Dieses Licht, diese Weite. Fast möchte ich einfach nur hier oben verweilen. Während unten im Tal bereits die saftig grünen Wiesen zu blühen beginnen, herrscht hier oben am Berg noch immer tiefster Winter. Frisch verschneite, nahezu unverspurte Hänge liegen unter mir. Den ganzen Tag über ist nicht wirklich viel Andrang gewesen. Aber jetzt stehe ich ganz alleine in der Nachmittagssonne auf dem Piz Cartas und blicke in das Val Carschung hinab, während hinter mir die letzten leeren Bügel den Gipfel erklimmen. Eine Wiederholungsfahrt werde ich noch schaffen. Dann gilt es auch für mich, den Weg zurück ins Tal anzutreten. Nach dem mehr anstrengenden als genussvollen Grosskampftag am Arlberg einen Tag zuvor sind die Eindrücke eine Wohltat.
Mein Ziel – Savognin
Allein schon aus diesem Grund fällt das erneute frühe Aufstehen am Morgen etwas schwerer als sonst. Doch dass es sich lohnen wird, zeichnet sich schon bei der kurzen Anfahrt ab. Die Sonne steht bereits hoch über dem Horizont, als ich zunächst den Lenzerheidepass erklimme und im Anschluss die Kurven in Richtung Julier hinter mir lasse. Immer mit dem einen Ohrwurm im Kopf.
Fragst du mich, wohin ich heute geh‘,
sag‘ ich dir, ich fahr‘ mal in den Schnee,
ich fahre in den Sonnenschein,
ich möcht‘ mal wieder glücklich sein.Fragst du mich, wo ist denn jener Ort,
lach‘ ich nur und dann bin ich schon fort,
ich geh‘ dahin, wo ich glücklich bin,
ja mein Ziel heisst Savognin!
Frei nach Peter, Sue und Marc mache auch ich mich nach über sechs Jahren wieder einmal auf den Weg nach Savognin. Dass seit meinem letzten Besuch so viel Zeit vergangen ist, ist aus mehreren Gründen eigentlich erstaunlich. Savognin liegt nur einen Katzensprung von meinem Haus- und Hofskigebiet auf der Lenzerheide entfernt. Und bislang hat das Gebiet noch nie enttäuscht. Doch wie so häufig gab es aufgrund abbruchgefährdeter Seilbahnen immer Ziele, die eine höhere Priorität genossen haben. Allein in diesem Winter bin ich auf dem Weg ins Engadin schon zwei Mal in Savognin vorbeigekommen. Habe die gewohnt schneearmen Hänge und die beschneite Talabfahrt rechter Hand liegen lassen. Und doch immer wieder daran gedacht, hinter dem grossen Holzbogen am Dorfeingang den Blinker in Richtung Sesselbahn Tigignas zu setzen.
Zur Entstehungsgeschichte des Skigebiets Savognin
Diese ist auch mehr oder weniger der Hauptgrund für meinen Besuch. Der März 2019 wird ihr letzter Betriebsmonat sein. Nach über drei Jahrzehnten tadellosem Betrieb wird sie wie schon die zweite Sektion von Tigignas nach Somtgant einer Kabinenbahn weichen müssen. Ihrerseits stellt sie vor mehr als dreissig Jahren bereits den Ersatz für die allererste Seilbahnanlage von Savognin dar – eine fix geklemmte Zweiersesselbahn von Städeli aus dem Jahr 1962. Für Savognin bedeutet der Neubau im Sommer 1987 nicht nur das Ende der langen Warteschlangen im Tal, er läutet auch eine neue Epoche des Skifahrens ein. Gemeinsam mit der damals leistungsfähigsten Beschneiungsanlage Europas sieht man sich in der niederschlagsarmen Region gut gerüstet für die folgenden Jahre. Mit der bereits 1984 eröffneten zweiten Sektion besitzt Savognin zudem zwei kuppelbare Sesselbahnen – ein Alleinstellungsmerkmal zur damaligen Zeit in Mittelbünden.
