Auch wenn ich nach den nächtlichen Aufnahmen der Milchstraße viel später als geplant ins Bett komme, kennt der Wecker am nächsten Morgen kein Erbarmen. Um 6.30 Uhr geht es schon wieder los. Thredbo und der Mount Kosciuszko, den ich unbedingt heute noch besteigen möchte, liegen noch rund eineinhalb Stunden Fahrzeit entfernt. Letztlich komme ich aber doch wieder erst mit einiger Verspätung los. Der Nebel, der sich über Nacht gebildet hat und sich kurz nach Sonnenaufgang nun langsam lichtet, beschert mir wieder derart schöne Lichtverhältnisse, dass ich einfach nicht anders kann, als noch einmal eine halbe Stunde zu fotografieren.
Magisches Licht am frühen Morgen in Towong
Erst um 7.40 Uhr verlasse ich schließlich das Campingareal in Richtung Khancoban, wo sich der westliche Eingang in den Mount Kosciuszko National Park befindet. Auf der Internetpräsenz des Nationalparks bin ich in Sachen Eintrittspreise inzwischen fündig geworden. 17 Dollar pro Fahrzeug für 24 Stunden. Für mich heißt das, da ich morgen ebenfalls noch einmal im Park wandern möchte, 34 Dollar Eintrittsgebühr, die ich eigentlich gerne am Parkeingang bezahlen möchte.
Dumm nur, dass es dort nicht wie von mir erwartet eine Mautstelle gibt. Genau genommen finde ich nur ein Schild vor, das mich wissen lässt, dass der Park an dieser Stelle beginnt. Gut, und wo bezahlt man hier jetzt? Im Internet war zu lesen, dass die Pässe sowohl in den Touristeninformationen als auch an den Eingängen in den Park erworben werden können. Also wieder zurück nach Khancoban. Dort ist die Touristeninformation aber natürlich erst ab 9 Uhr geöffnet. Das erinnert mal wieder stark an die neuseeländische Umständlichkeit. Dann entdecke ich aber glücklicherweise doch noch einen Automaten, an dem man sich das Ticket kaufen kann. Damit aber nun nichts wie los nach Thredbo.
Mit Volldampf durch den Mount Kosciuszko National Park
Tja, denkste! Weit komme ich nicht, denn schon kurz hinter dem Eingang in den Nationalpark erwartet mich die erste Baustelle. Baumfällarbeiten, dauert eine Viertelstunde, lässt mich die menschliche Ampel wissen. Nach exakt 15 Minuten lässt er mich dann tatsächlich weiterfahren, aber nun hinke ich meinem Zeitplan gewaltig hinterher. Und von der Fahrt will ich ja auch noch etwas haben, denn die Route durch den Park ist durchaus sehenswert. Auf einige Zwischenhalte verzichte ich aus diesem Grund auch nicht, behalte die Uhr aber immer im Hinterkopf. Unterwegs habe ich sogar noch einen australischen Moment der besonderen Art. Ein Känguru hüpft wenige Meter vor mir über die Straße und verschwindet wieder im Wald!
Von Thredbo auf den Mount Kosciuszko
Gegen Viertel nach zehn treffe ich endlich in Thredbo ein, einer optisch wenig ansprechenden Retortenstation mitten im Wald des Nationalparks. Aber die Lage inmitten eines engen Tals sorgt immerhin dafür, dass man den Ort schon aus einer geringen Distanz kaum mehr wahrnimmt. Nach einigem Hin und Her finde ich am westlichen Ortsrand einen Parkplatz, von dem aus ich mit Rucksack und jeder Menge Jacken bepackt meinen Weg zur Sesselbahn antrete, die mich über 600 Höhenmeter auf das Plateau am Fuße des Mount Kosciuszko befördern soll.
