Österreichische Kuppelhistorie an der Grafenbergbahn Wagrain

Kuppelbare Seilbahnen aus Österreich sind seit geraumer Zeit exklusiv mit dem Namen des weltgrössten Seilbahnherstellers Doppelmayr verbunden. Doch lange Jahre ist die Kuppeltechnik in der Alpenrepublik deutlich vielfältiger als heute. Auf einen lebendigen Beweis für diese Tatsache trifft man in Wagrain im Bundesland Salzburg. Schon die beeindruckende Mechanik in der Talstation der Grafenbergbahn verrät, dass es sich bei dieser Anlage um ein besonderes Exemplar handelt. Zwei beeindruckende Umlenkscheiben lenken das Förderseil der Kabinenbahn in einen tiefen Schacht. Denn anders als heute üblich wird das Seil noch mit einem massiven Gegengewicht abgespannt. Ein deutliches Indiz dafür, dass die Grafenbergbahn bereits ein langes Leben in Wagrain hinter sicht hat – fast vierzig Jahre ist die Anlage mit ihren Sechserkabinen hier schon im Einsatz.

Talstation der Grafenbergbahn in Wagrain

Talstation der Grafenbergbahn in Wagrain

Viel Mechanik und einmalige Geräuschkulisse

Das Betriebsprinzip unterscheidet sich aber nicht von modernen kuppelbaren Einseilumlaufbahnen. Auch, wenn es in den Stationen mit deutlich mehr Mechanik und weniger Elektronik vonstatten geht und auch die Geräuschkulisse ihresgleichen sucht. Von Reifenförderern beschleunigt treten die Kabinen unter lautem Getöse ihren Weg aus der Talstation hinaus auf die lange Fahrt in Richtung Grafenberg an. Die Anlage ist einer der beiden Hauptzubringer in den Skigebietsteil westlich von Wagrain, der sich weiter bis zum Eingang des Grossarltals erstreckt. Seit 2013 ist dieser Sektor auch mit den weiter östlich gelegenen Bereichen über eine Pendelbahn verbunden, die das Tal und auch die Grafenbergbahn nahezu unbemerkt in luftiger Höhe überquert.

G-Link Wagrain

Die Grafenbergbahn verläuft im Bereich dieser Seilbahnkreuzung wie im restlichen unteren Streckendrittel im dichten Wald. Der Abschnitt ist gleichzeitig der steilste der Strecke, die insgesamt fast 2,9 Kilometer lang ist. Trotz der kontinuierlich flacher werdenden Trassierung überwinden die Kabinen daher nicht weniger als 851 Höhenmeter. Ein beeindruckender Wert, denn damit verdoppelt die Grafenbergbahn bei einer Fahrt zur Bergstation ziemlich exakt ihre Höhe über dem Meeresspiegel. Der höchste Punkt der Strecke liegt schliesslich in 1713 Metern Höhe, verglichen mit den 862 Metern im Tal.

Bergfahrt mit der Grafenbergbahn

Bergfahrt mit der Grafenbergbahn

Die Grafenbergbahn als Meilenstein der Seilbahngeschichte in Österreich

Doch das alleine macht die Anlage noch nicht übermässig speziell. Seilbahnen mit ähnlichen Höhendifferenzen sind heute keine Seltenheit mehr, Mitte der 80er Jahre ist die Grafenbergbahn dagegen ein echter Meilenstein der Seilbahnlandschaft in Österreich. Bis dato trifft man in den Skigebieten der östlichen Alpen überwiegend fix geklemmte Sesselbahnen und Schlepplifte an. Ein- und zweiplätzige Fahrzeuge sind in Österreich das Mittel der Wahl, von grossen Pendelbahnen in schroffem Gelände einmal abgesehen. Kuppelbare Seilbahnen, bei denen die Fahrzeuge in den Stationen automatisch vom Seil gelöst werden, sind dagegen eher eine Randerscheinung. Lediglich einige wenige frühe Zweiseilumlaufbahnen mit Trag- und Zugseil sind in Betrieb.

In den 70er Jahren hat die Skepsis der Behörden gegenüber den kostengünstigeren kuppelbaren Einseilumlaufbahnen ein Ende. Im benachbarten Ausland gehören solche Bahnen, bei denen ein einziges Förderseil die Trage- und Zugfunktion der Kabinen übernimmt, zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahrzehnten zum Standard. Entsprechend fortgeschritten sind die dortigen Kuppelsysteme bereits, und so erfinden die österreichischen Hersteller das Rad nicht neu, sondern bemühen sich um Lizenzen für den Einsatz der bestehenden Technik. Doppelmayr greift dazu auf das System des Schweizer Herstellers Von Roll zurück, Girak erwirbt eine Lizenz für die Schraubklemme des Seilbahnpioniers Gerhard Müller.

