Es pfeift der Föhnwind über die Berggipfel, die Täler präsentieren sich grün in grün, die Liftanlagen in den Skigebieten stehen still. Wie schon im Vorjahr ist der Auftakt zur Wintersaison auf der Alpennordseite eine einzige Katastrophe. Nach vielen Jahren habe ich mir für diese Saison wieder eine Jahreskarte für die Lenzerheide gekauft, um vorrangig dort die Pisten unsicher zu machen. Doch jeden Morgen zuerst mit dem Auto zu einer der wenigen geöffneten Anlagen fahren, statt direkt die Ski anzuschnallen und über die schneebedeckten Strassen zur Talstation zu gelangen. Jeden Tag dieselben drei, vier Pisten auf ihren Kunstschneeeisbahnen herunterrutschen. Irgendwie wird es nach nur drei Tagen schon gewaltig langweilig. Und wenn dann nach Weihnachten der grosse Ansturm der Feriengäste kommt, wird es wohl erst recht den Bach abgehen.
So flüchte ich am 23. Dezember in den Süden. Das Engadin ist zwar auch nicht überdurchschnittlich mit Schnee verwöhnt, aber immerhin ist die Lage um Längen besser als in Nord- und Mittelbünden. Mehrere Skigebiete stehen zur Auswahl, der Entscheid fällt schliesslich auf den Corvatsch, dessen Teilgebiet Furtschellas am Tag zuvor den Betrieb aufgenommen hat. An diesem Nordhang um diese Jahreszeit eine schattigere Angelegenheit als auf der sonnenverwöhnten Corviglia, doch im Gegensatz zum St. Moritzer Hausberg war ich am Piz Corvatsch noch nie zum Skifahren. Eine gute Gelegenheit, diese Tatsache einmal zu ändern.
Diese Zeilen schrieb ich vor ziemlich genau einem Jahr, als die Schneesituation auf der Alpennordseite nicht wirklich vielversprechend aussah. Das änderte sich Anfang 2015 dann glücklicherweise, sodass es doch noch zu einer für mich persönlich schönen und wettertechnisch erfolgreichen Skisaison 2014/2015 reichte. Dass es im Jahr darauf nicht nur wieder solch einen Fehlstart in die neue Saison geben würde, sondern alles noch eine Nummer schlimmer kommen sollte, davon ahnte ich damals natürlich nichts. Und so war es – verglichen mit der derzeitigen Situation – im Dezember 2014 eigentlich Jammern auf hohem Niveau. Denn damals lag wenigstens auf der Alpensüdseite ausreichend Naturschnee zum Skifahren.
Ein Jahr später liegt auch im Engadin bis auf 3000 Meter Höhe so gut wie gar kein Naturschnee. Dort, wo die Schneekanonen ihr Werk nicht vollrichten können, ist an Skibetrieb nicht zu denken. Am Corvatsch wurden Schneekanonen dank der Ausrichtung nach Norden und der Höhenlage bislang nie wirklich benötigt und sind daher nur in geringer Stückzahl vorhanden. Dort, wo ich Ende Dezember 2014 den frischen Pulverschnee genoss, ist dieses Jahr nichts als eine Geröllwüste auszumachen.
Flucht in den Süden II
Auch auf der Corviglia sieht es kaum besser aus. Da die Südhänge für einen sicheren Saisonstart im November aber grossflächig mit Kanonen bestückt sind, ziehen sich immerhin einige weisse Bänder durch die Landschaft, auf denen dem Skivergnügen gefrönt werden kann. Sowohl von weitem als auch von nahem wirkt die Situation völlig surreal. Entlang völlig ausgetrockneter Wiesen erfolgt die Bergfahrt mit Sessel- und Kabinenbahnen, unterwegs trifft man auf Wanderer und Biker.
Bis auf die in höheren Regionen gelegenen Anlagen – an denen verständlicherweise keine künstliche Beschneiung vorhanden ist – sind dank des Frau-Holle-Ersatzes aber alle Bahnen für Skifahrer in Betrieb. Nahezu ein Alleinstellungsmerkmal diesen Winter. Denn damit bietet die Corviglia zur Zeit alpenweit eines der umfangreichsten Pistenangebote. Grund genug also, trotz der geschlossenen Bahnen an der Fuorcla Grischa, St. Moritz für einen Tagesausflug anzusteuern.
Bergfahrt entlang ausgetrockneter Wiesen
Nach der Bergfahrt mit der Signalbahn, in deren Kabine ich Richtung Tal und damit auf die leicht verzuckerte Nordseite des Oberengadins blicke, sieht es auf der Sesselbahn Signal-Munt da San Murezzan alles andere als nach Winter aus.
Auch dieses Foto mit Blick in Richtung Malojapass spricht Bände. Die sichtbare Abfahrt im Vordergrund führt zu den Sesselbahnen im Bereich Randolins.