Wie ich an der Kasse allerdings vernehmen muss, ist die normale Sesselbahn gar nicht offen, dafür fährt eine mehr oder weniger parallel verlaufende Anlage, die aber bereits etwa 100 Höhenmeter unterhalb endet. Na gut, stellt für mich auch kein Problem dar, aber langsam muss ich wirklich zusehen, dass ich endlich mal vorwärts komme, denn der Weg zum Gipfel wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Die Sesselbahn ist bei diesem Vorhaben keine echte Hilfe, befindet sie sich doch in Sachen Länge weit über der Schmerzgrenze für eine solche Anlage. Nach zwei Zwischenstationen, 25 Stützen, rund 230 Sesseln und einer sagenhaften Fahrzeit von 35 Minuten erreiche ich endlich die Bergstation. Im Sommer mag das ja alles noch ganz lustig sein, aber wer tut sich diese Bahn bei eisigen Temperaturen im Winter an?
Beschwerlicher Weg zum Kosciuszko Lookout
Mich beunruhigt zu diesem Zeitpunkt aber noch etwas ganz anderes als diese Frage, denn der Wind hat trotz wolkenlosem Himmel schon wieder nahezu stürmische Ausmaße angenommen. Während meines Aufstiegs auf das Plateau hält sich der Gegenwind noch in Grenzen, doch einmal oben angekommen bekomme ich kaum noch Luft, so stark weht mir der Wind ins Gesicht. Für die ersten beiden Kilometer benötige ich bei fast ebener Strecke über 40 Minuten, weil ich gegen den Wind einfach nicht vorwärts komme. Am Kosciuszko Lookout lege ich daher eine Pause ein und grübele, ob ich den weiteren Weg bei diesen Verhältnissen überhaupt noch in Angriff nehmen soll. Letztlich überwiegt dann aber wie so oft der Ehrgeiz und ich kämpfe mich die verbleibenden 4,5 Kilometer nach oben.
Auf dem höchsten Gipfel des australischen Festlandes
Wirklich fordernd wäre die Strecke ohne den Gegenwind nicht, denn von der Bergstation der heute außer Betrieb befindlichen Sesselbahn sind es gerade einmal rund 350 Höhenmeter und 6,5 Kilometer Wegstrecke, die einen vom höchsten Gipfel Australiens trennen. Aus diesem Grund ist der Weg auch entsprechend für den Massentourismus ausgelegt, wenngleich heute nur wenige Personen den Kampf mit dem Wind auf sich nehmen.
Etwa einen Kilometer vor dem Ziel beginnt der sonst mehrheitlich gerade Weg spiralförmig um den flachen Gipfel herum aufzusteigen und erreicht selbigen schließlich auf der Südseite. Hier oben bläst der Wind erwartungsgemäß heftig, so stark, dass ich mich kaum auf den Beinen halten kann, aber natürlich dennoch Foto- und Videoaufnahmen anfertige. Von Nordwesten kommen immer wieder Wolkenfetzen über den Grat geflogen, doch wirklich weit kommen sie nicht. Ganz im Gegensatz zu den östlichen Bereichen der Snowy Mountains, die auch heute wieder unter einer dichten Wolkendecke liegen. Am Mount Buffalo hätte ich also auch heute kein Wetterglück gehabt.
1.938 Kilometer bis zum nächsthöheren Gipfel
Wirklich imposant ist der Ausblick vom 2.228 Meter hohen Mount Kosciuszko nicht, dafür ist das Gelände rundherum einfach zu flach und eintönig, auch wenn die Weitsicht speziell in Richtung Südosten durchaus einige schöne Blicke hergibt. Es ist ja auch weit und breit kein anderer Gipfel im Weg. Etwas imposanter wird es zudem, wenn man sich die nackten Zahlen vor Augen führt. Ich befinde mich auf dem höchsten Gipfel des australischen Festlandes, der je nach Auffassung einen der Seven Summits darstellt. Die jeweils höchsten Erhebungen der sieben Kontinente, sofern man Inselstaaten nicht zu diesen Kontinenten hinzuzählt. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass es der einzige der Seven Summits sein wird, auf den ich je einen Fuß setzen werde. Mount Everest, Aconcagua und Konsorten spielen dann doch in einer etwas anderen Liga.
