Zwischen dem Karwendel- und dem Wettersteingebirge liegt der oberbayerische Ort Mittenwald. Bekannt als bedeutendes deutsches Zentrum für den Bau von Streich- und Zupfinstrumenten besitzt der Ort aber auch eine lange Tradition in Sachen Bergbahnen. Die Kranzberg-Sesselbahn am westlichen Ortsrand ist bereits seit dem Jahr 1950 an dieser Stelle in Betrieb und zählt damit zu den ältesten noch in Betrieb befindlichen Sesselbahnen der Welt.
Gebaut wird die Anlage mit ihren einplätzigen Sesseln vom Kölner Seilbahnpionier Julius Pohlig. Nach vielen erfolgreichen Jahrzehnten im Bau von grossen Materialseilbahnen in der ganzen Welt produziert Pohlig nach Ende des zweiten Weltkriegs auch Seilbahnanlagen für den Personentransport. Die Einersesselbahn am Kranzberg ist eines seiner ersten Werke und eines der wenigen, das heute noch annähernd im Originalzustand in Betrieb ist. Filigran wirkende olivgrüne Stützen sind das Markenzeichen dieser Anlage, genau wie die rot gestrichenen Aufhängungen der Rollen. Optisch nicht mehr ganz dem Original entsprechen die Wartungspodeste und Anhebeböcke auf den Stützen, die erst vor einigen Jahren nachgerüstet werden. Dem Nostalgieerlebnis tut das aber keinen Abbruch. Im Gegenteil, denn im gleichen Zug erhalten seinerzeit die Stützen einen neuen Anstrich, der der Anlage wieder neuen Glanz verleiht.
Eine der ältesten Sesselbahnen der Welt
Nach einem recht steilen Beginn überwinden die Sessel mit Stütze 3 und 4 einen ersten grösseren Gefällsbruch. In der Folge verläuft die Bahn ausgesprochen flach. Das äussert sich auch in ihren technischen Daten, denn auf einer Länge von knapp 1,5 Kilometern überwindet sie gerade einmal 232 Höhenmeter. Führt man sich aber das Baujahr vor Augen, ist die Sesselbahn zur damaligen Zeit ein echter Meilenstein des Seilbahnbaus.
Viele Seilbahnen sind seinerzeit in den bayerischen Alpen noch nicht anzutreffen, und so erfreut sich die Kranzberg-Sesselbahn trotz ihrer moderaten Höhenlage schnell grosser Beliebtheit. Sie führt in die Nähe des Gasthofs St. Anton und endet rund 150 Meter unterhalb des namensgebenden Gipfels. Dieser ist in den ersten Betriebsjahren daraufhin über eine kurze Wanderung erreicht. Trotz seiner geringen Höhe von nur 1397 Metern über dem Meer bietet sich vom Kranzberg ein hervorragendes 360°-Panorama auf das Wettersteingebirge und das auf der anderen Seite von Mittenwald gelegene Karwendelgebirge.
Die Fahrgeschwindigkeit von 1,5 m/s lädt aber auch schon während der Fahrt dazu ein, die Ausblicke in Ruhe zu geniessen. Etwa eine Viertelstunde sind die Sessel bis zur Bergstation unterwegs. Für die notwendige Antriebskraft sorgt wie bei Pohlig üblich eine fest installierte Einheit in der Talstation, während die Abspannung des Förderseils mit einem Gegengewicht in der Bergstation erfolgt. Diese Station kommt nach 14 Zwischenstützen schliesslich ins Blickfeld. Ein letztes Streckenbauwerk lenkt das Förderseil nach einem moderaten Anstieg vor der Station in die Horizontale, woraufhin der Ausstiegsbereich erreicht ist. Die Sessel verschwinden daraufhin für kurze Zeit in dem nostalgischen kleinen Holzhaus, bevor sie sich wieder auf den Weg zurück ins Tal machen.
Nostalgieerlebnis par excellence
Während dieser Talfahrt geniesst man erneut einen wunderbaren Blick auf die Umgebung. Das Karwendelgebirge liegt nun genau in Blickrichtung, davor befindet sich im Tal der Ort Mittenwald. Bis auf einige zusätzliche Schilder und die erwähnten Erweiterungen bei den Stützen hat sich in Sachen Optik an dieser Stelle während der letzten sieben Jahrzehnte wenig geändert. Etwas neueren Datums ist einzig der Transport von Mountain Karts mit der Sesselbahn, die für einen etwas schwungvolleren Weg zurück ins Tal genutzt werden können. Die gemütlichere und auch stilvollere Art zurück ins Tal zu gelangen, ist aber ohne Zweifel die schwebende Variante am Seil.
Während die Sesselbahn einige Jahre lang ein Einzelstück am Kranzberg bleibt, findet sie bereits Mitte der 1950er Jahre Gesellschaft in Form eines ersten Schlepplifts. Auch der Winterbetrieb hat am Kranzberg seither Tradition und so bildet die Anlage heute mit einer ganzen Reihe weiterer Aufstiegshilfen ein kleines Skigebiet. Fernab der üblichen modernen Aufstiegshilfen mit grossen Förderleistungen ist das Kranzberg-Gebiet auch im Winter ein Nostalgieerlebnis par excellence. Auch heute noch werden die Wintersportler nicht mit angeschnallten Wintersportgeräten befördert, sondern müssen die Ski während der Fahrt neben sich auf einer dafür vorgesehenen Halterung am Sessel ablegen.
Weiter hinauf zum Kranzberg-Gipfel
Schon ab dem Jahr 1955 erleichtert eine zweite Sektion in Form einer kleinen Pendelbahn den Weg auf den Kranzberg-Gipfel. Die gleichnamige Seilbahn stammt aus der Feder des Herstellers Karl Peter. Der kleine Betrieb zeichnet zu jener Zeit für mehrere solcher Anlagen in der näheren Umgebung verantwortlich, von denen viele auch heute noch weitgehend original im Einsatz sind. Die Kranzberg-Gipfelbahn stellt dagegen im Jahr 1982 den Betrieb ein, nachdem der Eigentümer und Betreiber bei einem Arbeitsunfall an einer Stütze tragischerweise ums Leben kommt.
Zum 50. Jubiläum wagt man im Jahr 2005 aber einen neuen Anlauf. Für kurze Zeit ist die Bahn daraufhin wieder in Betrieb, doch bereits nach wenigen Monaten fällt sie wieder in den Dornröschenschlaf. In diesem verharrt sie bis heute, auch wenn sie nach wie vor vollständig erhalten ist. Für das kleine Gebiet wäre es zu hoffen, dass sie eines Tages doch wieder Fahrgäste befördern kann. Das Nostalgieerlebnis am Kranzberg wäre dann noch eine Nummer einmaliger.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.