Bereits viele Jahre zuvor ist mit der Kabinenbahn nach Radons in zwei Sektionen ein zweiter Zubringer ins Skigebiet von Savognin entstanden. Einerseits als Entlastung für die häufig völlig übervölkerte Sesselbahn, andererseits aber auch zur Erschliessung der Hänge am Piz Cartas. 1966 und 1969 wächst das Skigebiet von Savognin in Richtung dieses bis heute mit 2700 Metern höchsten Punkts in zwei Etappen. Zunächst folgen als Ergänzung der Achse von Savognin zum Piz Martegnas die beiden Schlepplifte Naladas und Stanegn. Drei Jahre später erblicken auch zwei Sektionen Schlepplift von Radons via Tgeps auf den Cartas-Gipfel sowie die erwähnte Zubringer-Kabinenbahn das Licht der Welt. Letztere stammt anders als alle anderen Anlagen der damaligen Zeit nicht aus dem Hause Städeli, sondern wird vom Konkurrenten Gerhard Müller geliefert.
Das Skigebiet Savognin heute
Die nächste und bislang letzte wesentliche Erweiterung folgt Mitte der 70er Jahre mit den beiden Schleppliften Mot Laritg und Colms da Parsonz. Diese erweitern das Gebiet in der Folge nördlich des Piz Martegnas. Zudem erfolgt die Verstärkung der beiden Sektionen Schlepplift am Piz Cartas durch neue Parallelanlagen. Ab den 80er Jahren konzentriert man sich vorwiegend auf den Ersatz der bestehenden Schlepplifte durch Sesselbahnen. Zunächst 1983 im Bereich Stanegn, im Jahr darauf nach Somtgant und 1987 wie erwähnt auf der ersten Teilstrecke von Savognin nach Tigignas.
Die modernen Anlagen bedienen damit heute exklusiv die Achse von Savognin über Tigignas und Somtgant zum Piz Martegnas. Das wird sich somit auch mit der neuen Kabinenbahn nach Tigignas nicht ändern, deren Fortführung nach Somtgant bereits seit 2012 in Betrieb ist. Der restliche Teil des Savogniner Skigebiets bleibt damit auch in den nächsten Jahren aller Voraussicht nach noch in seiner ursprünglichen Form erhalten.
Hochleistungsseilbahn mit Ablaufdatum – Die Sesselbahn Savognin – Tigignas
Nach dem Kauf der Tageskarte laufe ich im Schlittschuhschritt zu den Eingangstoren der Sesselbahn Tigignas. Obwohl die Sonne gerade erst den Talgrund erreicht, mischen sich bereits die ersten Wiederholungsfahrer unter die Wartenden. Anders als in den meisten anderen Skigebieten startet der Betrieb in Savognin im Frühling bereits um 8 Uhr, bei sonntäglichen Sonnenaufgangsfahrten auf der Achse zum Piz Martegnas bereits um 6.30 Uhr. Doch erst jetzt, wo die hart gefroreren Pisten langsam auffirnen, kann das Skivergnügen so richtig beginnen.
Unterwegs von Savognin nach Tigignas, kurz hinter der Talstation.
Auch wenn es für Savognin genau wie für das restliche Nord- und Mittelbünden ein überdurchschnittlich schneereicher Winter ist, ohne Beschneiungsanlage wäre die Talabfahrt Ende März hier nicht mehr möglich. Dafür ist es in Savognin einfach zu trocken.
Die Kehrseite der Medaille sind die vielen Sonnenstunden, die Savognin das ganze Jahr über zählt. So wie an diesem warmen Frühlingsmorgen, hier beim Blick aus der Sesselbahn Tigignas in Richtung der Lenzerheide.
Weiter oberhalb sieht es dann aber doch noch ganz nach Winter aus. Neben der Talabfahrt, die mehrheitlich entlang der Sesselbahn verläuft, werden übrigens noch weitere Varianten gespurt. Teilweise führen sie nicht nach Savognin, sondern zu den oberhalb liegenden Weilern Riom und Parsonz.
Angekommen auf Tigignas, einem der zentralen Drehpunkte im Skigebiet von Savognin. Der Komplex mit Bergrestaurant und Seilbahnstationen ist leider alles andere als ansehnlich. Das Positive ist aber, dass sich die industrieskiartige Atmosphäre auf genau diesen Bereich beschränkt. Hat man die Hauptachse bis zum Piz Martegnas erst einmal hinter sich gelassen, dominieren in Savognin Ursprünglichkeit und Natur.