Nichtsdestotrotz, mit einer Schartenhöhe von 2.228 Metern und einer Dominanz von 1.938 Kilometern bis zum Mount Tutoko in Neuseeland ist der Mount Kosciuszko der mit Abstand prominenteste Gipfel, auf dem ich in meinem Leben bisher je stand. Das macht mich trotz des einfachen Aufstiegs schon ein wenig stolz.
Mittagspause in netter Gesellschaft
Als ich unterhalb des Gipfels im Windschatten mein Picknick auspacke, gesellt sich ein australisches Pärchen zu mir, mit dem ich gemeinsam meine Mittagspause verbringe. Die beiden sind schon viel auf der Welt herumgekommen, genießen aber zurzeit ein wenig Urlaub in der Heimat. Heimat stimmt nicht ganz, denn sie stammt ursprünglich aus Singapur und gibt mir noch ein paar Tipps für meinen zweitägigen Aufenthalt auf dem Weg zurück nach Europa.
Bei der Gelegenheit fällt mir ein, dass ich unbedingt endlich ein wenig planen muss, was ich mir in Singapur alles anschauen will. Das ist nämlich bei den ganzen Vorbereitungen für Neuseeland und Australien etwas zu kurz gekommen. Und völlig ohne Vorbereitung und Vorstellungen anzukommen ist ja mal so gar nicht meine Art! Naja, am Sonntag ist so schlechtes Wetter angekündigt, da werde ich sicher einmal Zeit haben, aus den zahlreichen Sehenswürdigkeiten ein paar interessante Sachen herauszupicken.
Zurück vom Mount Kosciuszko nach Thredbo
Um 13.45 Uhr breche ich am Gipfel wieder auf, um nun mit Rückenwind nur etwa 80 Minuten später wieder die Bergstation der langsamen Sesselbahn zu erreichen. Wieder dauert die Fahrt eine halbe Stunde, aber jetzt habe ich es ja nicht mehr so eilig. Auch wenn ich gerne eventuell im Tal noch ein wenig gewandert wäre, der anstrengende Marsch steckt mir nun doch ein wenig in den Knochen, sodass ich nur noch zu meinem letzten Tagesziel, einer stillgelegten Sesselbahn im westlichen Teil des Skigebiets von Thredbo aufbreche.
Das erweist sich als etwas schwieriger als geplant, denn auch wenn ich während der Talfahrt jede Menge Überreste der Bahn ausmachen kann, von der Talstation ist nichts mehr zu sehen. Nur viel weiter oben am Hang kann ich noch einige Stützen erahnen. Den unteren Teil hat man gründlich entfernt, der Rest rostet vor sich hin. Wären die Australier doch bloß nicht so gründlich!
Seilbahnarchäologie als Nachmittagsprogramm
Aber es hilft nichts, dann muss ich eben nochmals hoch laufen. Würde ich sicher nicht für jede Bahn machen, aber bei dieser Anlage handelt es sich um eine Sesselbahn aus der Gründerzeit des Skigebiets von Thredbo in den 60er Jahren. Die amerikanische Firma Riblet erbaute seinerzeit hier mindestens drei Sesselbahnen. Von Riblet gibt es zwar in Nordamerika noch Anlagen wie Sand am Meer, aber da die Firma in Europa nie tätig war, habe ich entsprechend auch noch nie eine Anlage zu Gesicht bekommen. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit natürlich ändern. Keine Frage, auch wenn der Aufstieg zäh ist, belohnt werde ich viele Schweißtropfen später mit dem Anblick einer rostigen Stütze im Wald.
Tagesausklang am Lake Jindabyne
Die Sonne ist inzwischen hinter den Bergen verschwunden, sodass ich mich nun schleunigst nach einem Campingplatz umsehen muss, um noch halbwegs bei Helligkeit kochen zu können. Daher fahre ich flink in den 30 Kilometer talabwärts gelegenen Ort Jindabyne, der sich bereits außerhalb des Nationalparks befindet. Unterwegs treffe ich am Ausgang des Nationalparks auch eine Mautstelle an, so wie ich mir das auch in Khancoban vorgestellt habe – aber scheinbar gibt es nur hier eine solche Einrichtung. Da die Sonne am Lake Jindabyne noch nicht untergegangen ist, mache ich noch einen spontanen Abstecher zum Seeufer, wo ich mit einem Blick auf prächtige Herbstfarben belohnt werde. Da werden Erinnerungen an den Lake Tekapo wach!
