Der Markt der kuppelbaren Seilbahnen, bei denen die Fahrzeuge in den Stationen für den bequemen Ein- und Ausstieg vom Seil gelöst werden, wird heute im Wesentlichen von drei Herstellern dominiert. In den 1980er Jahren ist das noch völlig anders. Unzählige Tüftler und Seilbahnpioniere entwickeln eigene Systeme, um die Wartezeiten an den Talstationen der Wintersportgebiete zu verkürzen. Die Technologie, die bereits seit dem 19. Jahrhundert bei Seilbahnen Einsatz findet, etabliert sich im Zuge der Renaissance der kuppelbaren Sessel- und Kabinenbahnen. Neben den höheren Förderleistungen ist es vor allem auch die kürzere Fahrzeit gegenüber Anlagen mit fix geklemmten Fahrzeugen, die die Technologie so attraktiv macht.
Mit 80er-Jahre-Charme nach Charamillon
In Frankreich ist es allen voran der allgegenwärtige Platzhirsch Poma, der mit seinen Kabinenbahnen in nahezu allen Skigebieten im Hexagone präsent ist. Zu Beginn der 80er Jahre betritt mit Montaz Mautino aber noch ein zweiter bedeutender Seilbahnhersteller die Bühne der kuppelbaren Anlagen. Die Firma, die bereits seit den 50er Jahren im Bereich der Schlepplifte Technik von Poma in Lizenz nutzt, entwickelt ein eigenes System für kuppelbare Sessel- und Kabinenbahnen. Viele Anlagen aus dieser Zeit sind heute nicht mehr in Betrieb. Und auch am Ende des Winters 2022 ist es wieder eine weniger. Die Kabinenbahn von Le Tour nach Charamillon in der Nähe von Chamonix am Mont Blanc, 1986 nach Plänen von Montaz Mautino konstruiert, befördert im April 2022 letztmalig Fahrgäste, bevor sie durch eine neue Anlage ersetzt wird.
Ein bewährtes System und doch ein Unikat
Die Bahn ist aber nicht nur deswegen mittlerweile so einmalig, weil sie aus der Feder von Montaz Mautino stammt. Da sie die Fachwerkstützen ihres Vorgängers übernimmt, ist sie bereits zum Zeitpunkt ihrer Eröffnung ein Unikat. Die Stützen stammen aus dem Jahr 1967 und aus der Produktion der Firma Weber, ihres Zeichens Lizenznehmer des Schweizer Seilbahnpioniers Gerhard Müller. Das Unternehmen setzt zu jener Zeit erfolgreich die legendären Schraubklemmen bei kuppelbaren Sessel- und Kabinenbahnen ein. Vier Plätze finden seinerzeit in den bunten Kabinen Platz. 480 Personen können stündlich je Richtung befördert werden. Eine zweite Sektion des gleichen Fabrikats bringt die Fahrgäste weiter hinauf bis zur Station Autannes.
Heute wird dieser Abschnitt von einer 1992 erbauten kuppelbaren Sesselbahn bedient. Die Kabinenbahn von Montaz Mautino aus den 80er Jahren endet an der Station Charamillon, wo die sechsplätzigen Fahrzeuge umgelenkt und wieder ins Tal geschickt werden. Die Anlage verkehrt wie üblich zu jener Zeit vollautomatisch in den Stationen, wobei das Beschleunigen und Verzögern durch Reifenförderer bewerkstelligt wird, im Stationsumlauf übernimmt ein Kettenförderer den Transport der Kabinen.
Moderne Seilklemmen und futuristische Kabinen
Herzstück der Anlage ist zweifelsohne der Klemmapparat von Montaz Mautino. Bei sechsplätzigen Fahrzeugen kommt im Gegensatz zu den vierplätzigen Sesseln des Herstellers aus dem Département Isère eine Doppelversion zum Einsatz. Zwei massive Tellerfedern bringen die nötige Kraft auf, um die Kabinen am Seil zu fixieren. Bei diesen handelt es sich übrigens bereits um die zweite Generation, denn die Originalausstattung wird bereits 1997 nach nur elf Jahren Betrieb ausgetauscht. Die heutigen Exemplare stammen aus dem Hause des Oltener Karosseriebauers CWA.
Obwohl sowohl Antrieb als auch Abspannung in Le Tour untergebracht sind, steht die Bergstation ihrem Pendant im Tal in Sachen Lärmpegel in nichts nach. Die Station ist in einem Gebäude untergebracht, aus dem die Kuppelstrecken im Tunnelröhrendesign herausragen. Die Optik ist gewiss etwas gewöhnungsbedürftig, aber zweckmässig und als typisch für jene Zeit zu charakterisieren. Das ehemalige Talstationsgebäude der zweiten Sektion grenzt noch heute an die Bergstation der ersten Teilstrecke an.
Der lange Weg zur Kabinenbahn Charamillon
Auch die Talstation auf dem ersten Abschnitt bleibt nach dem Bau der neuen Anlage 1986 erhalten und dient fortan als Garagierungshalle für die Kabinen. Das nostalgisch anmutende Gebäude stammt noch aus den 50er Jahren, als hier eine erste kuppelbare Sesselbahn den Betrieb aufnimmt. Es handelt sich damals um eine Seitwärtssesselbahn von Müller, genau wie der spätere Nachfolger von Weber mit Schraubklemmen ausgestattet. 1957 kann die erste Teilstrecke eröffnet werden. Ein Jahr später die zweite Sektion nach Autannes.
Weil die beiden Bahnen nur gut 280 Personen pro Stunde befördern können, erfolgt nur ein Jahrzehnt später bereits der Ersatz durch die angesprochene Viererkabinenbahn. Dass die Förderleistung dringend benötigt wird, ist bei dem Panorama auf den Mont Blanc und die angrenzenden Viertausender nicht überraschend.
Und wieder ein rekordverdächtiger Nachfolger nach Charamillon
Selbst die kuppelbare Sesselbahn von Müller ist aber 1957 nicht die erste Anlage auf dieser Strecke. Schon 1938, also weitere knappe zwei Jahrzehnte zuvor, nimmt an diesem Hang einer der ersten Schlepplifte Frankreichs den Betrieb auf. Konstrukteur ist damals ein gewisser Jean Pomagalski, der hier einen Vorläufer des später so erfolgreichen kuppelbaren Stangenschlepplifts erstellt.
Die Kabinenbahn von Montaz Mautino ist somit bereits die vierte Anlage auf dieser Strecke. Und auch wenn sie technisch noch voll auf der Höhe der Zeit ist, folgt nun der Ersatz durch einen noch kapazitätsstärkeren Nachfolger. Sämtliche Relikte aus fast neun Jahrzehnten Skibetrieb an diesem Hang fallen dem Neubau zum Opfer, denn auch die nostalgischen Stationsüberbleibsel verschwinden im Sommer 2022. Dafür zeichnet mit Doppelmayr nun ein fünfter verschiedener Hersteller für eine Bahn auf dieser Trasse verantwortlich. Das ist ziemlich rekordverdächtig.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.