Die Bergstation der neuen Kabinenbahn wird auf gleicher Höhe wie die Talstation der zweiten Sektion zum Stehen kommen. Auf diese Weise wird auch die hier sichtbare kurze Standseilbahn zum Bergrestaurant Tigignas obsolet.
Von Tigignas nach Somtgant – Mit der ersten 10er-Kabinenbahn der Schweiz?
Aus dem Jahr 2012 stammt die Kabinenbahn von Tigignas nach Somtgant. Die Bergbahnen Savognin wie auch die Herstellerfirma Leitner bewerben sie damals als erste 10er-Kabinenbahn der Schweiz. Was nicht stimmt, denn die Firma Von Roll erstellte bereits 1988 die erste Anlage dieses Typs in Grimentz im Val d’Anniviers. Just diese Anlage erhält allerdings 2012 neue Kabinen für zwölf Personen. Wodurch die Bahn in Savognin zumindest von den heute in Betrieb befindlichen 10er-Kabinenbahnen tatsächlich die älteste der Schweiz ist.
Noch etwas kurioser als die fälschliche Werbung ist dagegen die Entstehungsgeschichte der beiden Anlagen, die die Kabinenbahn ersetzt. Die gemeinsam mit der ersten Sektion 1962 eröffnete Sesselbahn von Tigignas nach Somtgant wird 22 Jahre später um eine parallel verlaufende kuppelbare Dreiersesselbahn von Garaventa ergänzt. Es ist die erste Bahn mit der eigens entwickelten Tellerfederklemme, Nachfolger der in Lizenz von Doppelmayr genutzten Schweiger-Klemme. Die bestehende fix geklemmte Sesselbahn wird 1988 zum Schlepplift umfunktioniert und verkürzt. Nur, um sie ein Jahrzehnt später wieder auf die ursprüngliche Länge zu strecken.
Während der Bergfahrt nach Somtgant fällt der Blick immer wieder auf die bereits grünen Wiesen auf der gegenüberliegenden Talseite.
Kurz vor der Bergstation kommen nicht nur ein Funpark und das Berghaus Somtgant in Sicht, sondern auch die dritte Sektion der Seilbahnkette zum Piz Martegnas.
Einige Eindrücke der durchaus fotogenen Leitner-Kabinenbahn vor der Bündner Bergkulisse.
Die Sesselbahn am Piz Martegnas
Seit 1998 steht den Wintersportlern auch auf der dritten Sektion zum Gipfel des Piz Martegnas eine kuppelbare Umlaufbahn bereit. Es handelt sich um eine Sechsersesselbahn aus dem Hause Garaventa, die zwei Schlepplifte ersetzt. Einen davon auf gleicher Trasse, den zweiten nach Colms da Parsonz indirekt durch ihre höhere Förderleistung.
Trotz ihrer hohen Förderleistung sind die Abfahrten entlang der Sesselbahn Piz Martegnas stets angenehm leer. Was daran liegt, dass sie so viele verschiedene Varianten bedient. Denn sie ist nicht nur Beschäftigungsanlage, sondern auch der einzige Zubringer zu den Anlagen im Bereich Mot Laritg, Naladas und Radons. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch: Wenn diese Bahn nicht fährt, sind zwei Drittel des Skigebiets nicht erreichbar. Was ich schmerzlich während eines Föhnsturms bei meinem letzten Besuch 2013 erfahren musste …
Das obere Streckendrittel ist interessant zwischen zahlreichen grossen Felsen hindurch trassiert.
Angekommen auf dem Piz Martegnas – mit 2.670 Metern Höhe der zweithöchste Punkt im Skigebiet von Savognin.
Panorama- und Pistengenuss im Bereich Mot Laritg
Über eine der vielen Pistenvarianten stürze ich mich vom Piz Martegnas in den Bereich Mot Laritg hinab. Dieser ist ein Teil des Skigebiets Savognin, der mir bis heute völlig unbekannt ist. Bei all meinen vorherigen Besuchen war er stets wegen Schneemangels nicht befahrbar. Heute ist das anders. Über eine lange, leere und herrlich abseits trassierte Piste erreiche ich den zugehörigen Schlepplift. Dort geht es erwartungsgemäss nicht mehr ganz so ruhig zu und her. Kein Wunder, die pulvrigen Nordosthänge locken bereits zu dieser frühen Stunde zahlreiche Skifahrer an.
