Lange hatte ich überlegt, wo es denn nach dem Berninapass und Avers hingehen sollte. Einen Tag bei schönem Wetter hatte ich noch vor mir, sodass ich mir die noch verbliebenen geöffneten Skigebiete in der Umgebung genauer ansah. Viel blieb nicht mehr übrig. So fiel die Wahl schliesslich auf Disentis. Das Gebiet ist bekannt dafür, meist als letztes in Nordbünden seine Pforten zu schliessen, und bot daher auch nach Ostern noch Vollbetrieb an.
Zwar hatte ich Disentis im Dezember 2008 schon einmal besucht, doch damals war der westliche Teil des Skigebiets, namentlich die Sesselbahn Puozas-Parlets und der Schlepplift Gendusas-Dadens, noch nicht in Betrieb. Beide leuchteten auf dem Pistenplan diesmal wie alle anderen Anlagen grün, sodass einem Besuch nichts mehr im Wege stand. Sedrun hätte ich zwar auch gerne kennen gelernt. Da dort aber schon einige Bahnen geschlossen waren und zudem die Verbindung nach Andermatt wegen Schneemangels nicht mehr möglich war, fiel diese Option weg.
Das Skigebiet Disentis 3000
Das Skigebiet von Disentis 3000, wie es offiziell bezeichnet wird, entstand Anfang der 70er Jahre mehr oder weniger vom Reissbrett. Anders als in vielen Nachbarorten begann die Geschichte des Skifahrens nicht mit einem einzelnen Skilift, der später erweitert wurde, sondern gleich mit einer Luftseilbahn und drei Sektionen Schleppliften. Alle vier Sektionen gemeinsam erschlossen Pisten mit einer totalen Höhendifferenz von rund 1600 Metern. Trotz der südseitigen Exposition der Hänge konnte man in den schneereichen ersten Wintern bereits eine lange Skisaison anbieten.
Nur zwei Jahre nach dem Bau der obersten Sektion wurde diese abgebaut und auf neuer Trasse durch einen neuen Schlepplift ersetzt. Dieser führte in der Folge nicht mehr ganz so hoch wie der ursprüngliche Lift, was vermutlich dem veränderten Untergrund – ganz zuoberst führte der Lift über einen Gletscherrest – geschuldet war. Die ursprüngliche Anlage wurde westlich der bestehenden Achse im Bereich Dadens wieder aufgestellt und erschloss dort fortan weitere Skihänge. In den 80er Jahren folgte unterhalb des neuen Schlepplifts Dadens eine weitere Neuerschliessung in Form einer Sesselbahn sowie ein kurzer Übungsskilift nahe der Bergstation der Pendelbahn auf Caischavedra.
Die nächsten Investitionen in die Seilbahninfrastruktur erfolgten Mitte der 90er Jahre, als die beiden mittleren Schleppliftsektionen jeweils durch eine neue kuppelbare Vierersesselbahn ersetzt wurden. Im Sommer 2007 schliesslich erfolgte auch der Ersatz der untersten Sektion, der Luftseilbahn. War ursprünglich eine kuppelbare Umlaufbahn im Gespräch, folgte erneut eine Luftseilbahn auf die bestehende Anlage, die abgebaut wurde und in Grönland ein zweites Leben erhielt. Die neue Luftseilbahn war eine der ersten grossen Pendelbahnen der Schweiz ohne Tragseilbremse und kann daher ohne Kabinenbegleitung vollautomatisch betrieben werden.
Mit der Luftseilbahn von Disentis nach Caischavedra
Mit ihren beiden Zwischenstützen ist die Luftseilbahn Disentis-Caischavedra ein markanter Bestandteil des Ortsbildes von Disentis/Mustér. Wie schon die Vorgängeranlage stammt sie aus dem Hause Garaventa.
Sesselbahn und Schlepplift Caischavedra – Gendusas
Über ein Förderband gelangt man von der Bergstation der Luftseilbahn zu den eigentlichen Beschäftigungsanlagen. Die eigentliche Hauptattraktion in diesem Bereich ist die Sesselbahn Caischavedra-Gendusas, unverkennbar ebenfalls ein Produkt von Garaventa. Ihr Vorgänger, ein Bühler-Schlepplift, ist rechts daneben noch immer in Betrieb. Jedoch wurde er stark verkürzt und ist seit dem Bau der Sesselbahn als Übungsskilift in Betrieb.