Bergfahrt mit der Grafenbergbahn

Bergfahrt mit der Grafenbergbahn

Bergfahrt mit der Grafenbergbahn

Swoboda und das Städeli-Klemmensystem

Mit Swoboda erkennt zu Beginn der 80er Jahre ein weiterer alteingesessener Hersteller aus Österreich das ungeheure Potenzial, das kuppelbare Anlagen bieten. Höhere Geschwindigkeiten, höhere Förderleistungen und geringere Fahrzeiten sorgen dafür, dass die Technologie schnell immer mehr Abnehmer findet. Eine reine Konzentration auf fix geklemmte Anlagen scheint für die Hersteller daher nicht mehr wirtschaftlich. Und so klopft auch Swoboda bei einem Schweizer Hersteller an. Die Maschinenfabrik Städeli, besser bekannt unter ihrem Kürzel WSO, liefert daraufhin die Expertise in Form ihres eigens entwickelten Klemmensystems.

Die Ursprünge der Städeli-Kuppelklemme gehen bis in die 60er Jahre zurück. Schon damals patentiert Städeli eine Tellerfederklemme, die in modifizierter Form aber erst knapp zwei Jahrzehnte später zunächst bei kuppelbaren Sesselbahnen eingesetzt wird. Eine doppelte Version soll kurz darauf auch bis zu sechsplätzige Kabinen sicher am Seil befestigen. Bis es in der Schweiz soweit ist, vergehen aber noch einige Jahre. Der Lizenznehmer kommt Städeli zuvor. Und so entstehen 1985 in Österreich zwei Anlagen mit der Städeli-Doppelklemme in Hinterstoder und in Wagrain am Grafenberg.

Swoboda gründet für die Vermarktung und Planung der kuppelbaren Bahnen eine eigenständige Gesellschaft, die Swoboda Seilbahnbau GmbH, kurz SSG. Die Produktion der Anlagen erfolgt dagegen durch Swoboda selbst. Eine Kombination, die jedoch nicht allzu lange Bestand hat. 1986 kann Swoboda eine Insolvenz nicht mehr abwenden. SSG übernimmt die Produktion der Teile daraufhin an einem neuen Standort selbst und kann bis in die 90er Jahre hinein noch mehrere weitere kuppelbare Anlagen konstruieren.

Swoboda-Seilbahn Technik Bergstation

Städeli-Doppelklemme an Sowoboda-Kabinenbahn

Seilbahnstation in Wagrain

Städeli-Doppelklemme an Sowoboda-Kabinenbahn

Ungewisse Zukunft der Grafenbergbahn

Gemessen an den zahlreichen Anlagen, die die nationale Konkurrenz von Doppelmayr und Girak zu jener Zeit mit nun eigens entwickelten Kuppelsystemen liefert, sind die Anlagen von Swoboda und SSG aber eher eine Randerscheinung. Und das, obwohl Swoboda bereits 1984 eine der beiden ersten kuppelbaren Vierersesselbahnen des Landes konstruieren kann. Entsprechend selten sind die Bahnen in Österreich anzutreffen, zumal viele mittlerweile Nachfolgeranlagen Platz gemacht haben. Die Grafenbergbahn in Wagrain ist heute das letzte noch fahrende kuppelbare Seilbahnexemplar in Österreich, das von Swoboda selbst produziert wird. Die Schwesteranlage in Hinterstoder wird 2022 durch einen Neubau ersetzt.

Und ob die Grafenbergbahn ihr 40-jähriges Jubiläum noch feiern können wird, ist ebenso äusserst ungewiss. Die Pläne für einen Ersatz sind bereits recht konkret. Wer die kurze Kuppel-Episode des langjährig erfolgreichen Seilbahnherstellers noch selbst erleben möchte, der sollte der Grafenbergbahn daher besser früher als später einen Besuch abstatten. Inmitten der sonst so modernen Salzburger Skigebiete ist sie eine willkommene Abwechslung für Seilbahnliebhaber. Und ein historisches Dokument aus einer Zeit, als die österreichische Kuppel-Welt noch aus mehr als einem Hersteller besteht.

Grafenbergbahn in Wagrain

Grafenbergbahn in Wagrain

Grafenbergbahn in Wagrain

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