Eindrücke auf dem Weg zum Schlepplift Mot Laritg.
Seit seiner Eröffnung im Winter 1975 hat sich am Schlepplift Mot Laritg auf den ersten Blick nicht viel verändert. Noch immer geht es in Zweierreihen gemächlich zum Einstiegsbereich, noch immer rattern die Garaventa-Rollenbatterien am Einstiegsniederhalter. Doch bei genauerem Hinsehen stimmen heute weder Länge noch Höhendifferenz mit den Daten zum Zeitpunkt der Eröffnung überein. Das liegt an einem umfangreichen Umbau Ende der 90er Jahre. 1998 wird der Schlepplift mit einer Zwirbelkurve im oberen Streckenteil ausgestattet und biegt seither scharf nach links ab. Nach einem kurzen, aber steilen Stück erreicht er in der Folge seine neue Bergstation.
Grund für den Umbau ist im weitesten Sinne der Bau der Sesselbahn auf den Piz Martegnas. Diese ersetzt wie erwähnt auch den Schlepplift Colms da Parsonz, der bis dahin eine Besonderheit aufweist. Denn er dient nicht nur als Beschäftigungsanlage auf Somtgant, sondern auch als Rückbringer vom abgelegenen Schlepplift Mot Laritg. Als Tal-Berg-Tal-Lift verläuft der Schlepplift Colms da Parsonz über einen Berggrat hinweg. Auf der Rückseite kann er auf einem kurzen Stück in die entgegengesetzte Richtung verwendet werden. Ohne ihn wäre eine Rückkehr von Mot Laritg ins restliche Skigebiet wie in den ersten drei Betriebsjahren des dortigen Schlepplifts nur über eine lange Abfahrt nach Tigignas möglich. Doch das würde bedeuten, dass bei Schneemangel im unteren Teil der gesamte Bereich Mot Laritg nicht mehr befahren werden könnte. So kommt es zu der erwähnten Umbaumassnahme, die eine direkte Rückkehrmöglichkeit mit dem Schlepplift Mot Laritg nach Somtgant eröffnet.
Die Zwirbelkurve des Schlepplifts Mot Laritg
Der Schlepplift Mot Laritg auf nahezu seiner gesamten Länge. Vor dem Umbau führte der Lift geradeaus bis hinauf auf den sichtbaren Berggrat.
Obwohl jeder Bügel besetzt ist, halten sich die Wartezeiten an diesem Vormittag in Grenzen. Die Förderleistung ist gerade so ausreichend – und harmoniert bestens mit der Pistenkapazität.
Kurz vor der Zwirbelkurve wird das Ausmass der Ablenkung deutlich. Ging es früher geradeaus über den steilen Abhang hinauf, sind die letzten Stützen vor der heutigen Bergstation hier ganz am linken Bildrand erkennbar.
Die Zwirbelkurve in ihrer ganzen Pracht.
Eine Drillingskombination von Garaventa-Fachwerkstützen lenkt das Seil nach dem Steilstück vor der Bergstation ab. Nett sind auch die kleinen Details, die man im Skigebiet Savognin immer wieder antrifft. Wie hier den alten Holzbügel an der Fassade des Wärterhäuschens.
Der Schlepplift Mot Laritg mit seiner heute vermutlich einmalig scharfen Kurve. Erinnerungen werden wach an den legendären Schlepplift auf den Piz Mundaun in Obersaxen!
Die Zwirbelkurve mit den bereits schneefreien Südhängen oberhalb von Tiefencastel im Hintergrund. Links davon geht es zur Lenzerheide, rechts nach Filisur und Davos.
Für Schleppliftfreunde ist der Mot Laritg ein besonderer Leckerbissen.
Aber auch für den normalen Skifahrer sind die zahlreichen Abfahrten in ihrer Kessellage ein Genuss. Dank ihrer Ausrichtung nach Nordost findet man hier auch an einem warmen Frühlingstag am Nachmittag noch Pulverschnee vor.
