Das Val Müstair ganz im Südosten Graubündens zählt unbestreitbar zu den landschaftlich schönsten Regionen der Alpen. In Sichtweite des Schweizerischen Nationalparks ist in dem Tal südöstlich vom Ofenpass eine eigentümliche Flora und Fauna zu entdecken. Und im Winter auch ein ebenso ursprünglich gebliebenes kleines Skigebiet, das zum Geniessen einlädt.
Über eine schneebedeckte Strasse nach Minschuns
Nicht weit entfernt vom Ofenpass zweigt eine im Winter meist schneebedeckte Seitenstrasse ab und führt in mehreren Kehren hinauf zum Schlepplift Era Sot, dem Zubringer in das Skigebiet am Minschuns. Drei Schlepplifte und ein kleiner Ponylift erschliessen an dieser Stelle zwischen 2100 und 2700 Metern Höhe ein weitläufiges Pistenareal mit Blick auf die einmalige Landschaft des Münstertals oberhalb von Tschierv und auf die vergletscherte Ortlergruppe.
Typisch für die südlichen Alpentäler liegt die Baumgrenze hier bereits deutlich höher als auf der Nordseite, und so verläuft der Schlepplift Era Sot an zahlreichen Kiefern und Lärchen vorbei hinauf zur Alp da Munt, die sich in knapp 2200 Metern über dem Meer befindet.
Skifahren im Val Müstair
Der Schlepplift entsteht im Jahr 1976 als Neuerschliessung und bildet gemeinsam mit einer zweiten Sektion fortan die erste Möglichkeit für genussvolle Schwünge im neu gegründeten Skigebiet Minschuns. Das Val Müstair ist mit seinem breiten und flachen Talgrund damals vor allem für den Skilanglauf bekannt, Alpinski ist seinerzeit in den Ortschaften Santa Maria und Müstair aber ebenfalls bereits an zwei kleinen Übungsliften möglich. Das neu erschlossene Areal hoch über dem Tal ist jedoch für die Einwohner der innerhalb der Schweiz eher abgelegenen Region eine echte Erweiterung.
In technischer Hinsicht handelt es sich beim Schlepplift Era Sot um eine typische leichte Konstruktion des Herstellers Borer aus dem Juragebirge, die Teller stammen aus dem Hause Doppelmayr. Einige Stützen im unteren Teil der Strecke sind dagegen von Baco gefertigt. Rund 330 Meter nach dem Einstieg sind die 56 Höhenmeter auch schon überwunden und die filigrane Bergstation auf der Alp da Munt ist erreicht. Etwas unterhalb erschliesst an dieser Stelle der erwähnte Ponylift einen Übungshang für die ersten Schwünge.
Anspruchsvoller Schlepplift am Minschuns
Wesentlich steiler, schwerer und schneller geht es auf der ebenfalls 1976 eröffneten zweiten Sektion zu und her. Der Schlepplift von der Alp da Munt auf den Minschuns ist seit jeher die Hauptattraktion des kleinen Skigebiets und dringt bis in eine Höhe von 2520 Metern über dem Meer vor. Bereits von weitem ist der laute Antrieb in der Talstation unüberhörbar. Eine massive Konstruktion mit zwei Betonstehern beherbergt die Technik, die es mit ihrer hohen Fahrgeschwindigkeit ermöglicht, stündlich 1000 Personen in die Höhe zu befördern.
Der Schlepplift Alp da Munt ist aber nicht nur in weiten Teilen ausgesprochen steil, sondern auch im Hinblick auf seine Entstehungsgeschichte interessant. Konstruiert wird er nämlich von einem Hersteller, der im Kanton Graubünden ansonsten nie in Erscheinung getreten ist. Es ist ein Schlepplift des Glarner Seilbahnpioniers Matthias Streiff, der insbesondere in den 60er und 70er Jahren für zahlreiche Seilbahnen in der Schweiz verantwortlich zeichnet, allerdings fast ausschliesslich in seinem Heimatkanton Glarus und im angrenzenden Kanton St. Gallen. Der Schlepplift Alp da Munt ist die einzige Anlage, die Streiff je in den Kanton Graubünden liefern kann und daher ein echter Exot im Land der Steinböcke.
