Auch wenn der starke Westwind am Lake Pearson den Camper in der Nacht ein paar Mal bedrohlich ins Schwanken gebracht hat, so hat er auf der anderen Seite zumindest verhindert, dass sich in dem Hochtal über Nacht ein Kältesee bilden konnte. Bei frischen, aber angenehmen Temperaturen marschiere ich an diesem Morgen noch vor dem Frühstück gleich zum See, um den Sonnenaufgang zu genießen. Mit mir tun das nicht nur einige andere Campinggäste gleich, sondern auch wieder zahlreiche Enten, die in der Morgensonne ein gutes Motiv abgeben.
Sonnenaufgang am Lake Pearson
Wirklich lange halte ich es aufgrund des immer noch starken Windes aber nicht aus, sodass ich nach dem Frühstück gleich in Richtung Arthur’s Pass aufbreche. Am Horizont kann ich bereits die Wolkenwalze erkennen, die wie schon gestern Abend von der Westküste gegen die Berge drückt, aber nicht über sie hinwegkommt. Ganz zu meiner Zufriedenheit, denn auf diese Weise kann ich die eindrucksvolle Bergwelt des Arthur’s Pass National Park in vollen Zügen und bei wolkenlosem Sonnenschein bestaunen. In der Ferne kann ich ein größeres Gletscherplateau ausmachen, um mich herum finden sich immer wieder breite und nahezu ebene Täler, die von einigen kleineren Bächen durchzogen werden.
Spektakuläre Landschaft und Straße im Arthur’s Pass National Park
Genauso spektakulär wie die Landschaft ist aber auch die Straße, die sich zum Arthur’s Pass hinauf schlängelt. Oftmals eng, kurvenreich und mit zahllosen Kuppen und Senken versehen ist sie bei dem starken Verkehr stellenweise ganz schön überlastet. Daher wird sie an diesen Stellen auch großzügig ausgebaut, was zu einigen Behinderungen führt. Der Verkehr wird in den entsprechenden Bereichen mit Ampeln einspurig geführt. Soweit, so gut. Nur hätte man geschickterweise die Ampelanlagen mit Bewegungssensoren ausgestattet, denn die festgelegten Intervalle sorgen dafür, dass natürlich immer genau die Seite fahren darf, auf der gerade keiner ist. Davon, die einzelnen Baustellenampeln in Reihe als „grüne Welle“ zu schalten, wage ich erst gar nicht zu träumen.
Gegen 9.30 Uhr treffe ich im noch schattigen Arthur’s Pass Village ein, das sich knapp fünf Kilometer unterhalb der Passhöhe befindet, aber letztlich die eigentliche Attraktion hier oben darstellt. Hier finden sich Motels, Campingplatz, Tankstelle und ein kleines Lebensmittelgeschäft. Ebenfalls legt die Eisenbahn am Bahnhof, der sich am Ortsrand befindet, einen Halt ein. Für sie ist Arthur’s Pass Village bereits der höchste Punkt, denn die Trasse verschwindet kurze Zeit später in einem Tunnel und durchquert den Alpenhauptkamm unterirdisch.
Die Eisenbahn über den Arthur’s Pass
Zahlreiche ungenutzte Gleise zeugen noch von einer Zeit, als hier reger Zugverkehr herrschte, denn ursprünglich wurde die Eisenbahn errichtet, um eine schnelle Verbindung von Christchurch zur Westküste und den dortigen Goldfundstätten zu schaffen. Der langsame Baufortschritt sorgte zwar dafür, dass der Goldrausch schon vor der Fertigstellung der Bahn beendet war, Bedeutung gewann der Zugverkehr aber auch durch andere Ausfuhrprodukte der Westküste wie Holz und Kohle.
Zumindest bis zum zweiten Weltkrieg, denn seither lebt die Eisenbahn am Arthur’s Pass nahezu ausschließlich vom Tourismus. Auch ich habe ja überlegt, die Reise über den Pass bis nach Greymouth und zurück mit der Bahn zu bestreiten. Letztlich habe ich mich aus verschiedenen Gründen aber dagegen entschieden. Zum einen ist mir der Preis mit rund 200 NZD zu teuer für eine Fahrt, die ich genauso auch auf der Straße durchführen kann, zum anderen habe ich mit dem Auto mehr Möglichkeiten, an interessanten Standorten Fotos zu machen. Und zu guter Letzt kann ich auf diese Weise am Arthur’s Pass auch noch ein wenig wandern.
