Sonnenuntergangswanderung zum Roy’s Peak am Lake Wanaka

Das Wetter entwickelt sich wie erhofft und nach einer klaren und daher bitterkalten Nacht stehe ich am Samstagmorgen später als gewöhnlich auf, denn das Haupttagesprogramm soll mit der Besteigung des Roy’s Peak erst am Nachmittag stattfinden. Eigentlich bin ich fast schon zu spät. Denn nach Müll entsorgen, Wassertank auffüllen und Scheiben trocknen kann ich gerade noch so die – eher als Richtlinie gesehene – Checkout-Zeit um 10 Uhr einhalten. Ein erster Fotostopp führt mich noch einmal zu der Bucht des Lake Wanaka, an der ich am Vorabend den Sonnenuntergang genossen habe. Auch an diesem Vormittag ist die herbstliche Stimmung hier mit den farbigen Blättern famos, sodass ich noch eine Zeit lang am Seeufer verweile.

Herbst am Lake Wanaka

Am Seeufer entlang zum Roy’s Peak Track

Rund eine halbe Stunde später breche ich in Richtung Parkplatz des Roy’s Peak Track auf, der genau am anderen, nämlich dem westlichen Ufer des Lake Wanaka liegt. Unterwegs lege ich noch eine kurze Pause am Fuße des Mount Iron ein, auf den ebenfalls ein Wanderweg führt. Mit 45 Minuten Wegzeit ist der Gipfel hier deutlich schneller erreicht als der des Mount Roy, dafür dürfte die Aussicht aber bei weitem nicht so eindrucksvoll sein. Aber eventuell ist der Berg eine gute Ergänzung, falls ich doch schon – aus welchen Gründen auch immer – früher als geplant vom Roy’s Peak zurück sein sollte.

Eigentlich möchte ich gerne mindestens bis zum Sonnenuntergang auf dem Gipfel bleiben, vielleicht bietet sich der Ort aber auch für eine Aufnahme der Milchstraße an. Das würde allerdings bedeuten, dass ich den Abstieg über 1.100 Höhenmeter komplett im Dunkeln bewältigen müsste und nicht vor Mitternacht wieder am Auto wäre. Daher ist es eher unwahrscheinlich, dass ich dieses verrückte Unterfangen tatsächlich durchführe.

Um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, schaue ich aber trotzdem noch schnell auf einem Campingplatz in Albert Town vorbei, einem einfachen Platz mit Toilette und Mülleimern, mehr Infrastruktur findet man hier nicht. Dafür ist das Areal so groß, dass ich im Zweifelsfall auch noch tief in der Nacht einen Platz finden würde und dank der Selbstregistrierung bin ich auch nicht an Bürozeiten gebunden. So nehme ich einen der neongelben Zettel mit und fülle ihn schon mal aus, damit ich das nicht heute Nacht machen muss. Einwerfen tue ich vorsichtshalber noch nichts, denn erfahrungsgemäß kommt es bekanntlich erstens anders und zweitens als man denkt.

Unerwartete Probleme bei der Parkplatzsuche

Nachdem schon der Parkplatz am Mount Iron gut gefüllt ist, mache ich mir ernsthaft Sorgen, ob ich nun, um 11.30 Uhr, überhaupt noch einen Platz am Eingang zum Roy’s Peak Track finde. Allzu groß hat der Parkplatz auf den Luftbildern nicht ausgesehen und an diesem Prachttag dürfte wohl trotz Nebensaison reger Betrieb auf dem Wanderweg sein. Als ich am Parkplatz eintreffe, stellen sich meine Sorgen durchaus als begründet heraus, denn das eigentliche Parkareal ist bereits vollständig gefüllt und auch entlang der Straße reiht sich Auto an Auto. Einen etwas suboptimalen Platz kann ich noch ergattern, entschließe mich aber dazu, noch etwas abzuwarten, ob nicht doch ein Frühaufsteher vor meinem nachmittäglichen Aufbruch schon wieder wegfährt.

