San Bernardino – Bergdorf, Alpenpass, Strassentunnel. Der Kurort im Süden des Schweizer Kantons Graubünden geniesst wegen seiner verkehrstechnischen Bedeutung als wichtiger Alpenübergang weithin Bekanntheit. Auch der Tourismus hält hier schon früh Einzug.
Wintersport in San Bernardino
Bereits 1939 entsteht der erste Skilift, einer der ersten seiner Art im Kanton Graubünden. Natürlich ist es seinerzeit der Bügelskilifterfinder Ernst Constam, der am östlichen Dorfrand eine seiner patentierten Konstruktionen erstellen kann. Der Schlepplift Pian Cales überwindet gut 100 Höhenmeter und dringt in eine schneesichere Höhe von 1785 Metern vor.
Viel mehr als eine nette Übungsanlage zum Zeitvertreib ist der Skilift dann aber doch nicht, sodass schon bald der Wunsch nach etwas mehr Abwechslung aufkommt. Eine Erweiterung im Bereich Pian Cales folgt 1951 mit einem zweiten kurzen Lift, für fortgeschrittene Skifahrer bietet San Bernardino aber nach wie vor keine echte Alternative.
Das Skigebiet an der Alp de Confin
Mit Beginn der 70er Jahre startet dann ein neuer Anlauf zur Entwicklung eines ausgewachsenen Schneesportgebiets. Der aufstrebende Individualverkehr kann den Ort innert kürzester Zeit vom Norden wie vom Süden aus erreichen. Eine ideale Lage also, um Gäste aus dem In- und Ausland anzulocken. Weil die Hänge oberhalb des Pian Cales in Richtung Piz Motton jedoch alles andere als skitauglich sind, entsteht das neue Skigebiet von San Bernardino auf der gegenüberliegenden Talseite. Eine Zubringer-Kabinenbahn mit zwei durchaus interessanten Talabfahrten nimmt im Winter 1970/1971 gemeinsam mit zwei langen Schleppliften an der Alp de Confin den Betrieb auf. Mitte der 80er Jahre erfolgt zur Steigerung der Förderleistung der Bau einer fix geklemmten Sesselbahn und eines weiteren etwas kürzeren Skilifts auf den bestehenden Hängen. 1993 wird schliesslich auch die einzige Zubringerbahn durch eine neue Anlage mit grösserer Förderleistung ersetzt.
Die Lage inmitten eines grossen Kessels im Hochgebirge ist spektakulär. Die Abfahrten bieten einen abwechslungsreichen Mix aus anspruchsvollen und genussvollen Pisten, das Wintergeschäft floriert. Auch im Winter 2006 herrscht auf der Alp de Confin oberhalb von San Bernardino reges Treiben. Die Schneeverhältnisse sind exzellent, die Zubringer-Seilbahn wie auch die drei Schlepplifte und die Sesselbahn sind gut ausgelastet. Selbst aus dem fernen Mailand zieht es Tagesgäste auf die abwechslungsreichen Pisten im nördlichen Teil des Misox. Im Restaurant Confin 2000 sitzt man eng an eng auf der Terrasse. Alle zwölf Abfahrten melden Pulver gut.
Erkundung des stillgelegten Skigebiets von San Bernardino
Ein Wintertraum, der heute aber längst nur noch in der Erinnerung existiert. Denn Gäste transportieren die Seilbahnen hier schon lange nicht mehr. Einzig der Übungslift Pian Cales, letztmalig im Jahr 1992 durch eine neue Anlage ersetzt, ist heute noch in Betrieb. Was war geschehen? Gleich neben dem Ausgang des San-Bernardino-Tunnels ist auch heute noch die Talstation der Zubringer-Kabinenbahn in das Skigebiet anzutreffen. Vom ehemaligen Parkplatz des Skigebiets führt ein Wanderweg bis Confin Basso, der ersten Etappe auf dem Weg zur Alp de Confin.
Die grosse Restaurantterrasse, der Übungslift für die ersten Schwünge, die kurze Materialseilbahn von der Bergstation der Zubringerbahn zum Restaurant – alles steht unberührt an Ort und Stelle. Es braucht nicht viel Vorstellungskraft um sich auszumalen, wie es hier oben in knapp 2.000 Metern im Winter zu und her ging. Und doch ist nun alles anders. 2012 stellen die Anlagen den Betrieb aus finanzieller Not ein. Zu lange hat man längst notwendige Investitionen schleifen lassen, den Anschluss verloren an die Infrastruktur der umliegenden Skigebiete. Splügen, Carì, Airolo – wer von weiter her kommt, der sucht eher eines dieser Skigebiete mit moderneren und bequemeren Anlagen auf. Durch die fehlenden Gäste gerät San Bernardino in eine Abwärtsspirale. Hotels im Ort liegen brach, trotz guter Schneeverhältnisse dreht sich auf der Alp de Confin keine Rolle mehr.
