Operation Frühsommerski in Tignes – Grande Motte

Sommer in den Alpen. Rauschende Gebirgsbäche, saftig grüne Wiesen, unzählige Möglichkeiten zum Wandern und Skigebiete im Sommerschlaf. Überall? Nein. Im bekannten Ferienort Tignes in den französischen Alpen lockt das Skigebiet Grande Motte auch in der warmen Jahreszeit Wintersportler an.

Unterirdisch von Tignes ins Sommerski-Vergnügen

Der mächtige Gletscher unterhalb des namensgebenden, 3600 Meter hohen Gipfels im Vanoise-Massiv macht es möglich. Am Rande der Kernzone des Vanoise-Nationalparks, dem ältesten in ganz Frankreich, entsteht hier in der zweiten Hälfte der 60er Jahre ein Ganzjahresskigebiet. Erreichbar ist es heute mit einer unterirdischen Standseilbahn. Nach fast vierjähriger Bauzeit kann die Anlage des Schweizer Seilbahnherstellers Von Roll 1993 als Ersatz für zwei Kabinenbahnen eröffnet werden. Mit bis zu 12 m/s kämpfen sich die Wagen des Funiculaire Perce-Neige seither bis in gut 3000 Meter Höhe an den Rand des Gletschers. Die 3,5 Kilometer Strecke überwinden sie in weniger als fünf Minuten.

Mit der Luftseilbahn zur Grande Motte

Nur wenige Meter neben der Bergstation der Standseilbahn wartet nicht nur ein erster fabelhafter Blick auf die vergletscherte Bergwelt, sondern auch der eigentliche Höhepunkt der ganzen Erschliessung. Mit einer Luftseilbahn geht es über den Gletscher noch einmal weitere knapp 500 Höhenmeter bergauf. Die Pendelbahn Grande Motte entsteht 1975 als Ergänzung zu den damals bereits bestehenden zahlreichen Schleppliften auf dem Gletscher. Schon damals setzt die Betreibergesellschaft auf die Technik des Schweizer Herstellers Von Roll, der hier eine für die damalige Zeit typische Pendelbahn errichtet. Mit einer Bergstationshöhe von 3456 Metern über dem Meer zählt die Bahn damals zu den höchstgelegenen der Alpen. Auch heute noch erschliesst sie den höchsten Punkt im Espace Killy.

Mit der Wahl eines Herstellers aus dem Ausland schlägt Tignes einen anderen Weg als viele umliegende Skistationen in jener Zeit ein. Während anderswo der einheimische Platzhirsch Poma die Bergwelt mit seinen Anlagen dominiert, ist die Herstellervielfalt in Tignes deutlich grösser. Schon bei den ersten Zubringeranlagen kommt der deutsche Hersteller PHB zum Zug. Die Gletscherschlepplifte und nun auch die Luftseilbahn stammen aus der Schweiz. Später folgen am Rand des Gletschers sogar Sesselbahnen des US-amerikanischen Herstellers Yan Lifts.

2018 erhält die Luftseilbahn Grande Motte im Zuge einer Sanierung durch die Firma Garaventa neue Kabinen. Als Besonderheit besitzen sie eine Dachterrasse, die über eine Treppe aus dem Innenraum der Kabine erreichbar ist. In luftiger Höhe lässt sich das Bergpanorama von dort während der Fahrt noch besser geniessen. Geblieben ist der Bahn aber ihr markanter Verlauf mit einer Zwischenstütze im oberen Teil der Strecke. Und natürlich die für Frankreich typische offene Konstruktion der Bergstation. Weil sich sowohl Antrieb als auch Abspanneinrichtung der Seile in der Talstation befinden, fällt die Bergtation für eine ausgewachsene Pendelbahn ziemlich kompakt aus.

Auf dem schnellsten Weg zum Gletscher

Der schnellste Weg zum Gletscher führt aber nicht über die Luftseilbahn, sondern über die etwas unscheinbare kurze Sesselbahn Panoramic. Die fix geklemmte Dreiersesselbahn entsteht 1976 als Rückbringer vom Gletscherrand zur Talstation der Luftseilbahn und ersetzt den auf anderer Trasse verlaufenden Schlepplift Côte 3016. Konstrukteur der Anlage ist seinerzeit die Firma Poma.

Anfang der 90er Jahre erfolgt im Zuge des Neubaus verschiedener Bahnen, darunter die Zubringer-Standseilbahn und der inzwischen stillgelegte Gletscherlift Champagny, auch ein Umbau der Sesselbahn Panoramic. Der Konstrukteur Skirail übernimmt im Wesentlichen nur die Sessel der bestehenden Anlage und stattet sie mit neuen Stationen und Stützen aus. Charakteristisch ist auch heute noch die höhenverstellbare Talstation, die klassischen Sessel in Form eines Wassertropfens von Poma wurden dagegen wie fast überall in Frankreich zu Beginn der 2010er Jahre ersetzt. Auch wenn sie keine eigene Piste bedient, ist die Sesselbahn Panoramic auch heute noch ein integraler Bestandteil des Skigebiets an der Grande Motte. Insbesondere im Sommer, um Wiederholungsabfahrten an dem beliebten Hang unter der Luftseilbahn zu ermöglichen.