Der schönste Campingplatz Australiens?
Mein angepeilter Campingplatz südlich von Jindabyne ist schnell erreicht und noch während ich aus dem Auto aussteige werde ich auch schon vom Inhaber herzlich empfangen. 12,50 Dollar kostet mich die Übernachtung hier nur, das ist im Gegensatz zu den bisherigen Erlebnissen in Australien wirklich ein fairer Preis. Trotzdem bin ich aber wieder der einzige Gast auf dem riesigen Areal.
Dusche und Toilette sind besser ausgestattet als in manchem Hotel, dafür gibt es aber wieder keine Campingküche. Das scheint in Australien irgendwie unüblich zu sein. Also verzweifle ich wieder einmal mit dem Gaskocher im Kofferraum meines Mietwagens. Fast eine Stunde dauert es, bis meine 1,5 Liter Wasser kochen. Und natürlich ist es längst dunkel, als das Essen fertig ist. Aber morgen kann ich es ein ganz klein wenig gemütlicher angehen, denn bis zu den Wanderwegen im Nationalpark habe ich es ja nicht weit. Auch wenn ich wieder bei Zeiten aufbrechen muss, denn schon am frühen Nachmittag soll sich der Himmel langsam zuziehen und in der folgenden Nacht erwartet mich nach neuester Prognose heftiger Regen.
Eindrücklicher Blick auf die Milchstraße über Jindabyne
Bei der vorherrschenden klaren Nacht heute will ich aber noch einmal die Milchstraße fotografieren, denn höchst wahrscheinlich ist es die beste und letzte Gelegenheit, das in Australien noch zu tun. Die nächsten Tage werde ich wegen des schlechten Wetters nicht die Möglichkeit dazu haben, und wenn ich die Küste erreiche bin ich zum einen rund 1.000 Meter tiefer und auch der Mond wird dann schon wieder zum Problem. Leider bietet der Campingplatz keinen ganz so schönen Vordergrund wie den Wald von gestern, aber nach einiger Zeit finde ich einen schönen Baum, der von hinten von einer Straßenlaterne angeleuchtet wird.
Auch die Milchstraße muss ich nicht lange suchen, denn sie leuchtet hier oben in knapp 1.000 Metern Seehöhe so hell wie ich es noch nie in meinem Leben gesehen habe. Mit bloßem Auge sind die Dunkelwolken unserer Galaxie erkennbar, ebenso bilden Mars, Saturn und Antares wieder ein schönes Dreieck links des Zentrums der Milchstraße. Ich kann mich kaum dazu bringen, die Kamera einzurichten, so schön ist der Anblick. Und weil sich aufgrund des weitgehend hindernisfreien Blicks die Chance ergibt, fange ich heute zum ersten Mal den kompletten Sternenhimmel in Form einer Panoramaaufnahme ein. Was für ein unglaubliches Erlebnis!
Milchstraßenfotografie mit Hindernissen
Plötzlich, gerade als ich die letzte Aufnahme der ersten Panoramaserie im Kasten habe, raschelt es neben mir und wenige Augenblicke später rennt ein paar Meter entfernt ein Känguru vorbei. Meine Güte, bin ich jetzt erschrocken! Vorsichtig leuchte ich mit der Taschenlampe ein wenig die Gegend ab und traue meinen Augen nicht. Da stehen mindestens zehn Kängurus um mich herum und schauen mir zu, während ich die Fotos mache. Wo kommen die denn auf einmal alle her?
Irgendwie scheinen sie dann aber doch etwas scheu zu sein, denn als ich mich etwas bewege treten sie gleich unter lautem Getrampel den Rückzug an. Jetzt bin ich auf jeden Fall wieder wach! Allerdings nur noch für kurze Zeit, denn nach dem langen Tag bin ich doch so müde, dass ich kurz darauf einen letzten Blick auf den Sternenhimmel werfe und mich zufrieden schlafen lege.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.