Die etwas verwirrende Seilführung des Schlepplifts Mot Laritg, davor eine der wunderbar naturbelassenen und coupierten Abfahrten.
Eine Zeitreise zum Piz Cartas
Ein weiteres Mal trete ich den Weg zum Piz Martegnas an, um in der Folge den südlichen Skigebietsteil zwischen Radons und dem Piz Cartas zu erkunden. Ähnlich wie am Piz Martegnas charakterisiert sich die Landschaft auch dort durch eine eindrückliche Weite und moderat in östliche Richtung abfallende Hänge. Getrennt wird die Alp Tgeps von Somtgant durch ein schmales, aber sehr schroffes Felsband, das sich wie eine Demarkationslinie auf 2000 bis 2700 Meter Höhe quer durch das Skigebiet zieht. Nur eine einzige Abfahrt quert diesen Felsriegel, ansonsten ist der Rückweg vom Piz Cartas und Radons nur über das Val Nandro direkt nach Tigignas oder über den Schlepplift Naladas nach Somtgant möglich.
Der Felsriegel Crap Farreras trennt aber nicht nur die beiden Seilbahnachsen Martegnas und Cartas voneinander. Er stellt in gewisser Weise auch den Übergang zwischen zwei Welten dar, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Da sind auf der einen Seite die modernen Hochleistungsanlagen zwischen Savognin und dem Piz Martegnas mit allen Annehmlichkeiten für den komfortsuchenden Skigast den 21. Jahrhunderts. Auf der anderen Seite, am Piz Cartas, sieht die Welt dagegen noch so aus wie in vielen Skigebieten der 70er Jahre. Zwei Sektionen leistungsstarke Doppelschlepplifte erschliessen den Gipfel. Sie folgen dem Gelände mit vielen Zwischenstützen, nehmen jede natürliche Welle auf ihrem Weg bis in 2700 Meter Höhe mit. Zusätzliche Infrastruktur sucht man am Piz Cartas vergebens. Der Notaus-Knopf, den der Liftwart neben seinem Liegestuhl in der Sonne platziert hat, ist die einzige interaktive technische Errungenschaft, die es in den letzten 50 Jahren bis hierher geschafft hat.
Restaurants finden sich dafür gleich mehrere im Bereich des verstreuten Weiler Radons. Aber die Atmosphäre ist auch hier ursprünglich. Mit alten Steinbauten, Sonnenterrassen und den klassisch sonnenverblichenen Plastikstühlen im Orange der bunten 70er. Der zweckmässige Selbstbedienungsbunker fehlt hier. Man trifft ihn jenseits des Crap Farreras auf Tigignas an. Best of both worlds eben – und gerade diese Zweiteilung macht das Skigebiet von Savognin so interessant.
Radons und der Schlepplift Tgeps
Blick auf die weiten Hänge unterhalb des Piz Cartas von der Bergstation Piz Martegnas aus gesehen.
Die Bergstation des Doppelschlepplifts auf dem Piz Cartas.
Die Weite der baumfreien Hänge hier oben ist beeindruckend. Genauso wie der Doppelschlepplift, der unermüdlich die Wintersportler in die Höhe schaufelt.
Radons mit einem der Bergrestaurants, der Bergstation der im Jahr 2000 rückgebauten Zubringer-Kabinenbahn rechts und dem bestehenden Doppelschlepplift Tgeps am linken Bildrand.
Einmal gedreht wird der Blick frei auf die Nordflanke des Piz Mez und eine der herrlich trassierten Abfahrten nach Radons.
Auf der anderen Seite des Schlepplifts Tgeps ist der Blick noch ein wenig eindrücklicher. Radons liegt auf einer Hochebene in rund 1900 Metern Höhe, die dahinterliegenden Gipfel knacken fast alle die 3000-Meter-Marke.
Unterwegs im Schlepplift von Radons nach Tgeps. Dem aufmerksamen Betrachter werden die unterschiedlichen Aufhängungen der Rollenbatterien gleich ins Auge stechen. Der linke Lift stammt original von der Firma Städeli aus dem Jahr 1969, der rechte dagegen wird 1975 an die bereits damals vorgesehen Doppelstützen adaptiert. Konstrukteur ist diesmal die Firma Garaventa.
