Auf den Sonnenaufgang verzichte ich heute ausnahmsweise, da ich nach den beiden letzten anstrengenden Tagen und Nächten einfach einmal eine Stunde länger schlafen muss. Den Wecker stelle ich mir vorsichtshalber auf acht Uhr, damit ich im Zweifelsfall zumindest halbwegs bei Zeiten geweckt werde. Letztlich bin ich dann durch die in den Camper hereinscheinende Sonne aber doch schon etwas früher wach.
Ein Australien-Erlebnis der besonderen Art
Trotzdem döse ich noch ein wenig vor mich hin, bis ich plötzlich ein Klopfen an der Tür vernehme. Nanu, wer will denn jetzt etwas von mir? Bezahlt habe ich doch. Und der Campingplatzinhaber war gestern so nett, der wird mich bestimmt nicht einfach so wecken. Also mache ich den Vorhang hoch und traue einmal mehr meinen Augen nicht. Träume ich noch? Da klopft tatsächlich ein Känguru gegen die Scheibe! Das Tier erschrickt sich dann aber genauso wie ich und hüpft wieder davon, noch bevor ich die Kamera zücken kann. Wieder einmal ein Australien-Erlebnis der besonderen Art!
Endlich ein Känguru-Foto für die Galerie
Für mich ist das ein guter Zeitpunkt, mich langsam parat zu machen und aufzubrechen, nicht ohne vorher noch einmal schnell an der Rezeption anzuhalten, um noch für eine zweite Nacht zu bezahlen. Der Campingplatz gefällt mir so ausgesprochen gut, dass ich hier gerne noch einen weiteren Tag bleibe, zumal ich nach den heutigen geplanten Wanderungen auch auf jeden Fall nochmals eine Dusche benötige. Leider ist aber niemand vor Ort, weswegen ich gleich weiterfahre. Heute Nachmittag wird schon wieder jemand da sein. Als ich das Gelände verlasse, hüpft abermals ein Känguru über die Straße und schaut mich ungläubig an. Aber diesmal bin ich schnell genug und habe die Kamera schon im Anschlag. Endlich ein Känguru-Foto für die Galerie!
Durch den Mount Kosciuszko National Park zum Charlotte Pass
Ohne weitere australische Tiererlebnisse erreiche ich eine gute Viertelstunde später das Eingangsportal zum Mount Kosciuszko National Park auf der Straße zum Charlotte Pass, der sich in einem Tal nördlich von Thredbo befindet. Hier finde ich auch eine Mautstelle vor, so wie ich mir das gestern auch in Khancoban vorgestellt habe. Die Dame an der Zahlstelle nimmt freundlich zur Kenntnis, dass ich bereits ein gültiges Ticket für den heutigen Tag habe, sodass ich direkt meine weitere Fahrt durch den Nationalpark in Angriff nehmen kann.
Im Gegensatz zu gestern führt mich der Weg heute nicht durch dichte Wälder, sondern mehrheitlich durch baumfreies Gelände, was der größeren Höhe geschuldet ist, denn der Charlotte Pass befindet sich bereits in fast 1.800 Metern Höhe. Unterwegs passiere ich das Skigebiet von Perisher, eines der größten in Australien, welches ich auf dem Rückweg noch genauer unter die Lupe nehmen will. Kurioserweise laufen in dem Skigebiet alle Schneekanonen auf Hochtouren und bewässern bei +5° C die Wiese.
Wanderung vom Charlotte Pass zum Blue Lakes Lookout
Der Fokus liegt an diesem wolkenlosen Vormittag aber auf einem Ausflug zum sogenannten Blue Lakes Lookout. Eine moderate Wanderung von zehn Kilometern Länge, die mal bergauf, mal bergab quer durch den Nationalpark führt und über eine Verlängerung auch auf den Weg zum Mount Kosciuszko trifft, den ich gestern bereits gegangen bin. Einen Parkplatz am Ende der Straße gibt es kurioserweise nicht, sodass alle Wanderer etwas notdürftig am Straßenrand parken müssen, was bei dem heutigen geringen Andrang aber kein großes Problem darstellt. In der Hochsaison ist man allerdings sicher nicht schlecht beraten, wenn man frühzeitig den Charlotte Pass ansteuert.