Die Strecke der Sesselbahn Caischavedra-Gendusas kann als eher flach charakterisiert werden. Es lässt sich zudem bereits erahnen, dass sich der Betrieb im Skigebiet stark in Grenzen hielt. Dieses Foto entstand am Nachmittag, wo kaum mehr jemand an den sulzigen Südhängen sein Glück versuchte. Auch am Vormittag herrschte allerdings nicht wirklich Andrang.
Hinauf in den Pulverschnee mit der Sesselbahn Lai Alv
Die ein Jahr ältere Sesselbahn Gendusas-Lai Alv ist deutlich steiler als die untere Sektion, überwindet aber auf ihrer kürzeren Strecke dennoch nicht signifikant mehr Höhenmeter. In diesem Bereich findet man die meiner Meinung nach interessantesten Pisten im Skigebiet von Disentis vor.
Angekommen am Lai Alv wird die Landschaft etwas schroffer. Am rechten Bildrand ist bereits die vierte und letzte Sektion zu sehen, der Schlepplift Piz Ault.
Die Sesselbahn Gendusas-Lai Alv vor imposanter Kulisse.
Mit dem Schlepplift Piz Ault zum höchsten Punkt des Gebiets
Die Talstation des Schlepplifts Piz (oder Péz) Ault in ungewohnter Bauweise mit Antrieb und kombinierter Gewichtsabspannung. Im Gegensatz zu den anderen Schleppliften aus den 70er Jahren stammt dieser Schlepplift nicht von Bühler, sondern eine Doppelmayr-Konstruktion. Vermutlich stammt der Lift auch vom österreichischen Hersteller, denn auf der Garaventa-Referenzliste ist der Schlepplift nicht verzeichnet.
Die Strecke ist gezeichnet durch eine Vielzahl an Stützen und ständig wechselndem Gefälle. Die Vorgängeranlage von Bühler verlief viel weiter links und mit einer leichten Kurve.
Dank der schnellen Fahrgeschwindigkeit hält sich die Fahrzeit trotz der langen Strecke in Grenzen.
Ein Blick in den Bereich oberhalb der heutigen Bergstation, der von der Vorgängeranlage noch erschlossen wurde. Ein weiterer Schlepplift hier bis zum sichtbaren Grat wäre schon eine feine Sache. Dann hätte man auch einen wirklichen Grund, das Skigebiet Disentis 3000 zu nennen. Denn mit der momentan höchsten Bergstation auf 2770 Metern ist die Bezeichnung schon etwas irreführend.
Impressionen vom Schlepplift Piz Ault.
Ein Blick zum Lai da Nalps mit den markanten Stützen der Luftseilbahn Sedrun-Tgom, die im Sommer für den Publikumsverkehr geöffnet ist. Auch die zweite Sektion zur Alp Nalps ist erkennbar.
Alles muss gefahren sein
Natürlich darf auch eine Fahrt mit dem Schlepplift Caischavedra-Gendusas nicht fehlen. Aufgrund der uninteressanten Piste und der langsamen Fahrgeschwindigkeit sollte es aber die einzige des Tages bleiben.
Die Bergstation vom Schlepplift Caischavedra-Gendusas stammt noch original von Bühler und wurde demnach bei der Verkürzung hierher versetzt.
Interessanter ist dagegen dieser kurze Tunnel unter dem Schlepplift hindurch. Mit seiner Höhe von vielleicht 1,40 Metern will man vermutlich dafür sorgen, dass nur Kinder durchpassen, denn …
… gleich dahinter wartet die nächste Übungsanlage, der Schlepplift Caischavedra.
Hierbei handelt es sich erneut um eine Doppelmayr-Anlage.
Die steile Sesselbahn Puozas – Parlets
Um die Mittagszeit ist es dann an der Zeit, auch dem mir noch unbekannten westlichen Sektor Dadens einen Besuch abzustatten. Die Garaventa-Sesselbahn Puozas-Parlets weiss dabei durch ihre spektakuläre Trassierung zu begeistern.
Für weniger Begeisterung sorgt dagegen die entsetzlich langsame Fahrt.
Auf dem langen Spannfeld in der unteren Streckenhälfte, das einen Lawinenhang überspannt.
Ab der Streckenmitte kommt die Sesselbahn plötzlich ganz flach daher. Rechts im Hintergrund ist der Schlepplift Gendusas-Dadens erkennbar.
Vor der Bergstation gibt es dann noch einmal einen knackigen Schlussanstieg.
Einen Schönheitspreis gewinnt die Bergstation der Sesselbahn Puozas-Parlets definitiv nicht.
Weitaus sehenswerter ist dagegen der Blick auf das Übungsgelände Valtgeva und das Hauptskigebiet von Sedrun.