Genau so kommt es glücklicherweise nach meinem ausgiebigen Mittagessen, sodass ich flink den Camper umparke und einen guten, sicheren Platz finde, auf dem das Auto auch noch bis in die Nacht stehen bleiben kann. Um 13.15 Uhr bin ich soweit startklar, bewaffnet mit ausreichend Flüssigkeit, Abendessen, jeder Menge Jacken und natürlich der Fotoausrüstung samt Stativ. Alles in allem ist der Rucksack damit prall gefüllt und schwer wie ein Backstein, sodass ich mir vornehme, die 1.100 Höhenmeter möglichst langsam anzugehen. Der Gipfel ist schon vom Talboden aus zu sehen und wirkt wie ein unerreichbares Ziel. Dafür geht es aber über den steilen Weg mit seinen Serpentinen doch relativ schnell nach oben.

Wanaka

Startklar für den langen Aufstieg auf den Mount Roy

In der glühenden Mittagssonne läuft mir der Schweiß nur so die Stirn herunter, sodass ich des Öfteren anhalten muss, um meine Sonnenbrille zu putzen. Nach den ersten 400 Höhenmetern, die ich recht zügig innerhalb einer Stunde absolviere, weht dann aber dankenswerterweise ein leichter Wind, der den Aufstieg etwas angenehmer macht. Trotzdem muss ich kurze Zeit später eine erste längere Pause einlegen, da mein Rücken vom Gewicht des Rucksacks langsam zu schmerzen beginnt und ein wenig Regeneration benötigt.

Ein Strauch spendet mir in einer Kurve etwas Schatten, während ich den schweißnassen Rucksack zum Trocknen in die Sonne lege. An dieser Stelle bin ich nicht der einzige mit dieser Idee, und so legen auch drei andere Wandergruppen hier eine Pause ein. Wie sich schnell herausstellt, stammen allesamt aus Deutschland und stöhnen ebenso über den zähen Aufstieg. Für ein wenig Belustigung unter den Anwesenden sorgt ein Gruppenmitglied, das sich permanent darüber aufregt, am Vorabend zu viel gefeiert zu haben und die durchzechte Nacht nun sichtbar bereut.

Alte Bekannte auf dem Weg nach oben

Nach einer Weile breche ich als erster aus dem „Deutschen Eck“ wieder auf und marschiere gemütlich weiter. Eilig habe ich es ja wirklich nicht, denn bis zum Sonnenuntergang sind noch über drei Stunden Zeit. Auf halbem Weg zum Gipfel begegnet mir Johanna wieder, mit der ich die Tour ja eigentlich gemeinsam angehen wollte. Da sie aber lieber schon früh morgens gelaufen ist, kommt sie mir an diesem Punkt entgegen und motiviert mich mit ihrer Beschreibung der wundervollen Aussicht aufs Neue für den weiteren Aufstieg. Tatsächlich ist der Weg in diesem mittleren Abschnitt ein wenig einfacher zu laufen, da zwischen den Anstiegen immer mal wieder ebene Stücke für ein wenig Erholung sorgen.

Bis ich den ersten wirklichen Aussichtspunkt am Gipfelgrat erreiche, vergeht aber doch noch eine weitere Stunde. 900 Höhenmeter in drei Stunden, nicht gerade berauschend, aber angesichts des schweren Rucksacks noch im akzeptablen Rahmen. Der Aussichtspunkt am Gipfelgrat ist wahrscheinlich eines der meistfotografierten Fotosujets in Neuseeland, ermöglicht doch ein kleiner Abstecher vom eigentlichen Wanderweg den Zugang zu einem Nebengipfel, vor dem sich zahlreiche Wanderer mit dem spektakulären Hintergrund des Lake Wanaka ablichten lassen.

Aussicht vom Roy's Peak auf den Lake Wanaka

Bevor ich die letzten 200 Höhenmeter zum Gipfel in Angriff nehme, entscheide ich mich noch einmal für eine kurze Pause, und wieder tröpfeln nach und nach die restlichen deutschen Grüppchen ein, die es mir gleich tun und ein wenig im Sitzen die Aussicht genießen. Mit dabei auch wieder die „Kein-Bock-Fraktion“, die nach der feuchtfröhlichen Nacht inzwischen wirklich nicht mehr gesund aussieht und auch keine Lust mehr auf den Abstieg hat, aber zur allgemeinen Erheiterung vollmundig ankündigt, dass ihre nächste Wanderung ein Great Walk wird. Auch bei der restlichen Gruppe ist die Motivation für eine Gipfelbesteigung inzwischen gesunken, sodass erst einmal eine ausgiebige Mittagspause eingelegt wird.