Irgendwie ist der Anblick auf dem Weg zum Munt da San Murezzan aber auch schon wieder so unglaubwürdig, dass es schon wieder originell wirkt. Links von der Sesselbahn wäre eigentlich eine Piste – wenn es denn Schnee hätte. Auch am Doppelschlepplift von Habegger, der hier vor dem Bau der heutigen Garaventa-Sesselbahn 1991 seine Runden drehte, wäre an Skibetrieb nicht zu denken.
Auf 2700 Metern Höhe liegt dann tatsächlich ein wenig Naturschnee neben den Kunstschneebändern. Im Hintergrund die Zwillingsstation der beiden Garaventa-Sesselbahnen auf dem Munt da San Murezzan, die 1991 respektive 1994 erstellt wurden. Die ältere der beiden Anlagen besitzt seit neuestem keine Hauben mehr. Für die Ski-Weltmeisterschaft 2017 wird wohl auch die Anlage Salastrains-Munt da San Murezzan mit neuen Betriebsmitteln bestückt werden. Zuoberst ist am Zwischenausstieg der Luftseilbahn auf den Piz Nair die Einrichtung für den Start der Weltcupabfahrt zu sehen. Die Tore im Steilhang stehen zwar bereits, noch ist aber nicht vorstellbar, dass sich hier in ein paar Monaten die waghalsigen Abfahrer zum alpinen Skiweltcupfinale herunterstürzen können.
Einfahren am Munt da San Murezzan
Die altehrwürdige Sesselbahn Suvretta-Randolins ist mangels beschneiter Abfahrt nur als Zubringer in Betrieb. Um eine der letzten Sesselbahnen mit originalen Lattensesseln handelt es sich bei dieser Von-Roll-Anlage aus dem Jahr 1983, die einen Constam-Schlepplift ersetzte.
Gleich zwei Schlepplifte – darunter einen von Constam und einen von Bühler – ersetzte die Leitner-Sesselbahn Randolins-Munt da San Murezzan. Die baugleiche Anlage am Lej da la Pêsch weist diese Saison bislang noch keinen Betriebstag auf.
Wieder angekommen am Munt da San Murezzan mit Blick in Richtung Corvatsch-Furtschellas, wo dieses Jahr gerade einmal drei Anlagen für den Skibetrieb geöffnet sind.
Die Luftseilbahn auf den Piz Nair ist geöffnet – allerdings nur für Fussgänger.
Munt da San Murezzan mit Piz Nair im Hintergrund.
Über ein weisses Band nach Salastrains
An der Sesselbahn Salastrains-Munt da San Murezzan kommt das ganze Elend am deutlichsten zur Geltung. Dort wo Schnee liegt, sind die Pisten aber in einem ausgezeichneten Zustand. Rechts sind die Talstation und der Verlauf des etwas kürzeren Vorgängers erkennbar – ein Habegger-Schlepplift. Beim Bau der Sesselbahn 1994 wurde der obere Teil durch einen neuen Garaventa-Schlepplift mit Zwirbelkurve weiterhin genutzt. Dieser wurde allerdings nach nur gerade zehn Betriebsjahren ersatzlos geschliffen.
Sesselbahn Salastrains-Munt da San Murezzan – ein echtes Arbeitstier, was man der Anlage inzwischen trotz ihres relativ geringen Alters anmerkt.
Der einzige verbliebene Schlepplift im Skigebiet Corviglia – von zwei kleinen Übungsliften abgesehen – ist der Schlepplift Sass Runzöl, unverkennbar ein Habegger-Produkt. Der relativ flache Hang, den er erschliesst, kann mangels weisser Unterlage nicht befahren werden, sodass sich eine Fahrt mit dem kurzen Schlepplift leider nicht ausgeht.
Marguns und Trais Fluors im Herbstkleid
Auch im Sektor Marguns sieht es alles andere als nach Dezember aus. Dafür ist die Sesselbahn Trais Fluors, die erste Sechsersesselbahn der Schweiz und die einzige der Firma Von Roll, technisch äusserst interessant. Im letzten Jahr vor dem Verkauf der Seilbahnsparte an Doppelmayr erstellte Von Roll 1995 hier eine vollautomatische Sechsersesselbahn mit Haubensesseln und Doppelklemmen des Typs VH400. Auch wenn von der Leichtbauweise des Quattro-Systems für Vierersesselbahnen an dieser übergrossen Anlage nicht viel übernommen werden konnte, so sind bei genauem Hinsehen doch einige Konzepte identisch, wie beispielsweise die lotrecht montierten Stützen.
Sesselbahn Marguns-Trais Fluors. Als einzige Von-Roll-Sesselbahn besitzt sie Stützen mit Wechsellast-Rollenbatterien.
An der Bergstation, wo sich der Unterflurantrieb befindet, sieht es wenigstens ein bisschen nach Winter aus. Typisch für Von Roll werden in den Stationen alle Förderer über Wellen und entsprechende Übersetzungen direkt von der Umlenkscheibe angetrieben.
Auch an der Sesselbahn Fuorcla Glüna wäre ohne Kunstschnee kein Skibetrieb denkbar. Ebenfalls erkennbar ist in der linken Bildhälfte die Strecke der Sesselbahn Fuorcla Grischa.