Alpenüberquerung am Arthur’s Pass
Zunächst lege ich aber noch die verbleibenden Kilometer bis zur Passhöhe zurück, die so unscheinbar daherkommt, dass ich sie nur daran erkenne, dass es plötzlich bergab geht. Kein Hinweis, kein Parkplatz. Irgendwie bin ich da aus „unseren“ Alpen anderes gewohnt. So wende ich kurze Zeit später wieder, um auf dem Rückweg doch noch einen Stein zu finden, auf dem der Name und die Passhöhe eingraviert sind. Eine andere Einrichtung weckt dann aber am Straßenrand ebenfalls mein Interesse. Eine kleine Materialseilbahn zu einem Skigebiet, das weiter oben am Hang erkennbar ist.
Entlang der Straße zum Arthur’s Pass zweigen, wie mir gestern schon aufgefallen ist, Schotterpisten zu zahlreichen Skigebieten ab, die meisten sind aber im Sommer durch Tore versperrt. Dieses Gebiet an der Passhöhe ist zwar mehr oder weniger direkt an der Straße gelegen, einen einfachen Zugang bedeutet das aber nicht. Abgesehen von der Materialseilbahn gibt es nämlich keinen Zubringer zu den Skiliftanlagen, weswegen für die erste Abfahrt im Pulverschnee geschätzte 600 Höhenmeter zu Fuß zurückgelegt werden müssen.
Am Parkplatz ist der Weg auszumachen, der zur Bergstation der Materialseilbahn führt, wo sich die eigentlichen Aufstiegsanlagen befinden. Man ist geneigt zu glauben, dass es so etwas bei der europäischen Bequemlichkeit bei uns wohl nicht geben könnte. Das stimmt aber nicht ganz. Auch in den Alpen gibt es einige wenige derartige Gebiete. Hier aber scheint diese Art von Skifahren auch die breite Masse anzuziehen. Zumindest liegt diese Vermutung nahe, wenn man die üppig bemessene Größe des Parkplatzes zugrunde legt.
Arthur’s Pass Village
Die Größe des Skigebiets und Informationen über die vorhandenen Anlagen kann ich vor Ort nicht eruieren, sodass ich wieder zurück ins Arthur’s Pass Village fahre, wo ich die Ankunft der heutigen Zuggarnitur nach Greymouth dokumentieren will. Um 10.42 Uhr soll der Zug hier abfahren, da er aber sicher einige Minuten Aufenthalt haben wird, mache ich mich vorsorglich schon um 10.30 Uhr zum Bahnsteig auf. Meine Berechnung geht auf, denn schon wenige Augenblicke später trifft der lange Zug, von einer Doppeltraktion gezogen, am Bahnhof des Arthur’s Pass Village ein.
Kaum sind die Türen offen, strömen auch schon unzählige Menschen auf den Bahnsteig und fotografieren, was das Zeug hält. Manche verlassen den Bahnhof auch in Richtung Dorf, die meisten kehren jedoch nach einigen Minuten wieder in die Waggons zurück. Um 10.42 Uhr sind dann auch alle Türen wieder geschlossen, das Signal zeigt Fahrt, aber um die Abfahrt auf Video festzuhalten, muss ich mich noch gedulden. Der Grund für die Verzögerung ist zunächst nicht wirklich erkennbar. Schnell ist aber der Lokführer, der sich noch einmal entspannt im Führerstand zurücklehnt, als Verdächtiger identifiziert.
Um 10.46 Uhr, also mit mittlerweile vier Minuten Verspätung, setzt sich der Zug gemächlich wieder in Bewegung. Hach ja, da fühlt man sich doch gleich wieder wie in Deutschland. Und jetzt kann ich auch nachvollziehen, wieso die zwei Neuseeländer, mit denen ich mich in Geraldine lange unterhalten habe, so überrascht waren, dass in der Schweiz tatsächlich alle Züge genau dann abfahren, wenn es im Fahrplan steht!
