Die Seilbahn zum Taubenstein am Spitzingsee

1949 patentiert die Firma Giovanola aus dem Schweizerischen Monthey eine Kuppelklemme für Seilbahnen. Es ist eine Erfindung, die die Seilbahnwelt für viele Jahrzehnte prägen wird. Im aufstrebenden Tourismus nach dem zweiten Weltkrieg sehen viele Maschinenfabriken und Ingenieure ihre Chance. Der Absatzmarkt für Seilbahnen in Europa wird immer grösser, genau wie der Wunsch, die hohen Alpengipfel bequem für die Touristen zugänglich zu machen. Luftseilbahnen mit Pendelbetrieb sind zu diesem Zeitpunkt das Mass der Dinge. Mit ihren langen Spannfeldern und wenigen Stützen können sie weitgehend bodenunabhängig die Gipfel erreichen. Doch das Pendelprinzip hat einen gewaltigen Nachteil – die Förderleistung ist für die immer zahlreicheren Gäste viel zu gering.

Die Anfänge der Luftseilbahn

Der erste, der sich dem Problem noch vor dem Krieg annimmt, ist der Salzburger Konstrukteur Georg Wallmannsberger. Seine Idee – eine Seilbahn mit einem umlaufenden Zugseil, an das in regelmässigen Abständen kleine Kabinen für bis zu vier Personen geklemmt werden. Als Vorbild dienen die unzähligen Materialseilbahnen, die die deutschen Firmen Pohlig und Bleichert ab Ende des 19. Jahrhunderts zum Rohstoffabbau im Gebirge erstellen. Dort sind es kleine Kübel, die mit einer Klemme an einem Zugseil befestigt sind und von einem zusätzlichen Tragseil gestützt werden. In den Stationen werden sie automatisch vom Seil gelöst und über Schienen geführt.

Wallmannsberger optimiert das System und bietet es einigen Herstellern an – doch er findet zunächst keine Abnehmer. Erst nach dem Krieg kann er mit einer Weiterentwicklung Lizenzen zum Bau an die Schweizer Firma Bell und den österreichischen Konzern Wiener Brückenbau vergeben. Auch seine ursprüngliche Konstruktionsidee aus den 30er Jahren findet ab 1952 mit der Firma Girak noch einen Abnehmer.

Drei Schweizer Klemmensysteme

Parallel dazu entwickeln mehrere Schweizer Firmen aber ebenfalls eigene Systeme. Sie beruhen auf einer Vereinfachung, bei der statt Zug- und Tragseil nurmehr ein einziges Förderseil genutzt wird. Die Firma Von Roll setzt ihre VR101-Klemme bereits 1945 erstmalig bei einer Sesselbahn ein, die Firma Müller folgt mit einer Eigenentwicklung in den 50er Jahren. Die Walliser Gebrüder Giovanola liefern mit ihrer Schwerkraftklemme das dritte und zugleich simpelste Konstruktionsprinzip. Das Eigengewicht einer Kabine bringt hier die Kraft auf, um sie am Förderseil zu fixieren.

Noch 1949 versuchen sich die Erfinder an einer ersten Konstruktion am Genfer See – doch das System funktioniert nicht. Erst im Jahr darauf sind die Kinderkrankheiten beseitigt und eine zweite Anlage erblickt im Skiort Verbier das Licht der Welt. Von da an ist das System nicht mehr aufzuhalten. Weltweit findet Giovanola Abnehmer für die einfach aufgebauten, leichten und wartungsarmen Klemmen. Auch die deutsche Firma Pohlig erwirbt zu Beginn der 50er Jahre eine Lizenz.

Auch PHB greift auf Giovanola-Klemmen zurück

Das Giovanola-System löst damit das bis dato eingesetzte Zweiseilumlaufbahnsystem im Hause Pohlig ab. Die erste Anlage entsteht 1954 in Rüdesheim, weitere Bahnen folgen in den nächsten Jahren in Garmisch-Partenkirchen, Köln, Dortmund und am Edersee. Speziell für kleine Parkbahnen wie im Ruhrgebiet erweist sich das System als bestens geeignet. Und so ist es kein Wunder, dass nach der Fusion Pohligs mit den Firmen Heckel und Bleichert zu PHB auch eine Bahn mit Giovanolaklemmen zum Oktoberfest 1965 in München entsteht. Drei Jahre später folgt eine letzte Anlage mit Zweierkabinen in Freiburg.

