Ein Sonntag im Juli am Col de l’Iseran. Der mit 2770 Metern über dem Meer höchste überfahrbare Gebirgspass der Alpen präsentiert sich früh morgens noch wie ausgestorben. Noch ist von den ersten kurvenhungrigen Bikern hier oben nichts zu sehen. Nur ein paar Murmeltiere begrüssen mit ihren Pfiffen den neuen Tag.
Skifahren am Col de l’Iseran
Doch wenige hundert Meter von der Passhöhe entfernt dreht schon zu dieser frühen Stunde eine Sesselbahn ihre Runden. Seit mehr als 60 Jahren ist es Tradition hier oben inmitten der französischen Alpen, dass auch in den Sommermonaten skigefahren wird. Der Glacier du Pissaillas, östlich der Passhöhe gelegen, ist heute auch dann noch ein beliebtes Ziel für Skifahrer, wenn unten im Tal bereits die Freibäder geöffnet sind. Vom Gletscher ist inzwischen zwar nicht mehr viel übrig. Auf Restschneefeldern läuft die Saison hier oben aber bis in den Juli.
Als Zubringer in das kleine Sommerskigebiet dient seit dem Jahr 2000 die Sesselbahn Cascade, eine kuppelbare Vierersesselbahn des Südtiroler Seilbahnherstellers Leitner. Rund 400 Höhenmeter überwinden die Sessel, bevor sie die Bergstation in 3118 Metern Höhe erreichen. Auch in den Sommermonaten bieten sich von hier aus in den verschiedenen Couloirs zahlreiche Abfahrtsmöglichkeiten zurück in Richtung des Iseran-Passes.
60 Jahre Sommerski am höchsten Pass der Alpen
Die Anlage folgt einer langen Liste an Seilbahnanlagen, die entlang der 1937 eröffneten Passstrasse zum Sommerski erstellt werden. Schon zu dieser Zeit nutzen Wintersportler die vielen Restschneefelder für kurze Abfahrten. 1958 folgt dann eine erste kurze mechanische Aufstiegshilfe etwas unterhalb der Passhöhe auf Seiten von Val d’Isère. Das heutige Sommerskigebiet am Glacier du Pissaillas nimmt kurz darauf zu Beginn der 60er Jahre den Betrieb auf. Als Zubringer dient eine Sesselbahn von Poma, die bis an den Gletscherrand führt und dort durch vier Schlepplifte unterschiedlicher Länge ergänzt wird.
Da die Sesselbahn Grand Pissaillas als einziger Zubringer schon bald völlig überlastet ist, wird sie ein Jahrzehnt später zunächst durch weitere Schlepplifte und ab 1974 durch die neue Sesselbahn Cascade ergänzt. Letztere dient gleichzeitig als Rückbringer zur Passhöhe und damit als bequeme Anbindung an das Winter-Skigebiet von Val d’Isère. Im Sommer 2000 werden beide Teilstrecken schliesslich ersetzt. Die lange durch die Sesselbahn von Leitner, die kurze zurück zum Pass durch eine separate fix geklemmte Vierersesselbahn.
Überreste der früheren Schlepplifte trifft man an manchen Ecken im Skigebiet auch heute noch an. Am auffälligsten ist zweifelsohne die Talstation des 1977 gebauten und 2007 stillgelegten Schlepplifts Côte 3300.
Restschneefelder am Glacier du Pissaillas
Übrig geblieben ist am Pissaillas-Gletscher heute lediglich der Schlepplift Montets. Der Schlepplift ist eine Konstruktion des Herstellers Montaval, einer ehemaligen Tochter der Betreibergesellschaft der Seilbahnen von Val d’Isère. Die Talstation wird 2005 als einziges Element vom 1978 gebauten Vorgänger übernommen. Bei diesem handelt es sich wie bei vielen Anlagen in Val d’Isère seinerzeit um einen Import des amerikanischen Herstellers Yan Lifts. Zwei Jahre später ersetzt Yan Lifts auch die Sesselbahn Grand Pissaillas.
Auch der Schlepplift Montets blickt damit auf eine lange Tradition zurück. Der erste Lift mit diesem Namen entsteht bereits 1962 bei der Ersterschliessung des Skigebiets und bedient schon damals die Paradehänge auf dem Pissaillas. Seinerzeit ist der Gletscher ein reines Sommerskigebiet, denn der heutige Zugang von Le Fornet durch das Vallon de l’Iséran existiert damals noch nicht. Historische Ansichtskarten deuten aber darauf hin, dass zumindest im Frühling eine Verbindung an das Hauptskigebiet vorhanden war. Der Zugang über den steilen Schlepplift 3000, eine spektakuläre Tunnelpiste und zwei kurze Schlepplifte am Iseran-Pass sowie die Rückkehr durch ein völlig einsames Hochtal dürfte jedoch ein mühsames Unterfangen gewesen sein.
Der Col de l’Iseran und seine Sommerski-Tradition
Mit dem Bau der neuen Zubringerachse von Le Fornet wird der Zugang ab der ersten Hälfte der 70er Jahre aber optimiert. Gleichzeitig folgen die erwähnten Ergänzungen rund um den Gletscher, der in jenem Jahrzehnt mit rund einem Dutzend Anlagen seine Hochzeit erlebt. Viele von ihnen verschwinden in der ersten Hälfte der 80er Jahre, insbesondere nach der Kapazitätssteigerung der Sesselbahn Grand Pissaillas durch den erwähnten Neubau im Jahr 1980. Zu Beginn des neuen Jahrtausends bleiben schliesslich nur noch die Sesselbahn Cascade und die Schlepplifte Montets und Côte 3300 übrig. Seit dem Abbau von letzterem ist das Sommerskigebiet am Col de l’Iseran gemessen an der Zahl der Anlagen das kleinste der Westalpen. Pisten sind durch den Anlagenrückbau jedoch kaum verlorengegangen, trotz des spürbaren Gletscherrückgangs.
Obwohl heute nur noch ein Bruchteil der Abfahrten über Gletschereis führt, lebt die Sommerskitradition am Col de l’Iseran weiter. In gewisser Weise kehrt das Skigebiet somit dorthin zurück, wo es einst begann – nämlich auf Restschneefeldern, die den Betrieb auch vor über sechs Jahrzehnten schon abseits der Gletscher im Sommer möglich machten. So bleibt zu hoffen, dass der unermüdliche Einsatz für die Sommerskisaison in Val d’Isère auch weiterhin Erfolg hat. Skizufahren, während nebenan die Murmeltiere pfeifen, ist eben etwas ganz Spezielles!
Auch interessant ...
Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.