Der lange Schlepplift Gendusas – Dadens
Der lange Schlepplift Gendusas-Dadens in der Totalen. Der untere Streckenteil ist bis auf die Rollenbatterien noch eine astreine Bühler-Konstruktion. Hier fiel mir dann auch das Schild auf, dass die letzte Bergfahrt bereits um 13 Uhr sein sollte, während an der Sesselbahn unterhalb von 15.30 Uhr die Rede war. Das wunderte mich, kommt man doch von der Sesselbahn nicht mehr ins Hauptgebiet zurück. So beschloss ich, bis 13 Uhr zur Sicherheit in diesem Bereich zu fahren, sollte das später nicht mehr möglich sein. Und tatsächlich, pünktlich um 13 Uhr wurden beide Anlagen eingestellt – Glück gehabt! Aber hätte man das nicht irgendwo etwas deutlicher kommunizieren können?
Der Schlepplift Gendusas-Dadens. Im unteren Teil sehr, sehr flach, gegen Ende etwas steiler werdend. Man sieht aber auf dem Foto, dass der Lift eigentlich genau dort aufhört, wo es spannend wird. Warum hat man den nicht noch ein Stück weiter nach oben gebaut? Die Lawinen dürften die Mitte von dem Talkessel doch genauso wenig erreichen wie weiter unterhalb!?
Stütze Nummer acht ist die letzte, die noch einen Bühler-Rundrohrschaft besitzt. Bis zur Bergstation folgen ab dann daran angelehnte Garaventa-Konstruktionen mit Vierkantprofilen.
Nach langer Fahrt erreicht man die Bergstation, ohne wirklich nennenswert an Höhe gewonnen zu haben.
Auf diesen beiden Fotos wird deutlich, was man hier für ein Potential verschenkt. Die einzige Piste verläuft im Zick-Zack den Berg hinunter und links vom Lift wird das Gelände überhaupt nicht genutzt. Mit der vorhandenen Piste ist der Lift leider völlig uninteressant.
Mangels Schnee – bei einem 1200 Meter hohen Südhang im April nicht erstaunlich – ging es mit der Luftseilbahn wieder zurück ins Tal.
Fazit
Nachdem ich Disentis nun im zweiten Anlauf in seiner vollen Grösse geniessen konnte, erlaube ich mir diesmal auch ein abschliessendes Fazit, das etwas differenzierter ausfällt als noch 2008. Das Skigebiet hat mir erneut sehr gut gefallen. Aber es gibt doch einige Punkte, aufgrund derer es im Vergleich zu manch anderen Gebieten etwas abfällt. Die Südhänge machen einem im Frühjahr speziell am Nachmittag etwas Mühe, was dagegen im Hochwinter natürlich einen Vorteil darstellt. Dennoch wäre es schön, würde es zumindest ein paar Abfahrten geben, die eine etwas andere Hangausrichtung hätten.
Überhaupt fällt auf, dass jeder Lift in Disentis eigentlich nur eine einzige Piste mit wenigen kurzen Varianten erschliesst. Das ist insofern schade, da genug Platz vorhanden wäre, um deutlich mehr Abfahrten pro Anlage zu präparieren. Nur eine weitere Piste pro Lift würde das Gebiet um Längen grösser erscheinen lassen und deutlich interessanter machen. So ist es bereits nach einem Tag irgendwie etwas fad, da sich einfach zu wenig Kombinationsmöglichkeiten bieten. Gerade an einem Hang, der 1600 Meter Höhendifferenz erlaubt, ist das bestehende Angebot etwas wenig. Im Vergleich bot Avers am Vortag zwar absolut gesehen weniger Abfahrten. Aber irgendwie hatte ich durch die vielen Möglichkeiten am selben Lift und die gänzlich konträren Hänge an den beiden Schleppliften überhaupt nicht den Eindruck, es würde langweilig werden.
Speziell vom westlichen Sektor war ich in Disentis etwas enttäuscht, denn beide Anlagen erschliessen nicht nur jeweils eine einzige Piste, diese bleiben aufgrund ihrer Trassierung auch nicht wirklich nachhaltig in positiver Erinnerung. Alles in allem hatte ich den Eindruck, dass man sich in mancher Hinsicht hier sehr lobenswerte Mühe gibt (die hervorragenden Öffnungszeiten bis an Auffahrt!), insgesamt bleibt das Gebiet aber dann doch hinter seinen Möglichkeiten zurück. Mit ein paar zusätzlichen Pisten wäre viel mehr möglich und das würde den „Interessantheitsgrad“ des Skigebiets noch einmal kräftig erhöhen.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.