Bis in knapp 2300 Meter Höhe führt die erste Sektion. Startet man vom Gipfel des Piz Cartas, liegen einem über 800 Höhenmeter zu Füssen. Und das alles erschlossen mit Schleppliften. Ein Genuss!
Kurz vor der Bergstation wird es dann etwas deutlicher, dass der rechte Lift aus dem Hause Garaventa stammt.
Von Tgeps auf den Piz Cartas
Auf der zweiten Sektion sind die Rollen genau vertauscht. Hier stellt Städeli 1969 zunächst den rechten Schlepplift fertig und Garaventa baut sechs Jahre später den linken an.
Der untere Teil des Schlepplifts Piz Cartas.
Das vielleicht charakteristischste Merkmal des Schlepplifts ist die Brücke über eine der Abfahrten in der Streckenmitte.
Der Doppelschlepplift ermöglicht Spässe, von denen man heute häufig nur noch in Erinnerung schwelgen kann. Wie zum Beispiel ein Wettrennen, wer den Gipfel zuerst erreicht.
Das Rattern der Rollenbatterien, das filigrane Fachwerk vor einer sehenswerten Bergkulisse. Mich erinnert der Anblick an den legendären Doppelschlepplift am Stätzerhorn auf der Lenzerheide. Eine Anlage, vor der ich als Dreikäsehoch in den 90ern wegen der Länge und Steilheit mehr Respekt empfand als vor jedem anderen Schlepplift. Irgendwann wird wohl auch hier am Piz Cartas eine Rundrohrstütze prangen. Aber daran will ich heute lieber keine Gedanken verschwenden.
Mehr Zeitreise geht nicht! Dieses Jahr kann der Schlepplift Piz Cartas ein halbes Jahrhundert Existenz feiern.
Auch neben den markierten Abfahrten bieten sich unzählige Abfahrtsvarianten vom Piz Cartas. Doch das Panorama lädt auch dazu ein, einfach einmal eine Pause einzulegen und zu geniessen.
Eine weitere Runde nach Radons liegt vor mir.
Zurück in die Gegenwart mit dem Schlepplift Naladas
Irgendwann ist dann aber an der Zeit, den Piz Cartas und den Felsriegel Crap Farreras hinter mir zu lassen. Da die obere Route zwischen den Felsen hindurch wegen Lawinengefahr gesperrt ist, führt der Weg zurück in die Gegenwart über den Schlepplift Naladas. 1966 von der Firma Städeli als Beschäftigungsanlage erstellt, dient er heute vornehmlich als Rückbringer Richtung Somtgant. Die einzige direkte Abfahrt am Lift ist zwar ebenfalls nett trassiert, aber erstaunlich wenig frequentiert. Genau wie der Schlepplift selbst.
Vielleicht hängt es mit seinem doch zeitweise sehr anspruchsvollen Verlauf zusammen. In der Streckenmitte überwindet er ein Steilstück, das heute mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer Neuerschliessung keine Bewilligung mehr bekäme. Ein Glück, dass die Ansprüche vor fünfzig Jahren noch andere waren. Denn so macht Schleppliftfahren erst richtig Freude!
Die Talstation des Schlepplifts Naladas liegt so versteckt, dass man sie glatt übersehen könnte. Doch der laute Antrieb weist einem den rechten Weg.
Auch hier trifft man auf Fachwerkstützen im klassischen Städeli-Look. Die Trassierung durch den lichten Nadelwald ist ein interessanter Kontrast zu den baumfreien Hängen am Piz Cartas.
Nach dem ersten Streckendrittel besitzt der Schlepplift einen optionalen Zwischeneinstieg für den Fall, dass im unteren Teil zu wenig Schnee liegt. Er kann dann immer noch als Rückbringer von Radons genutzt werden.
Das Steilstück muss aber auch in diesem Fall befahren werden.