Letzte Etappe zum Gipfel

Bevor ich komplett einroste, mache ich mich dagegen auf den Weg zum Gipfel, der zwar inzwischen zum Greifen nah erscheint, aber doch noch ein ganzes Stück entfernt liegt. Die letzten Höhenmeter sind äußerst zäh, denn der gut ausgebaute Weg, der auf weiten Teilen eine Fahrspur Breite aufweist, ist einem schmalen Pfad mit vielen hohen Absätzen gewichen. So bin ich nicht unglücklich, dass ich mit Ben aus der zufällig entstandenen Wandergruppe die letzte halbe Stunde gemeinsam aufsteige. Er ist bereits seit einem halben Jahr in Neuseeland und hat den Roy’s Peak vor einem Monat schon einmal bestiegen. Kurz vor dem Gipfel lässt er mich dann aber ziehen, um die letzten Meter mit seiner Freundin gemeinsam zu erklimmen.

Auf der schmalen Gipfelplattform angekommen, auf der sich jede Menge Leute tummeln, komme ich gar nicht recht zum Fotografieren, so überwältigend schön ist die Szenerie. Etwas surreal erscheint die Welt von hier oben, die einem zu Füßen zu liegen scheint. 1.100 Meter unterhalb erstreckt sich der riesige Lake Wanaka, der mit seinen zahlreichen Buchten und Nebenarmen nahezu überall zu sein scheint. Im Talboden liegt die Promenade von Wanaka, in weiter Ferne ist das Südufer des Lake Hawea zu erkennen, und am Horizont grüßen die schneebedeckten Berge der neuseeländischen Alpen.

Aussicht vom Roy's Peak auf den Lake Wanaka

Lake Wanaka mit Blick Richtung Haast Pass

Aussicht vom Roy's Peak auf den Lake Wanaka

Eine unbeschreibliche, unwirkliche Aussicht, die sich von diesem Berg aus bietet. In den Alpen würde auf diesen Gipfel wahrscheinlich schon seit sechzig Jahren eine Seilbahn mit Bergrestaurant, Aussichtsterrasse und Souvenirshop führen, was zweifelsohne auch nicht schlecht ist, aber es ist eben doch etwas ganz anderes, wenn man weiß, dass man sich diesen Anblick mit den eigenen zwei Füßen mühsam erarbeitet hat.

Eine unvergleichliche Aussicht auf den Lake Wanaka

Vor lauter Staunen bemerke ich zunächst gar nicht, wie kalt es hier oben doch ist, wenn der anstrengende Aufstieg erst einmal beendet ist. So bin ich nicht unglücklich über den Pullover und die Jacken, die ich mühsam um die Hüfte, auf den Schultern und im Rucksack transportiert habe. Mit Fleecejacke ist es dann wieder angenehm warm, als kurze Zeit später auch Ben und seine Freundin auf dem Gipfel eintreffen. Aus der zusammengewürfelten deutschen Wandergruppe werden sie die einzigen sein, die heute noch den Gipfel erreichen – der Rest ist nach der Mittagspause auf dem Vorgipfel wieder umgekehrt.

Bis zu meiner Rückkehr ins Tal wird dagegen noch einige Zeit vergehen, denn noch steht die Sonne hoch über dem Horizont. Nach Sonnenuntergang noch weitere drei Stunden hier oben zu verbringen und die Milchstraße zu sichten erscheint mir allerdings mehr und mehr utopisch. Da es zum einen – wenn die wärmende Sonne erst einmal verschwunden ist – wohl viel zu kalt wird und ich zudem keine Lust habe, den mühsamen oberen Teil des Wegs in völliger Dunkelheit zu absolvieren.

Die neuseeländische Zugspitze?

Während ich so über die weitere Planung nachdenke, erreichen zwei weitere Personen den Gipfel. Natürlich kommen auch sie aus Deutschland. Dass mir in Neuseeland viele Landsleute begegnen würden, habe ich wohl erwartet, aber hier geht es ja einheimischer zu als auf der Zugspitze!

Nachdem Ben und seine Freundin sich verabschieden und ins Tal aufbrechen, komme ich mit den beiden Gipfel-Neuankömmlingen Lulu und Lotta ins Gespräch, die in Neuseeland beide Work & Travel machen und seit einem halben Jahr am anderen Ende der Welt unterwegs sind. Meine Idee, bis zum Sonnenuntergang hier oben zu bleiben, halten sie zwar für etwas verrückt, wünschen mir bei ihrem Aufbruch aber viel Glück und gute Fotos. Da sie ebenfalls planen, auf dem gleichen Campingplatz zu übernachten, werden wir uns später unter Umständen noch einmal wiedersehen.