Ein Schlepplift-Exot im Val Müstair
Warum es das Unikat ausgerechnet in den abgelegensten Teil Graubündens geschafft hat, darüber lässt sich nur spekulieren. Fest steht jedenfalls, dass es das Val Müstair trotz seiner überschaubaren Anlagenzahl im Laufe der Jahre auf eine erstaunliche Herstellervielfalt gebracht hat. Neben Borer und Streiff kommen bei den beiden erwähnten ehemaligen Talliften die Firmen Bühler und Baco zum Zug. Und auch die dritte Anlage im Skigebiet Minschuns stammt von einem anderen, eher wenig bekannten Schweizer Seilbahnhersteller. Doch dazu später mehr.
Charakteristisch für den Schlepplift Alp da Munt ist seine Trassierung mit zahlreichen Gefällsbrüchen im mittleren Teil der Strecke. Streiff setzt hier teilweise auf einseitige Stützen, und erst als der Lift auch die letzten kleinen Bäume hinter sich gelassen hat, wird die Seilführung etwas weniger komplex. Im oberen, recht ausgesetzten Teil der Strecke gewinnt der Schlepplift kontinuierlich an Höhe, bevor schliesslich die Bergstation mit ihrer Gewichtsabspannung erreicht ist. Gut 1,1 Kilometer schräge Länge und 300 Höhenmeter überwinden die Bügel, die teilweise von Röhrs und teilweise von Borer stammen. Der exponierte Gipfel ermöglicht dann Zugang zu Abfahrten in alle erdenklichen Himmelsrichtungen und bietet ein beeindruckendes Panorama über das Münstertal, die Ortlergruppe und in Richtung Ofenpass.
Genussvolle Schwünge am Schlepplift Vallatscha
16 Jahre lang bleibt das Skigebiet Minschuns weitgehend in seiner ursprünglichen Form bestehen. Das ändert sich 1992 mit dem Bau des Schlepplifts Vallatscha, der das Gebiet beträchtlich erweitert. Erreichbar ist die Anlage von der Bergstation des Schlepplifts Alp da Munt und erschliesst ein abgelegenes Hochtal, das vom Rest des Skigebiets nur teilweise einsehbar ist. Ganz im Gegensatz zum Schlepplift von Streiff kommt die neu errichtete Anlage in weitaus sanfterem Gelände zum Stehen. Mit 274 Höhenmetern überwinden die Bügel fast die gleiche Höhendifferenz wie auf der anderen Hauptanlage. Der Lift benötigt dafür aber knappe 1,7 Kilometer schräge Länge.
Und wie schon erwähnt: Auch in technischer Hinsicht hat der Schlepplift Vallatscha wieder einige Besonderheiten zu bieten. Auffällig ist auf den ersten Blick seine Kurve, die durch schräg gestellte Rollenbatterien realisiert wird. Der Lift entstammt der Feder des Seilbahnplanungsbüros TTC, das in den 90er Jahren bis nach der Jahrtausendwende in der Schweiz einige Anlagen konstruiert, meist unter Verwendung von gebrauchten Teilen von zuvor abgebauten Seilbahnen.
Auch am Schlepplift Vallatscha ist das nicht anders. Viele Occasionsteile sind hier zwar nicht zu finden, doch bei genauem Hinsehen erkennt das geübte Auge dann doch ein paar Auffälligkeiten. Die Rollenbatterien sind nämlich grösstenteils von Habegger. Sie stammen vom 1964 gebauten Theodullift aus Zermatt, der dort 1991 einer kuppelbaren Sesselbahn von Städeli weicht. Stationen und Stützen entsprechen dagegen der typischen Bauweise von TTC.
Alte und neue Pläne in Tschierv
Die Rollenbatterien sind übrigens nicht die einzigen Seilbahnteile, die man in Minschuns aus Zermatt ordert. Nach 2002 ist auch der Wiederaufbau der Luftseilbahn Furi-Furgg als Zubringer von Tschierv auf die Alp da Munt geplant. Der Bau würde einerseits die Zubringerfahrten durch den Sportbus überflüssig und andererseits die Talabfahrt nach Tschierv auch für Wiederholungsfahrten interessant machen. Realität wird dieses Projekt jedoch nie. Ein erneuter Anlauf in Form einer Kleinkabinenumlaufbahn ist zur Zeit aber wieder aktuell. Eine neuerliche Erweiterung des Skigebiets im Val Müstair ist also nicht unwahrscheinlich.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.