Einmal geschafft geht es in der Folge deutlich flacher voran. Seit 1999 macht der Lift im oberen Streckenteil eine leichte Rechtskurve. Sie wird eingebaut, um den Schlepplift verlängern zu können. Dadurch kann er indirekt die wenig frequentierte Sesselbahn Stanegn als Rückbringer nach Somtgant ersetzen. Diese wird bereits 1998 beim Bau der Sesselbahn Martegnas abgebaut und im darauffolgenden Jahr in Sarn am Heinzenberg wieder aufgestellt.
Weil die vorhandenen Stützen für die Verlängerung nicht ausreichen, trifft man kurz vor der Bergstation auf die klassische Garaventa-Variante. Seit dem Umbau überwindet der Schlepplift Naladas stattliche 530 Höhenmeter.
Die Diretissima am Schlepplift Naladas.
Tagesausklang auf neuen Wegen
Am Nachmittag kehre ich noch einmal in den Sektor Mot Laritg zurück. Dank seiner Kessellage mit nordöstlicher Hangausrichtung sind die Pisten in diesem Bereich noch immer herrlich pulvrig. Ich bin nicht der einzige mit dieser Idee, doch der Platz geht auf den Pisten nicht aus. Erst recht nicht, als ich mich vom Schlepplift Mot Laritg verabschiede und mit der weit abseits trassierten Abfahrt nach Tigignas noch eine gänzlich neue Route erkunde. Die wellige Piste folgt dem natürlichen Verlauf des Bergs mit vielen Kuppen und Kurven – und sie demonstriert eindrücklich die enorme Weite des Skigebiets Savognin.
Auf dem Weg vom Piz Martegnas zum Schlepplift Mot Laritg.
Die weit abgelegene Piste von Mot Laritg nach Tigignas.
Der Tagesabschluss aber gebührt noch einmal dem Piz Cartas.
Die zwei Gesichter des Skigebiets Savognin
Es gibt Skigebiete, die haben ihren ursprünglichen Charakter mangels übertriebener Investitionen in die Infrastruktur bewahren können. Und es gibt Skigebiete, die genau das Gegenteil darstellen. Beide Typen habe ich im Laufe der Jahre zu Genüge kennen gelernt, mit klarer Sympathieverteilung. Doch es gibt wenige Gebiete, die keiner der beiden Kategorien zuordenbar sind. Sei es, weil sie sich gerade im Umbruch befinden. Sei es, weil sie so gross sind, dass von allem etwas anzutreffen ist. Auch Savognin zählt zu dieser Kategorie mit unscharfer Zuordnung. Doch die Besonderheit besteht darin, dass es vermutlich kein zweites Skigebiet gibt, in dem die beiden Welten räumlich durch eine so klare Linie voneinander getrennt sind.
Die Seilbahnachse auf den Piz Martegnas mit Beschneiung, Kinderland und moderner Infrastruktur könnte genauso gut in einem Industrieskigebiet ein Land weiter östlich stehen. Und so ist es trotz aller Nostalgiegefühle für die Sesselbahn Tigignas gut, dass die modernste Anlage im Skigebiet Savognin ab nächster Saison an ihrer Stelle stehen wird. Dort, wo ohnehin schon die Moderne waltet. Es bewahrt den Sektor Radons vorerst davor, ins erschliessungstechnische Mittelmass abzudriften. Die leistungsstarken Doppelschlepplifte, die unzähligen Abfahrten und die weitläufige Struktur der baumfreien Hänge sind ein Alleinstellungsmerkmal, das eine Zeitreise in die Anfänge des Skifahrens als Breitensport ermöglicht. Eine eigene Welt eben, eine Welt jenseits des Crap Farreras. Abgeschottet hinter einem Felsriegel, irgendwo in den Bündner Bergen.
Gleichwohl ist auch das Skifahren an den Hängen des Piz Martegnas genussvoll. Anders als an vielen anderen Orten haben die modernen Seilbahnen nicht dazu geführt, dass auch die Pisten durch Geländekorrekturen massentauglich und austauschbar geworden sind. Die Abfahrten glänzen auch in diesem Bereich durch Kuppen, Senken und einen natürlichen Verlauf. Und doch ist es erst der stetige Wechsel zwischen den beiden Welten, der einen Skitag in Savognin so besonders macht. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Zeitreisen noch lange möglich sein werden.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.