Lac d’Estaing und Lac de Suyen – Unberührte Pyrenäen?

Völlig windstill ist es am Ufer des Lac d’Estaing. Anders als an der Pont d’Espagne ein Tal weiter östlich herrscht auch sonst eine angenehme Ruhe. Das Vallée d’Estaing ist touristisch weit unbedeutender. Wer von Lourdes kommend die großen vier der Pyrenäen besucht, der nimmt von dem kleinen Tal mit Ausgang bei der Ortschaft Argèles-Gazots keine Notiz. Neben Pic du Midi, Cirque de Gavarnie und der erwähnten Pont d’Espagne ist scheinbar kein Platz mehr in den Reiseführern. Wer in Argèles-Gazots von der Hauptstraße nach Süden abbiegt, der tut das vermutlich in der Regel, um auf den bekannten Col de Soulor zu gelangen.

Das kleine Bergdorf Arras-en-Lavedan an der Passtraße zu dem erwähnten Tour-de-France-Pass ist das Tor zum Vallée d’Estaing. Hier zweigt eine kleine Straße ab, die in der Folge über viele Hügel und in dichten Wäldern nach Süden vordringt. Sie ist so schmal, dass nicht einmal Platz für einen Mittelstreifen ist. Wie aus dem Nichts erscheint nach einer Viertelstunde Fahrt plötzlich die kleine Ortschaft Estaing. Das Leben spielt sich hier entlang der einzigen Hauptstraße ab. Viele alte Bauernhäuser und eine Steinbrücke prägen das Ortsbild.

Bauernhäuser, Steinbrücken und der Lac d’Estaing

Der kommunale Campingplatz befindet sich aber nicht im Ort selbst, sondern weitere fünfzehn Fahrminuten weiter talaufwärts. Am südlichen Ende des Lac d’Estaing erwartet den Besucher ein schön angelegter Platz am Waldrand. Gleich daneben findet sich eine Gaststätte. Was nach ausgeklügelter touristischer Infrastruktur klingt, ist bei genauerem Hinsehen nur ein unbedeutender kleiner Punkt im sonst so natürlich gebliebenen Vallée d’Estaing. Es gibt keinen Handyempfang, keinen Lärm, keine störenden künstlichen Bespaßungsanlagen. Der Lac d’Estaing liegt mitten in der unberührten Natur. Gleich dahinter befindet sich der Eingang in den Nationalpark Pyrenäen. Ohne pompöses Eingangstor und Parkautomat wie im Tal nebenan.

An diesem Herbstmorgen kommt die Natürlichkeit des Tals besonders gut zur Geltung. Einige Pferde grasen am Ufer des Sees, während sich die umliegenden Berge auf der glatten Wasseroberfläche spiegeln. Langsam beleuchtet die Morgensonne immer größere Teile der umliegenden Berge, bis sie schließlich den Talgrund und den See erreicht.

Sonnenaufgang am Lac d'Estaing in den Pyrenäen

Sonnenaufgang am Lac d'Estaing in den Pyrenäen

Das Vallée du Tech und die Wasserkraft der Pyrenäen

Über die Steinbrücke von Estaing schlage ich die Route über den Col des Bordères ein. Der Pass verbindet das Estaing-Tal mit dem Vallée du Tech. Entlang der Straße finden sich einige Unterkünfte, ansonsten führt der Weg erneut recht abgelegen durch den Wald. Erst als ich in Arrens-Marsous die Straße zum Col du Soulor wieder erreiche, kehrt ein wenig Leben ein. Das liegt auch daran, dass an dieser Stelle eine weitere Gebirgsstraße das Vallée du Tech erschließt. Genau wie das Estaing-Tal besitzt die Region eine untergeordnete touristische Bedeutung. Anders als weiter südlich gibt es hier sogar nicht einmal Ortschaft. Dass das Tal überhaupt durch eine Straße erschlossen ist, hat einen ganz anderen Grund.

Wasser zur Elektrizitätserzeugung zu nutzen hat nicht nur in den Alpen eine lange Tradition. Auch die engen Täler der Pyrenäen bieten Potential zum Bau von Stauseen. Dem ist man sich Mitte des 20. Jahrhunderts bewusst. Dass der Bau dieser Konstruktionen das Landschaftsbild massiv und dauerhaft beeinträchtigt, auch. So entscheidet man sich dazu, das bis dato weitgehend unbekannte Vallée du Tech zu fluten. Zwischen 1949 und 1951 entsteht die Staumauer, hinter der sich in 1200 Metern Höhe der Lac du Tech befindet. Der Weg dorthin ist geprägt von der grauen Wand, die mit der Zeit immer näher kommt. Einmal oben angekommen ist die Entstehungsgeschichte des Sees aber schnell vergessen. Einige Angler haben es sich am Ufer gemütlich gemacht. Zwischen den unzähligen freilaufenden Weidetieren, die den Bereich um den See säumen, versuchen sie ihr Glück.

Stausee Lac du Tech in den Pyrenäen

Reizvolle Landschaft am Lac de Suyen

Dass die Straße heute vor allem aber ein Ziel für Touristen ist, wird an den vielen Parkplätzen deutlich, die sich entlang des Lac du Tech erstrecken. Auch hier kümmern sich einige Gaststätten um das Wohl der Besucher, die von hier aus auf den Wanderwegen die Gegend erkunden. Am Lac du Tech ist jedoch auch für den motorisierten Verkehr noch nicht Schluss. Die Straße schlängelt sich bis in eine Höhe von 1500 Metern weiter hinauf. Direkt am Eingang zum Nationalpark Pyrenäen findet sich ein letztes Parkareal. In weniger als einer halben Stunde erreicht man von hier mit dem Lac de Suyen ein natürliches Wasserbecken. Weitere zehn Fußminuten oberhalb bietet sich mit dem Doumblas-Wasserfall ein weiteres reizvolles Naturschauspiel.

Lac de Suyen im Nationalpark Pyrenäen

Lac de Suyen im Nationalpark Pyrenäen

Wasserfall Cascade de Doumblas im Nationalpark Pyrenäen

Vom künstlichen Staudamm des Lac du Tech ist hier oben nichts mehr zu sehen. Dafür lockt das hochalpine Terrain der Hautes-Pyrenées. Bis zum Lac de Migouélou und seinem Refuge ist es nicht mehr weit. Alternativ beherbergt das Refuge de Larribet Wanderer unweit des Pic du Balaïtous. Der Gipfel ist der westlichste Dreitausender der Gebirgskette. Im Tal nebenan wartet der Lac d’Artouste mit seiner eigentümlichen Schmalspur-Eisenbahn.

Verglichen mit den touristischen Höhepunkten der Pyrenäen sind die Täler des Tech und Estaing eine wohltuende Oase der Ruhe und Natürlichkeit. Doch auf meinem Weg zurück ins Tal, vorbei an der Barrage du Tech, merke ich – so ganz unberührt sind die Pyrenäen auch hier nicht mehr.

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