Die Wanderung zum Blue Lakes Lookout ist dann leider nicht ganz das, was ich mir erhofft habe, denn die Landschaft ist zwar ganz nett, doch wie schon gestern wenig abwechslungsreich und etwas trostlos, völlig ohne Bäume oder größere Sträucher, und eben auch wieder ohne schroffes Relief. So lege ich nach eineinhalb Stunden am Aussichtspunkt eine kleine Pause ein, bevor ich auch schon wieder den Rückzug antrete. Am Himmel sind zu diesem Zeitpunkt die ersten Schleierwolken auszumachen, die die kommende Schlechtwetterfront ankündigen.
Die Skigebiete am Charlotte Pass und in Perisher
Um die Mittagszeit erreiche ich das Auto wieder, mit dem ich zunächst noch einen kurzen Abstecher in das kleine Skigebiet am Charlotte Pass mache, das sich aus einer Sesselbahn und drei Schleppliften zusammensetzt. Keine wirklich spektakuläre Angelegenheit, dafür ist es – zumindest dem Hinweisschild am Eingang zum Parkplatz zufolge – das höchstgelegene Gebiet Australiens. Das dürfte allerdings nur für den Einstiegspunkt gelten, denn die höchste Bergstation liegt zumindest auf den ersten Blick nicht höher als die Anlagen in Thredbo.
In den 60er Jahren waren die beiden Skigebiete sogar für kurze Zeit einmal über zwei Sektionen Sesselbahn miteinander verbunden. Mit einer Gesamtlänge von über 5,5 Kilometern handelte es sich um die längste Sesselbahn der Welt. Die chronisch starken Winde im Kosciuszko National Park und die lange Fahrzeit sorgten jedoch dafür, dass die Verbindungsbahnen nach nur einem Jahr Betrieb bereits wieder stillgelegt und abgebaut wurden.
Noch ein wenig nostalgischer wird es kurz darauf am Mount Perisher, dem höchsten Gipfel des gleichnamigen Skigebiets. Der Gipfel wird seit der Gründerzeit der Station von einer Doppelsesselbahn der Schweizer Firma Gerhard Müller erklommen, die in Ozeanien lange vor den heute führenden Seilbahnherstellern in neue Märkte vordringen konnte. Unglaublich, dass man inzwischen so weit reisen muss, um noch eine Müller-Sesselbahn anzutreffen, denn abgesehen von einer Privatanlage gibt es im Heimatland des 1985 verstorbenen Zürcher Tüftlers und Vordenkers im Seilbahnbau keine einzige Sesselbahn mehr zu bestaunen. Aus diesem Grund freue ich mich umso mehr, die Anlage hier in einem tadellosen Zustand anzutreffen. Möge sie noch lange Bestand haben!
Übernachtung in Jindabyne
Damit beschließe ich die Erkundungen im Nationalpark und trete bei inzwischen weitgehend bewölktem Himmel den Rückweg nach Jindabyne an, wo ich mich in einem Supermarkt zum wahrscheinlich letzten Mal auf dieser Reise, abgesehen von ein paar Frischprodukten, mit neuen Lebensmitteln eindecke. Dummerweise treffe ich zurück am Campingplatz wieder niemanden an, bei dem ich für die nächste Nacht bezahlen könnte. Mir fällt daher nichts Besseres ein, als einfach das Geld samt einer kurzen Notiz in die Schlüsselrückgabe-Box einzuwerfen. Wird den netten Campingwart schon nicht stören, da mache ich mir keine Gedanken.
Kurze Zeit später kommt er auch gemeinsam mit seiner Frau vorbei und heißt mich herzlich willkommen zurück. Sie waren in der Stadt, weil ohnehin so gut wie keine Touristen unterwegs sind. Immerhin bin ich aber heute nicht der einzige Camper, denn ein weiterer Wohnwagen ist über Nacht ebenfalls bewohnt. Dass ich die Gebühr einfach eingeworfen habe, ist überhaupt kein Problem. Ach ja, diesen Campingplatz habe ich inzwischen wirklich in mein Herz geschlossen. Und natürlich sind auch heute Abend wieder jede Menge Kängurus hier unterwegs, als ich mein Abendessen zubereite. Was für ein schöner Flecken Erde!
Auch interessant ...
Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.