Wandern im Arthur’s Pass National Park
Nachdem der Zug im Tunnel verschwunden ist, mache ich mich auf zu einem nahegelegenen Parkplatz, von dem aus ich zwei kleinere Wanderungen in Angriff nehme. Zwar gibt es mit dem Avalanche Peak und dem Mount Aicken auch zwei sehr lohnende Aussichtsgipfel. Diese befinden sich aber heute in den Wolken, die von der Westküste herüberschwappen. Eine Besteigung über einen der steilen Wege macht daher keinen Sinn. So marschiere ich zu den Devil’s Punchbowl Falls, einem 131 Meter hohen, sehr eindrücklichen Wasserfall. Von diesem mache ich einige Langzeitbelichtungen, ehe ich wieder den Rückweg über den gut ausgebauten Steig bestreite. Nächstes Ziel ist der Bridal Veil, ein weiterer Wasserfall. Die Fallhöhe ist hier zwar nicht ganz so imposant, von weitem ist der Anblick aber dennoch eindrucksvoll. Da die Sonne jedoch genau hinter dem Wasserfall steht, ergibt sich hier leider keine weitere schöne Fotogelegenheit. Künstlerpech!
Zurück am Auto ist es Zeit für eine Mittagspause, die ich etwas ausdehne, um mich von dem kalten Westwind ein wenig aufzuwärmen. Insgeheim hoffe ich darauf, dass mir irgendwann noch einer der berühmt-berüchtigten Keas über den Weg läuft. Die Vögel, die gerne an allem herum picken, was gerade so auffindbar ist, sollen hier eine regelrechte Plage sein. Mir begegnet aber kein einziges Exemplar. Nicht einmal während meiner Wanderung habe ich auch nur einen einzigen Vogel gehört geschweige denn gesehen.
Zwischenstopp am Castle Hill
Der Weg zurück in Richtung Canterbury Plains führt mich wieder an zahlreichen Baustellenampeln vorbei zum Castle Hill, einer interessanten Landschaft, die mir schon gestern auf der Hinfahrt ins Auge gestoßen ist. Genau genommen war es ein großer und gut gefüllter Parkplatz direkt an der Straße, der mir im Vorbeifahren aufgefallen ist. Wie sich bei meinem heutigen Stopp zeigt, führt von hier ein kurzer Weg zu einer Kalkgesteinsformation namens Kura Tawhiti, die vor allem bei Kletterern auf Interesse stößt, aber auch von zahlreichen Familien als Erholungsgebiet genutzt wird. Das Gestein stellt den Rest eines vor 30 bis 40 Millionen Jahren alten Meeresbodens dar und ist heute interessant anzuschauen, wenngleich – oder gerade weil – es irgendwie nicht so recht zur restlichen Landschaft passen will.
Zurück in die Canterbury Plains
Weit habe ich es nach diesem letzten Zwischenstopp nicht mehr. Hinter Springfield, wo ich gestern meine Mittagspause verbracht habe, steuere ich einen kleinen Campingplatz an, der hier von einem lokalen Inhaber geführt wird. Dieser ist bei meiner Ankunft gerade nicht vor Ort, ein anderer Gast meint aber, ich solle mich einfach auf die Wiese stellen, der Chef käme heute Abend zum Kassieren vorbei.
Das tut er dann auch, sodass ich die zehn Dollar artig bezahle, nachdem ich schon die Duschen und den Aufenthaltsraum genutzt habe. Viel mehr gibt es hier auch nicht, aber außer Toilette und ab und an mal einer Dusche brauche ich eigentlich auch nichts. Nur letzteres ist heute, da ich morgen in Christchurch noch einmal auf einem kostenlosen Platz übernachten will, unumgänglich. Zum Abschluss geht es am Mittwochabend noch ein letztes Mal in einen neuseeländischen Holiday Park, wo ich den Camper zur Rückgabe parat machen will.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.