Die Aussicht vom Karwendelgebirge auf den tief darunter gelegenen Ort Mittenwald, das Wettersteingebirge oder die grossen bayerischen Metropolen in der Ferne zählt zu den beeindruckendsten der Alpen. Über 1400 Meter beträgt die vertikale Distanz zwischen der Gipfelregion und dem Talboden.
Herausragendes Bauwerk der deutschen Seilbahngeschichte
Ein Grossteil dieser Höhendifferenz lässt sich seit vielen Jahrzehnten bequem bewältigen. Von Mittenwald führt Deutschlands zweithöchste Bergbahn seit dem Jahr 1967 zur Karwendelgrube unterhalb der Westlichen Karwendelspitze. Eines der historisch wie technisch herausragendsten Bauwerke der deutschen Seilbahngeschichte. Bereits beim Anblick der Trassierung der Bahn stockt einem der Atem. Steil geht es direkt von der Talstation hinauf, nur zwei Stützen benötigt die Anlage auf einer Gesamtlänge von knapp 2,5 Kilometern. Die Streckenbauwerke im mittleren Teil der Strecke sind mit blossem Auge von der Talstation aus kaum zu sehen. Geschweigedenn die beiden kleinen Kabinen der Pendelbahn, wenn sie sich in diesem Abschnitt bewegen.
Mit einem Tragseil je Fahrspur und einem Zugseil ausgestattet macht sich die Pendelbahn an schönen Tagen pausenlos und unermüdlich auf den Weg zur Bergstation. 25 Personen finden heute in einer Kabine Platz, das sind zehn weniger als bei den ursprünglichen Exemplaren aus dem Jahr 1967. Entsprechend exklusiv ist das Fahrterlebnis, bei dem die Aussicht auf Mittenwald mit jeder Sekunde besser wird. Mit Volldampf ist dann auch innert kürzester Zeit die erste Stütze passiert, die sich auf einem Felsvorsprung in der Nähe der Mittenwalder Hütte befindet. Gerade einmal 20 Meter misst die Höhe dieses Bauwerks, sodass die Kabinen dem Boden sehr nahe kommen. Bei einer maximalen Fahrgeschwindigkeit von 10 m/s ist das ein echtes Erlebnis und ein enormer Kontrast zu dem grossen Bodenabstand auf dem ersten Spannfeld oberhalb der Talstation.
Wandermöglichkeiten rund um die Karwendelspitze
Die mit 35 Metern etwas höhere zweite Stütze lässt nicht lange auf sich warten. Sie liegt in einem schlecht zugänglichen Bereich in einer Scharte unterhalb der Bergstation. Der Standort ist dennoch bewusst gewählt, damit die Anlage im lawinengefährdeten Teil weiter oberhalb ohne zusätzlichen Kontakt mit dem Boden auskommt. Der Hersteller der Bahn lässt sich anhand des charakteristischen Fachwerks der Stützen unschwer erkennen. Natürlich ist es in den 60er Jahren der führende deutsche Seilbahnhersteller PHB, der den Auftrag zum Bau der Anlage an der Karwendelspitze erhält. Bereits wenige Jahre zuvor zeichnet das Unternehmen für eine ähnlich spektakuläre Anlage ganz in der Nähe verantwortlich. Die Eibseeseilbahn zur Zugspitze.
Ganz langsam fahren die Kabinen in die am Abhang platzierte Bergstation ein. Gleich nebenan befindet sich heute nicht nur ein Restaurant, sondern auch noch ein in Form eines Fernrohrs gestalteter Aussichtspunkt, der frei schwebend über dem Abhang ein noch etwas spektakuläreres Panorama bietet. Im Sommer bieten sich rund um die Bergstation unzählige Wandermöglichkeiten von leicht bis anspruchsvoll. Beliebt ist ein Rundweg auf die andere Seite Karwendelgrube, an der bereits die Grenze zu Österreich liegt. Von diesem Grat bietet sich auch ein imposanter Ausblick in Richtung Südosten.
Zur Geschichte der Karwendelbahn
Die Technik der Anlage ist trotz der modernisierten Kabinen immer noch recht ursprünglich geblieben. Und so ist die Karwendelbahn nicht nur in Sachen Aussicht, sondern auch in punkto Seilbahnhistorie ein ausgesprochen spannendes Ziel. Viele derart spektakuläre Seilbahnen aus den 60er Jahren sind in den Alpen mittlerweile nicht mehr zu finden, erst recht nicht vom Hersteller PHB. Der Bau der Anlage nimmt übrigens bereits ein Jahrzehnt zuvor Formen an. Eine erste Transportseilbahn entsteht im Jahr 1954 von Mittenwald zur Karwendelgrube, finanzielle Probleme sorgen dann aber dafür, dass das Projekt vorerst nicht über den Rohbau der Talstation hinauskommt.
Und auch nach der Wiederaufnahme der Bauarbeiten verläuft die Fertigstellung alles andere als nach Plan. Eine unsachgemässe Sprengung beschädigt kurz vor der geplanten Eröffnung sämtliche bereits installierten Seile, von denen mehrere daraufhin ausgetauscht werden müssen. 1967 kann die Anlage mit ihren beeindruckenden 1311 Metern Höhendifferenz dann aber doch noch den Betrieb aufnehmen.
Technische Besonderheiten und ungewöhnliches Skivergnügen
Seit einem Umbau im Jahr 1992 dauert eine Fahrt nur noch etwa sieben Minuten. Ermöglicht wird das durch einen leistungsstarken Antrieb, den PHB in der Talstation unterbringt und mittels einer komplexen Seilführung auch mit einer Gewichtsabspannung des Zugseils kombiniert. Dass beide zentralen Komponenten in der Talstation untergebracht werden, ist auf die beengten Platzverhältnisse und das schwer zugängliche Gelände rund um die Bergstation zurückzuführen.
Und auch wenn es in dieser Lage auf den ersten Blick unmöglich scheint, so erschliesst die Karwendelbahn im Winter sogar ein kleines, ziemlich einmaliges Skigebiet. Ein langer Tunnel führt von der Bergstation in das Dammkar, wo die Wintersportler eine lange Skiroute erwartet. Über einen Weg geht es daraufhin zurück zur Talstation. Die Karwendelbahn ist damit alles andere als ein klassischer Zubringer in ein typisches Skigebiet. Doch kombiniert mit der spektakulären Trassierung und spannenden Geschichte macht sie das zu einem ausgesprochen besuchenswerten Ziel für Seilbahnfans.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.