Danach setzt PHB die Giovanolaklemmen in der Doppelvariante für vierplätzige Kabinen ein. Vier weitgehend baugleiche solche Anlagen entstehen in Westdeutschland in der ersten Hälfte der 70er Jahre. Das Erstlingswerk öffnet 1970 am Bocksberg im Harz seine Pforten, 1973 entstehen zwei Anlagen in Bad Dürkheim an der Weinstraße und zum Hochgrat in den Allgäuer Alpen. Die vierte Bahn ist die 1971 in Betrieb genommene Seilbahn vom Spitzingsee zum Taubenstein. Und entsteht damit unweit jenes Ortes, an dem 1950 noch eine Zweiseilumlaufbahn von Pohlig den Betrieb aufnehmen konnte.

Taubenstein – ein Skigebiet vom Reissbrett

Bereits in den Jahrzehnten vor dem Bau der Taubensteinbahn zählte der Spitzingsee mit dem Stümpfling zu den seinerzeit grössten Skigebieten in Bayern. Das neue Pistenareal am Taubenstein ist eine Erweiterung vom Reissbrett, die mit dem bestehenden Gebiet jedoch nicht direkt verbunden ist. Lediglich der bestehende Schlepplift an der Oberen Maxlraineralm wird miteinbezogen. Zwei weitere neue Schlepplifte entstehen gemeinsam mit der Taubensteinbahn. Direkt am Seeufer gelegen wird die Talstation der Seilbahn im typischen 70er-Jahre-Design erstellt. Ein Zweckbau mit viel Sichtbeton aussen und dunklem Holz im Kassenbereich, daneben ein geräumiger Parkplatz.

Die Seilbahntechnik im Innern der Station kann ihre Herkunft nicht verleugnen. Die Giovanola-Bauweise mit Gewichtsabspannung im Tal und Antrieb in der Bergstation wird von PHB 1:1 übernommen. Fortschrittlich sind die automatischen Fördereinrichtungen im Stationsumlauf, die schrägen Ebenen zum Beschleunigen und Verzögern dagegen ganz traditionell.

Typisch für Anlagen von PHB ist die Taubensteinbahn auf Langlebigkeit ausgelegt. So kommt es auch, dass sie bis heute nahezu im Originalzustand verkehrt. Sogar die olivgrünen und nostalgisch anmutenden Kabinen sind immer noch im Einsatz. Kurios ist die Tatsache, dass die Fahrbetriebsmittel zwar eine automatische Türöffnung besitzen, aber keine automatische Schliessung. Nur wenn sich Fahrgäste in einer Kabine befinden, werden die Türen von der Stationsaufsicht manuell geschlossen. Leere Kabinen verkehren daher mit offenen Türen auf der Strecke.

Neu und alt am Taubenstein

Auf 2,5 Kilometern Streckenlänge überwindet die Bahn lediglich 500 Höhenmeter. Sie zählt damit nicht zu den am spektakulärsten trassierten Seilbahnen der bayerischen Alpen, aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte wohl aber zu den interessantesten. Die Förderleistung von 700 Personen pro Stunde ist zum Zeitpunkt ihrer Eröffnung ein herausragender Wert – und auch heute noch völlig ausreichend. Denn wie in so vielen anderen Skigebieten in Bayern kämpft auch der Spitzingsee mit schneearmen Wintern. Das Gebiet am Stümpfling wird mit Beschneiungsanlagen und neuen Seilbahnen fortwährend modernisiert, um dem Trend gegenzusteuern. Der Winterbetrieb am Taubenstein wird dagegen 2013 nach vielen frequenzschwachen Jahren endgültig eingestellt.

Lediglich die Schlepplifte an der Oberen Maxlraineralm sind seither für Skifahrer in Betrieb, die gemeinsam mit der Taubensteinbahn entstandenen Lifte wurden mittlerweile abgebaut. Im Sommer ist der Taubenstein dagegen nach wie vor ein beliebtes Ausflugs- und Wanderziel. Und auch aus seilbahntechnischer Sicht lohnt sich eine Fahrt mit einer der letzten original erhaltenen Seilbahnen mit Giovanola-Klemme auf jeden Fall!

Schreibe einen Kommentar

Sicherheitsabfrage *