem Panorama das umliegende ideale Skigelände erahnen.
Die Abfahrten sind trotz des schneearmen Winters ein Genuss.
Trotz der fortgeschrittenen Tageszeit sind wir immer noch fast alleine am Skilift Tscheischa. Niemand hat hier das Bedürfnis, um 8.30 Uhr der erste am Skilift zu sein. Was auch nichts helfen würde, öffnet er seine Pforten doch erst eine Stunde später.
Die Talstation ist mit ihrem lauten Antrieb schon von weither zu hören. Es ist ein rechter Kontrast zur Stille, die in diesem Tal sonst herrscht. Einzig am Kiosk neben der Talstation wird es um die Mittagszeit etwas lauter und geselliger. Das Betreiben des Kiosks übernimmt notabene die gleiche Person, die auch Lift und Kasse betreut.
Von der talauswärts gelegenen Abfahrt bietet sich ein Blick bis nach Juf, dem höchsten Weiler der Gemeinde Avers und einer der höchsten ganzjährig bewohnten Siedlungen Europas.
In Gedenken an den im vergangenen Jahr verstorbenen Konstrukteur dieses Skilifts darf auch ein Foto des Herstellerschilds nicht fehlen.
Der Zugang vom Parkplatz zum Skilift ist ebenso ungewöhnlich wie das Skigebiet selbst. Inzwischen haben sich einige Fahrzeuge zu unserem hinzugesellt, doch noch immer sind die Heuballen in der Überzahl. Ein Zustand, der sich hier wohl selten ändert.
Auf Abwegen zum Schlepplift Cavetta
Den Anfang der 90er Jahre hinzugekommene Cavetta-Skilift erreicht man problemlos über eine signalisierte Verbindung. Der wenige Schnee macht das Queren am Hang zwischen Steinen und Alpenrosen hindurch zwar etwas originell, aber keineswegs mühsam. Auf dem Rückweg müssen die Ski hingegen für einige hundert Meter geschultert werden.
Vor der Bergstation lassen sich die Schneefahnen am Horizont erkennen. Obwohl allgemein nicht viel Wind an diesem schönen Tag herrscht, die Böen wären für eine Sesselbahn bereits grenzwertig.
Der Skilift Cavetta mit seinen beiden kurzen, aber lohnenden Abfahrten und dem Talausgang. Die Pisten hier sind eine willkommene Abwechslung zu den durchwegs steilen Abfahrten am Tscheischhorn, auf denen quasi ausschliesslich kurzgeschwungen werden kann.
Ein Blick zum Schlepplift Tscheischhorn mit dem gleichnamigen Berg dahinter.
Dieses Tal hätte gemäss der ursprünglichen Planung durch eine Vielzahl an Seilbahnen erschlossen werden sollen.
Der dritte Lift, dessen Erwähnung nicht vergessen werden sollte, ist ein typischer Ponylift. Mangels Schnee ist er bereits ausser Betrieb.
Tagesausklang am Tscheischhorn
Auch auf einer der letzten Fahrten des Tages geben die massiven Brändle-Fachwerkstützen eine gute Figur ab.
Gegen 16 Uhr sind wir die letzten Skifahrer und machen uns kurz nach Betriebsschluss auf den Weg zurück zum Auto, nicht ohne noch einmal einen Blick auf den Skilift, seinen Kiosk und seinen ungewöhnlichen Zugang zu werfen. Ganz sicher ist es nicht der letzte Besuch.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.