Alleine zwischen Himmel und Erde

Die beiden sind die letzten, die außer mir heute auf dem Gipfel stehen. Nun, eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, gehört mir der Roy’s Peak ganz alleine. Ein spezielles Gefühl, denn langsam aber sicher scheine ich mich von der Zivilisation zu entfernen, es bleiben nur noch der Berg und ich – zwischen Himmel und Erde. Der Schattenwurf der Bergkette um den Roy’s Peak erfasst immer mehr Fläche im Talgrund, bald schon sind die letzten Sonnenstrahlen auf dem Lake Wanaka Geschichte, und auch die umliegenden Berggipfel tauchen in ein feuerrotes Abendlicht ein, ehe sie kurze Zeit später in der Dunkelheit verschwinden. Nur hier oben, auf dem Gipfel des Mount Roy, genieße ich noch für einen kurzen Moment die letzten wärmenden Strahlen, ehe die Sonne hinter den hohen Gipfeln der Southern Alps am Horizont verschwindet.

Aussicht vom Roy's Peak auf den Lake Wanaka

Sonnenuntergang auf dem Roy's Peak

Sonnenuntergang auf dem Roy's Peak

Noch einige Minuten vergehen, ehe ich den Entschluss fasse, doch schon gleich den Abstieg zu wagen und nicht länger auf die Milchstraße zu warten. Ein Abstieg im Dunkeln hier oben, bei der sich rasch einstellenden Kälte, das erscheint mir zu gefährlich. Wie erwartet verdunkelt sich der Himmel recht schnell, sodass ich bereits nach etwa einer Dreiviertelstunde und 450 Metern Abstieg meine Taschenlampe aus dem Rucksack holen muss. Unterwegs begegne ich noch einem Zeltlager, in welchem eine ganze Reihe Personen nächtigen, um möglicherweise die Sterne zu beobachten und am nächsten Morgen den Sonnenaufgang zu genießen. Aber heute, ja heute hat mir der Roy’s Peak ganz alleine gehört!

Abenteuerlicher Abstieg in der Dunkelheit

Mit der hellen Taschenlampe komme ich zügig voran, bin aber unterwegs immer wieder erstaunt über jede Menge Schafe, bei denen ich mich nicht erinnern kann, sie beim Aufstieg gesehen zu haben. Vermutlich haben sich die scheuen Tiere aber aufgrund der vielen Wanderer zurückgezogen und sind völlig erstaunt, dass um diese Zeit noch ein Verrückter den Weg hinabläuft. Auch einige Hasen laufen mir über den Weg, als ich das untere Wegdrittel erreiche. Nach einer eher dürftigen Nachtaufnahme von Wanaka aus der Distanz erreiche ich ziemlich genau um 20 Uhr den Parkplatz mit müden Knochen, wo ich wieder auf Lulu und Lotta treffe, die hier gerade ihr Abendbrot zubereiten. Sie haben sich dazu entschlossen, einfach auf dem Parkplatz zu übernachten, der ohnehin mit jeder Menge Autos gefüllt ist. Von jenen Leuten, die mir unterhalb des Gipfels in dem Zeltlager begegnet sind.

Blaue Stunde auf dem Roy's Peak

Auch wenn das Wildcampen in Neuseeland ohne zertifiziertes Fahrzeug nicht erlaubt ist, hier wird es wohl schon keiner merken, lautet die Devise. Nach einiger Überzeugungsarbeit seitens der beiden entschließe auch ich mich dazu, die Nacht hier zu verbringen und nicht extra noch nach Albert Town zu fahren. Wir verbringen den Abend gemeinsam bei der Erzählung einiger amüsanter Anekdoten unserer bisherigen Reisen. Wird schon niemand stören, wenn zwei Autos nicht leer herumstehen, sondern noch jemand darin schläft. Und falls doch irgendein ordnungswütiger Sheriff vorbeikommen sollte, kann ich immer noch sagen, dass ich gerade erst eingetroffen bin. Und mein ausgefülltes Campingticket aus Albert Town habe ich ja auch noch als Alibi.

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