Pic du Midi de Bigorre – Wie aus einer anderen Welt

Tropfen auf dem Autodach. Der Blick aus dem Fenster ist eine graue Angelegenheit. Und wieder macht sich eine gewisse Ernüchterung breit. Lange habe ich auf diesen Tag gewartet. Alles andere darauf ausgerichtet, die große Fahrt heute in Angriff zu nehmen. Doch jetzt könnte der Plan plötzlich scheitern.

Gewitter und Regen an der Hourquette d’Ancizan

Der Besuch des Pic du Midi soll der Höhepunkt meiner Reise durch die Pyrenäen werden. Nicht nur bezogen auf die Höhe über dem Meeresspiegel. Doch anders als an der immerblauen Mittelmeerküste zeigt sich das Bergwetter von seiner wechselhaften Seite. Auch an diesem feuchten Septembermorgen ist das nicht anders. Meine Übernachtungsstätte am Lac de Payolle liegt irgendwo im Nirgendwo. Gestern habe ich den See über eine kleine, aber schön trassierte Gebirgsstraße erreicht. Denn die Hourquette d’Ancizan ist ein landschaftlich wirklich lohnender Passübergang. Bei dem gestrigen Gewittersturm habe ich davon aber wenig mitbekommen.

Pferde auf der Hourquette d'Ancizan im Gewitterregen

Weiter hier zu warten, macht aber auch keinen Sinn. Ohne Handynetz kann ich nicht einmal die neueste Wetterprognose abrufen. Vorbei an zahllosen freilaufenden Kühen führt mich der Weg daher ins Tal hinab in das Örtchen Sainte-Marie de Campan. Lange dauert es aber nicht, bis ich schon wieder bergwärts in Richtung des Col du Tourmalet steuere. Kehre um Kehre folge ich dem Asphaltband, als plötzlich blauer Himmel durch die Nebeldecke schimmert. Wenige Augenblicke später blendet mich die Sonne. Hastig suche ich nach meiner Sonnenbrille und blicke auf ein Nebelmeer, das sich bis zum nördlichen Horizont erstreckt.

Plötzlich schimmert blauer Himmel durch die Nebeldecke

Ich kann mein Glück kaum fassen, als ich kurz darauf die Retortenstation La Mongie erreiche. Hier starten nicht nur unzählige Skilifte, die im Winter über den Col du Tourmalet hinaus ein weitläufiges Pistenareal erschließen. La Mongie ist auch der Ausgangspunkt der Seilbahn auf den Pic du Midi de Bigorre – seines Zeichens mit 2877 Metern über dem Meer der höchste Pyrenäengipfel, der per Seilbahn erreichbar ist.

So früh am Morgen sind hier nur wenige Menschen auszumachen. Ich finde direkt vor der Station einen Parkplatz und kann schon kurze Zeit später mein Ticket für die Bergfahrt in den Händen halten. Inbegriffen ist nicht nur die Seilbahnfahrt, sondern auch ein Besuch der zahlreichen Attraktionen auf dem Gipfel. Denn dort dreht sich alles um Himmelsbeobachtungen.

Talstation der Seilbahn zum Pic du Midi in La Mongie

La Mongie mit Blick Richtung Col du Tourmalet im Sommer

Das Observatorium auf dem Pic du Midi

Schon früh kristallisiert sich der Pic du Midi als idealer Standort für ein Observatorium heraus. Der Gipfel ist zu Fuß relativ leicht zu erreichen, der Blick wird nicht durch umliegende Berge eingeschränkt und mit einer einsamen Lage im Hochgebirge ist er weit von jeglicher Lichtverschmutzung der umliegenden Dörfer und Städte entfernt.

Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts finden auf dem Gipfel erste astronomische Beobachtungen einer Sonnenfinsternis statt. Nach dem Bau einer provisorischen Wetterstation kann 1882 schließlich das Observatorium eröffnet werden. In den folgenden Jahrzehnten kommen zahlreiche technische Erweiterungen hinzu. So dienen die installierten Teleskope in der Folge dem Kartieren von Sonnen- und Planeten, später auch der Erforschung kosmischer Strahlung. Wegweisend für das Leben im Observatorium sind 1949 die Schaffung einer Elektrizitätsversorgung und 1952 die Einweihung einer Luftseilbahn bis auf den Gipfel. Die kleine Anlage stellt eine ganzjährig nutzbare und zeitgemäße Verbindung ins Tal sicher. 1963 erhält der Gipfel sein markantestes Wahrzeichen: der Sendemast, dessen Silhouette noch aus weiter Entfernung sichtbar ist.