Quer durch die Mondlandschaft an der Fuorcla Glüna
Die Sesselbahn Fuorcla Glüna, ein klassisches Von-Roll-Produkt aus den 90er Jahren. Wenige Jahre nach meinem letzten Besuch 2007 erhielt sie eine umfassende Sanierung, bei der unter anderem auch die Gangloff-Haubensessel durch solche von Doppelmayr ersetzt wurden.
Die Strecke ist durchwegs spektakulär. Auffallend ist auch die für eine Vierersesselbahn verhältnismässig grosse Seilspur.
Angekommen an der Bergstation in 2700 Metern Höhe. Der Vorgänger, ein Dreieckslift von Garaventa, besass seine Bergstation gute 80 Höhenmeter oberhalb, ungefähr hinter der hier sichtbaren linken Rollenbatterie. Von der Bergstation und den Stützen dürfte es gemäss Luftbildern noch einige Überreste geben. Das wäre mal eine spannende Entdeckungstour für den Sommer.
Die schlichte Bergstation im Von Rollschen Tunnelröhrendesign.
Stille an der Fuorcla Grischa
Wohl eine der herausragendsten Sesselbahnen der Alpen, die Sesselbahn Fuorcla Grischa. 1988 als eine Neuerschliessung gebaut bedient die letzte kuppelbare Dreiersesselbahn von Von Roll eine schwarze Piste in einem abgelegenen Hochtal in knapp 3000 Metern Höhe. Wo sich normalerweise unzählige Skifahrer um diese Jahreszeit tummeln, herrscht heute aber völlige Stille. An Skifahren ist in der unwirtlichen Gerölllandschaft bei diesen Schneemengen nicht zu denken. Ähnlich wie die Sesselbahn Fuorcla Glüna erhielt auch die Anlage an der Fuorcla Grischa 2007 eine Sanierung, bei der die originalen Haubensessel durch Doppelmayr-Exemplare ersetzt wurden.
Eisbahn nach Marguns
Technisch weitaus weniger spannend, dafür aber in Betrieb sind die beiden Doppelmayr-Anlagen Marguns-Corviglia und Marguns-Plateau Nair. Erstere ersetzte eine gerade einmal siebzehnjährige Von-Roll-Dreiersesselbahn, die 2006 in Zuoz wieder aufgebaut wurde, die Anlage zum Plateau Nair folgte einem Garaventa-Schlepplift.
Talfahrt nach Celerina
Auch in Celerina ist der Skibetrieb nur dank Kunstschnee möglich. Die beiden Anlagen Tschainas von Garaventa und Pravuler-Quartas von Baco sind jedoch nur für Anfänger interessant.
Sowohl technisch als auch landschaftlich interessanter ist die Kabinenbahn Celerina-Marguns. 1991 ersetzte diese moderne Von-Roll-Kabinenbahn eine Zweiseilumlaufbahn von Bell, kapazitätsmässig ist aber auch die aktuelle Anlage zeitweise ein Engpass.
In der Talstation der Kabinenbahn Celerina-Marguns, wo sich die Gewichtsabspannung befindet.
Wüsste man es nicht besser, würde man beim Aufnahmedatum dieses Fotos wohl auf September oder Oktober tippen.
Zurück zur Corviglia und nach St. Moritz
Die Nordosthänge der Corviglia, hier an der Sesselbahn Marguns-Corviglia, machen schon eher einen winterlichen Eindruck.
Im Vordergrund geben sich einige Pistenraupen Mühe, den Snowpark Corviglia herzurichten, während im Talboden braune Wiesen dominieren.
Unterwegs mit der durchwegs interessant trassierten Sesselbahn Marguns-Plateau Nair. Im Gegensatz zu ihrem Pendant ohne Hauben Richtung Corviglia erschliesst sie auch eine Reihe interessanter Abfahrten. Der Kunstschnee beginnt hier aber mit fortschreitender Tageszeit immer mehr zu vereisen.
Die Luftseilbahn Corviglia-Piz Nair, die 2002 eine Anlage von Habegger ersetzte.
Ebenfalls 2002 errichtet wurde die Sesselbahn FIS-Hang Corviglia. Wie unschwer erkennbar ist, handelt es sich um eine Anlage von Leitner – die erste ihrer Art mit Direktantrieb. Sie ersetzte auf neuer Trasse zwei Schlepplifte von Habegger.
Ihre Bergstation befindet sich gleich vis-à-vis zur Sesselbahn Marguns-Plateau Nair.
Luftseilbahn Corviglia-Piz Nair.
Tagesausklang am Signal
Die Standseilbahn Chantarella-Corviglia. Mangels vernünftiger geöffneter Abfahrt fahre ich diese Von-Roll-Anlage heute nicht.
Den Tag lasse ich stattdessen bei dieser mystischen Stimmung an der Sesselbahn Salastrains-Munt da San Murezzan ausklingen.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.