Die Paradehänge an der Sesselbahn Vanoise

Eine andere Möglichkeit, vom Gletscher zur Talstation der Luftseilbahn zurückzukehren, bietet sich mit der Sesselbahn Vanoise. Auch diese Anlage entsteht zu Beginn der 90er Jahre im Zuge der Neuerschliessung des Gletscherskigebiets. Gemeinsam mit der langen Sesselbahn Lanches bildet sie im Winter seither eine zweite Achse parallel zur unterirdischen Standseilbahn von Val Claret als Zubringer und Beschäftigungsanlage. An ihrem heutigen Standort ist sie allerdings erst seit dem Jahr 2008 im Einsatz. Wegen des zunehmenden Gletscherrückgangs ist die ursprüngliche Talstation im Sommer immer schlechter erreichbar, sodass sie in Richtung Westen verlegt wird. Gleichzeitig wird auch der Schlepplift Double Plan, seit Anbeginn ein fester Bestandteil des Sommerskigebiets, ersatzlos stillgelegt. Angesichts der schroffen Felsen ist es heute kaum mehr vorstellbar, dass quer zur heutigen Sesselbahn einmal ein Gletscherschlepplift den Berg hinauf führte.

Die Bergstation der Sesselbahn Vanoise befindet sich dagegen noch immer an derselben Stelle. Auch die Technik ist nach wie vor weitgehend original erhalten. Original-Konstrukteur ist 1993 die Firma Études de Transport, die damals in Frankreich Doppelmayr-Technik vertreibt. Wie üblich bei Anlagen dieses Herstellers kommt anders als bei Original-Doppelmayr-Sesselbahnen zu jener Zeit eine charakteristische Schraubfederklemme zum Einsatz. Ursprünglich sind auf der Bahn Haubensessel im Einsatz. Diese finden jedoch wie so häufig in Frankreich wenig Anklang, sodass sie später durch Sessel ohne Hauben ausgetauscht werden. Dank der zusätzlichen Löcher in den Rückenlehnen ist wegen der geringen Windanfälligkeit auch bei stürmischen Bedingungen länger ein Betrieb der Anlage möglich.

Nostalgie und Relikte im Sommerskigebiet von Tignes

Indirekt bedient die Sesselbahn Vanoise heute auch die Pisten des ehemaligen Paradehangs des Skigebiets an den Schleppliften Rosolin. Wegen des Gletscherrückgangs ist von diesen beiden Liften heute bereits einer komplett abgebaut und der zweite stillgelegt. Dass er jemals wieder öffnet, ist eher unwahrscheinlich.

Insofern kommt der Sesselbahn Vanoise als einziger verbliebener Anlage im unteren Teil des Gletscherskigebiets heute eine strategisch wichtige Bedeutung zu. Wie viele Jahre das Gletschereis in diesem Bereich aber im Sommer noch für den Skibetrieb reichen wird, auch das ist ungewiss.

Ein Urgestein am Rand des Nationalparks Vanoise

Trotz der zahlreichen Um- und Neubauten im Bereich des Gletschers an der Grande Motte ist ein originales Exemplar aus der Gründerzeit zumindest in Teilen noch immer in Betrieb. Der Schlepplift Termignon im oberen Bereich des Gletschers wird für die erste Sommerskisaison in Tignes 1968 vom Schweizer Gletscherlift-Spezialist Willy Bühler konstruiert. Damals hört er in Anlehnung an die Höhenlage noch auf den Namen 3500. Dieser Marke bleibt er zwar über 100 Höhenmeter fern, ist damals aber trotzdem die höchstgelegene Anlage. Erreichbar ist er seinerzeit über den im gleichen Jahr eröffneten Schlepplift Glacier, der in etwa dem Verlauf des späteren und mittlerweile stillgelegten Schlepplift Champagny folgte. Geblieben sind ihm bis heute die für Bühler-Anlagen charakteristischen seilumschliessenden Klemmen. Diese sind heute weltweit nur noch an ganz wenigen Schleppliften im Einsatz.

Seine exponierte Lage am Rand des Gletschers und hoch über dem Nationalpark Vanoise macht ihn damals wie heute zu einer beliebten Aufstiegshilfe. Der breite Gletscherhang wird heute im Sommer intensiv von Trainingsmannschaften genutzt. So ist es wenig erstaunlich, dass der Lift zur Steigerung der Förderleistung 1990 durch eine Parallelanlage gedoppelt wird. Auch in so grosser Höhe fordert der Gletscherschwund Tribut, sodass die originalen Gletscherstützen von Bühler an manchen Stellen durch Exemplare mit festen Fundamenten auf Fels ersetzt werden. An anderen Stellen baut der Hersteller Doppelmayr bei der Ergänzung der Nummer zwei einfach an die vorhandene Substanz an.

Ein halbes Jahrhundert Sommerski in Tignes

Seit der ersten Skisaison im Sommer 1968 hat sich das Erscheinungsbild des Skigebiets an der Grande Motte damit immer wieder verändert. Faszinierend sind die Kontraste zwischen den grünen Wiesen im Tal und dem Schnee auf dem Gletscher aber auch heute noch. Der Wintersport im Hochsommer erfreut sich in Tignes auch heute noch grosser Beliebtheit. Und so bleibt zu hoffen, dass die Tradition des Sommerskis hier – in der selbsternannten Capitale du Ski d’Été – auch über ein halbes Jahrhundert nach der Erstausgabe weiterhin fortgeführt wird.

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