Ein letztes Aufbäumen vor dem Unausweichlichen
Vier Jahre später lebt die Hoffnung für eine Saison nochmal weiter. Die Zubringer-Kabinenbahn und die Sesselbahn nehmen im Sommer 2016 den Betrieb wieder auf, im darauffolgenden Winter befördert auch der Schlepplift Lares wieder Gäste. Doch ohne die beiden langen Anlagen Tre Omen und Rotond fehlen zwei wichtige Zugpferde im Skigebiet. Auch die eingeschränkte Pistenauswahl im Vergleich zu früheren Jahren fällt gegenüber der attraktiveren Angebote der Konkurrenz deutlich ab. Schnell wird klar, dass das Skigebiet in seiner derzeitigen Form keine Zukunft mehr hat. Der Winter 2016/2017 ist daher das letzte Aufbäumen vor der unausweichlichen Stilllegung.
Seitdem dreht sich auf der Alp de Confin keine Rolle mehr. Ein surrealer Ort, der aber noch immer eine Geschichte erzählt. Der steile Schlepplift Tre Omen ist der erste, der in der Nähe der Bergstation der Zubringerbahn auf Confin Basso ins Blickfeld kommt. Ein halbes Jahrhundert steht er mittlerweile hier, die Talstation verwaist, wie alles andere hier oben. Nur der Wind pfeift durch die Löcher zwischen den Holzlatten des rustikalen Gebäudes.
Der Wanderweg zur Alp de Confin kreuzt den Schlepplift Tre Omen auf halber Höhe noch ein weiteres Mal. An dieser Stelle befindet sich zu Lebzeiten des Skigebiets ein Zwischeneinstieg. Überreste der touristischen Ära sind auch hier an zahlreichen Stellen anzutreffen.
Überreste der touristischen Ära sind allgegenwärtig
Nur unweit davon rückt eine weitere Anlage ins Blickfeld. Die Sesselbahn Pan de Zucher, ihres Zeichens Teil der Erweiterung in den 80er Jahren als Alternative zum bestehenden steilen Schlepplift und als zweiter Zubringer zum beliebten weitläufigen oberen Teil des Skigebiets. Wo sich einst Warteschlangen für die beliebten Plätze auf den Zweiersesseln bilden, schaukeln selbige heute lautlos im Wind. Fast wirkt es so, als müsste man die Anlage nur wieder starten, um den Ursprungszustand herzustellen. Aber mit jedem weiteren Winter ohne Skibetrieb wird eine Wiedereröffnung unwahrscheinlicher.
Gemeinsam mit der Sesselbahn entsteht 1984 auch der Schlepplift Lares. Er bedient die oberen Hänge der Alp de Confin und ist die mit Abstand beliebteste Anlage im gesamten Skigebiet. Doch auch hier ist der Glanz vergangener Zeiten längst verflogen. Genau wie am Schlepplift Rotond, der bereits im ersten Winter Anfang der 70er Jahre den Betrieb aufnimmt. Die weitläufigen Abfahrten im südlichen Teil des Gebiets sind auch landschaftlich besonders reizvoll.
Zukunft in San Bernardino?
Ob hier je wieder jauchzende Skifahrer über die Hänge schwingen werden? Eine Investorengruppe zeigt sich nach der Stilllegung der Anlagen interessiert an einer Übernahme des Skigebiets, inklusive dem Bau eines Feriendorfs im Ort. Realität werden die Pläne nie. Streitigkeiten und Skepsis in der Bevölkerung sorgen dafür, dass sich die Investoren wieder zurückziehen.
Zweifelsohne ist eine Wiedereröffnung des Skigebiets nur dann als sinnvoll zu erachten, wenn die Infrastruktur an den komfortorientierten Gast des 21. Jahrhunderts angepasst wird. Grosse Investitionen sind unausweichlich, wenn das Skigebiet wieder wirtschaftlich rentabel werden soll. Es wäre für die weithin vom Tourismus abhängige Bevölkerung von San Bernardino und dem Misox zu hoffen, dass sich in naher Zukunft eine Lösung findet. Ob sie je gefunden wird und San Bernardino seinen alten Glanz zurückgeben kann, steht in den Sternen. Aber noch ist die letzte Hoffnung nicht verloren.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.