Immer wieder wird der Betrieb des Observatoriums jedoch durch die Kriege in Europa beeinträchtigt und aus finanziellen Gründen infragegestellt. Ende 1998 ist das französische Forschungsministerium nicht mehr bereit, die Kosten für den Betrieb alleine zu tragen. Ein Konsortium bestehend aus den umliegenden Gemeinden, dem Département Hautes-Pyrenées und der Region Midi-Pyrenées kann die Schließung jedoch abwenden. Durch großangelegte Investitionen kann der Pic du Midi zu einem Touristenmagnet ausgebaut werden, der sich in der Folge selbständig tragen kann.

Panorama vom Pic du Midi auf die Pyrenäen

Panorama vom Pic du Midi auf die Pyrenäen

Mit der Luftseilbahn von La Mongie auf den Pic du Midi

Teil der neuen Infrastruktur sind zwei Sektionen Luftseilbahn, die von La Mongie über Le Toualet den Gipfel erschließen. Besonders die zweite Sektion mit ihrem langen Spannfeld und der ungewöhnlichen Portalstütze vor der Bergstation prägen die abenteuerliche Fahrt auf den Gipfel. Dort findet sich ein Museum, das die Geschichte des Observatoriums und der astronomischen Beobachtungen anhand zahlreicher Exponate erläutert.

Obwohl die Seilbahn übrigens mitten im Skigebiet von La Mongie startet, ist sie nicht Teil des eigentlichen Pistenareals. Die Anlage kann jedoch im Winter von Skitourengängern genutzt werden, sodass auch eine Variantenabfahrt vom Pic du Midi möglich ist.

Seilbahn zum Pic du Midi im Sommer

Seilbahn auf den Pic du Midi mit Nebelmeer

Sternbeobachtungen und Panoramagenuss

Abseits des gewöhnlichen Tagesgeschäfts besteht mit der Seilbahn auch die Möglichkeit, den Pic du Midi zu ungewöhnlichen Zeiten zu erreichen. Spezielle Angebote zu Sonnenuntergangsfahrten und Sternenbeobachtungen in der Nacht finden während des ganzen Jahres statt. Die Plätze für diese Fahrten sind jedoch limitiert und meist Monate im Voraus ausgebucht. Eine Portion Glück gehört also dazu, damit einem das unberechenbare Pyrenäen-Wetter keinen Strich durch die Rechnung macht.

Aber auch mitten am Tag lohnt sich ein Ausflug auf den Pic du Midi, wie ich an diesem Herbstmorgen festelle. Mit der ersten Kabine des Tages erreiche ich den Gipfel und seine Aussichtsplattform. Nach Norden hin blicke ich auf das Nebelmeer, das sich von hier oben noch ein wenig mehr in der Unendlichkeit zu verlieren scheint. Nichts ist zu sehen von den südfranzösischen Städten Toulouse, Tarbes oder Pau, die sich unter der Nebeldecke verstecken. Nicht einmal die höchsten Gipfel des Massif Central sind am Horizont erkennbar. Bei klarer Sicht und ohne Nebelmeer sind sie die am weitesten entfernten Punkte, die vom Pic du Midi aus sichtbar sind. Rund ein Sechstel der Fläche Frankreichs liegt einem bei optimalen Wetterverhältnissen hier zu Füßen.

Doch auch der Blick in Richtung Süden ist überaus imposant. Während sich am Col du Tourmalet die Wolken über den Pass kämpfen, glänzen die unzähligen Dreitausender der Pyrenäen in der Vormittagssonne. Nahezu das gesamte Gebirgsmassiv ist von hier aus sichtbar. Unter den prominentesten Gipfeln finden sich der Vignemale, der Pic du Néouvielle und natürlich der mit 3404 Metern höchste Berg der Pyrenäen, der Pico Aneto.

Aussichtssteg auf dem Pic du Midi

Seilbahn zum Pic du Midi im Sommer

Nebelmeer auf dem Pic du Midi

Panorama vom Pic du Midi mit Nebelmeer

Zurück in eine andere Welt

Es fällt mir schwer, um die Mittagszeit den Weg zurück ins Tal anzutreten. Die Kabine der ersten Sektion taucht kurz nach der ersten Zwischenstütze in den mittlerweile angestiegenen Nebel ein. Es ist ungemütlich kalt und nass, als ich die Talstation in La Mongie verlasse. Plötzlich bin ich wieder zurück in der Welt, in der ich am Morgen aufgewacht bin. Fast so, als hätte der Besuch auf dem majestätischen Pic du Midi nie stattgefunden.

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