Petit Train d’Artouste – Der höchste Zug Europas?

„Bienvenue au train le plus haut d’Europe“ dröhnt es aus den Lautsprechern. Ich sehe mich nochmal genau um. Nein, ich sitze nicht in der Zahnradbahn zum Jungfraujoch. Mit krächzender Stimme ertönt die Ansage ein zweites Mal. Diesmal in englischer Sprache. Also auch kein Übersetzungsfehler. Auf 1900 Metern über dem Meer setzt sich die Diesellok langsam, aber hörbar in Bewegung. Es dauert nicht lange, da verschwindet auch der letzte Wagen, in dem ich mich befinde, in einem dunklen Tunnel. Also doch unterwegs zum Jungfraujoch?

Weit gefehlt. Bereits nach kurzer Zeit befindet sich der Zug wieder am Tageslicht und setzt quietschend, aber ohne an Höhe zu gewinnen, seinen Weg auf den schmalen Gleisen fort. Ich sitze nicht in einem Zug zum Jungfraujoch, sondern in einer Schmalspurbahn zum Lac d’Artouste, mitten in den Pyrenäen.

Petit Train d'Artouste in den Pyrenäen

Eine Eisenbahn zum Bau des Lac d’Artouste

Seit 1932 wird die Bahnstrecke zum Lac d’Artouste für touristische Zwecke genutzt. Zurück geht der Bau auf die Compagnie des Chemins de Fer du Midi, die gegen Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Aufbau eines flächendeckenden Netzes an Wasserkraftwerken beginnt. Auch im Ossau-Tal soll mit dem Lac d’Artouste ein künstlicher See errichtet werden. Zwar befindet sich das Tal unweit der schon damals genutzten Nord-Süd-Route über den Col du Pourtalet, der Zugang gestaltet sich jedoch schwierig. Daher erfolgt zum Bau der Staumauer die Errichtung einer Materialseilbahn von der kleinen Ortschaft Artouste an der Pourtalet-Passstraße bis zum Pic de la Sagette in rund 1900 Meter Höhe.

Von dort transportiert eine Schmalspurbahn die Materialen über knapp zehn Kilometer zum Fuß der Staumauer. Dabei überwindet sie keinerlei Höhendifferenz, sondern verläuft ohne Steigung entlang der westlichen Talseite des Vallée d’Ossau. Genutzt wird die Bahn auch zum Bau der unterirdischen Druckstollen, die parallel verlaufen. Über seitliche Zugänge entlang der Bahntrasse in die Stollen kann der Bau schnell vorangetrieben werden.

Skigebiet und neuer Zubringer zum Petit Train d’Artouste

Nachdem die Anlage 1929 in Betrieb gehen kann, entschließt man sich nicht zu einem Rückbau der Zubringerbahnen. Das touristische Potential wird in den weitgehend unerschlossenen Pyrenäen als groß angesehen. So wird die Materialseilbahn in eine Luftseilbahn mit einer Kabine für Personen umgebaut, die Schmalspurbahn erhält ebenfalls für Touristen geeignete Waggons. Flaschenhals bleibt die kleine Luftseilbahn, die aus diesem Grund 1957 einer größeren Anlage weichen muss.

Die größte Neuerung erfährt die Attraktion zu Beginn der 80er Jahre, als mit dem Bau des Skigebiets Artouste auch ein neuer Zubringer von Fabrèges zur Eisenbahn eingeweiht wird. Die Kabinenbahn Sagette stellt einen Zugang zum kleinen Bahnhof am Tunnel de l’Ours sicher. Der Abschnitt zwischen der alten Luftseilbahn und der neuen Anlage wird seither nur noch als Abstellbereich genutzt.

Seilbahn Fabrèges - Sagette zum Petit Train d'Artouste

Eine Stunde Erlebnistour zum Lac d’Artouste

Zurück ins Jahr 2018. Vom Lac d’Artouste ist noch nichts zu sehen, als die Lok die erste Ausweichstelle auf der sonst einspurigen Strecke erreicht. Ein weitgehend leerer Zug kommt mit etwas Verspätung entgegen. Normalerweise ist die Dauer des Aufenthalts am See mit rund eineinhalb Stunden ab Ankunft fest vorgegeben. Vermutlich würden sich andernfalls am Abend lange Warteschlangen bilden. An diesem prächtigen Herbsttag gibt es dagegen keine feste Rückfahrzeit. Die Saison geht dem Ende zu, die Hälfte der Zugkompositionen ist gar nicht mehr im Einsatz.

Quietschend setzen wir den Weg über die Gleise fort, je nach Kurvenradius mit acht bis zwölf Kilometern in der Stunde. Ein paar Murmeltiere lassen sich entlang der Trasse nicht von ihrem Mittagessen abhalten. Sie sind es inzwischen gewohnt, dass alle halbe Stunde eine Horde fotografierender Touristen vorbeikommt.

Mit dem Petit Train d'Artouste durch den Nationalpark Pyrenäen

Vallée d'Ossau in den Pyrenäen

Nach einer knappen Stunde ist die Staumauer des Lac d’Artouste erreicht. Vorbei an der kleinen Bar sind es noch fünfzehn Minuten zu Fuß, bis die Krone und damit der See erreicht ist. Am östlichen Ende der Mauer weist ein Schild auf den Eingang zum Nationalpark Pyrenäen hin. Zahlreiche Tageswanderungen zu den umliegenden Bergen und Seen des Parks starten an dieser Stelle. Für Wanderer gibt es daher ein limitiertes Ticket, das auch in der Hochsaison freie Wahl bei der Rückfahrt mit dem Zug erlaubt. Denn für die normalen eineinhalb Stunden Aufenthalt ist die Fülle an interessanten Zielen im Nationalpark einfach zu groß.

Lac d'Artouste im Nationalpark Pyrenäen

Schafsherde auf der Staumauer des Lac d'Artouste

Eine in vielerlei Hinsicht einmalige Attraktion

Unterhalb der Staumauer trifft währenddessen der nächste Zug ein. Der Lokführer koppelt sein Gefährt von den Wagen ab und rangiert zum anderen Ende des Zugs. Eine Stunde dauert es nun wieder, bis der Bahnhof Sagette und die Kabinenbahn ins Tal nach Fabrèges erreicht sind.

Der Petit Train d’Artouste ist ohne jeden Zweifel eine Attraktion, deren Besuch nur zu empfehlen ist. Die ruppige Fahrt an den steilen Abhängen des Ossau-Tals entlang besitzt eine gewisse Einmaligkeit. Genauso wie die Eisenbahn selbst mit ihrer lauten Diesellok, ihren bunten Wagen und der Miniatur-Spurweite. Der Petit Train d’Artouste ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Warum man ihn dann jedoch ausgerechnet mit dem fragwürdigen Rekord des höchsten Zugs Europas betitelt, bleibt aber auch nach der Fahrt zum Lac d’Artouste ein Geheimnis.

Vallée d'Ossau in den Pyrenäen

Mit dem Petit Train d'Artouste durch den Nationalpark Pyrenäen

Mit dem Petit Train d'Artouste durch den Nationalpark Pyrenäen

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