Världens längsta Linbana – die Luftseilbahn Norsjö

Schon früh breche ich am nächsten Morgen auf. Bis zur Linbana nach Norsjö sind es doch noch 150 Kilometer Strecke und wer weiß schon, wie viele davon wieder nur auf Schotter mit 30 km/h befahren werden können. Zudem habe ich für die Fahrt mit der Seilbahn keinen Platz im Voraus reserviert. Daher will ich auf jeden Fall frühzeitig vor Ort sein, um mich über alles zu informieren. Somit überlasse ich nichts dem Zufall und fahre mit zwei Stunden Puffer an dem Rastplatz los. Zu meinem Erstaunen sind die Straßen hier in deutlich besserem Zustand als nördlich des Polarkreises. Dafür gibt es aber auch heute wieder, wie schon in den letzten Tagen, regen Rentierverkehr am Straßenrand. Unter anderem kommt mir auch ein komplett weißes (Albino?) Rentier entgegen.

Albino-Rentier in Nordschweden

Die längste Seilbahn der Welt für Personentransporte

Die Seilbahn in Norsjö ist mit einer Länge von 13,613 Kilometern die längste Seilbahn der Welt, die für Personentransporte genutzt wird. Genau genommen stellt sie einen Teil des in den 40er Jahren erbauten Seilbahnsystems von Boliden nach Kristineberg dar, das mit einer Gesamtlänge von 96 Kilometern, aufgeteilt in acht Sektionen, auch die längste Seilbahn überhaupt war. Mit der Materialseilbahn wurde Erz transportiert.

Nach der Stilllegung der Anlage regten sich erste Bemühungen, einen Teil der Seilbahn wieder zu reaktivieren und als Touristenattraktion auch für den Personenverkehr nutzbar zu machen. Nach vielen Jahren der Planung konnte 1989 schließlich die vierte Sektion von Örträsk nach Mensträsk auf einer Länge von 13,613 Kilometern derart umgebaut werden, dass sie für Personentransporte zugelassen werden konnte. Statt der üblichen Kübel hängen seither vierplätzige Kabinen am Seil. Diese verwenden aber weiterhin das originale Klemmensystem der ursprünglichen Zweiseilumlaufbahn. Das System basiert wie alle derartigen Materialseilbahnen auf den frühen deutschen Konzepten von Pohlig und Bleichert aus dem 19. Jahrhundert, ist also eine reine Gravitationsklemme.

Linbana Örträsk - Mensträsk in Norsjö

Linbana Örträsk - Mensträsk in Norsjö

100 Minuten Seilbahnfahrt am Stück

Aufgrund ihrer Länge besitzt die Seilbahn nicht wie herkömmliche Kleinkabinenumlaufbahnen einen kontinuierlichen Betrieb, sondern fährt nur genau einmal am Tag in der Sommersaison, in der Nebensaison nur an ausgewählten Tagen. Jeweils 14 Kabinen stehen in den beiden Stationen parat und werden ab 13 Uhr auf die Strecke geschickt. Nach rund 1,75 Stunden Fahrzeit erreichen sie dann die andere Station. Zurück geht es deutlich schneller mit dem Bus.

Entsprechend ist die Platzzahl begrenzt. Nach all dem was ich im Internet gelesen habe, sollte es aber für Einzelpersonen immer noch möglich sein, spontan mitzufahren. Eigentlich hatte ich im Vorfeld die Station Mensträsk als Ausgangspunkt angepeilt. Nachdem Örträsk aber viel näher liegt, fahre ich gleich dorthin. Natürlich bin ich viel zu früh vor Ort. Das gibt mir aber die Möglichkeit, auch noch einen Blick auf die stillgelegte dritte Sektion zu werfen. Die Stützen sind noch vorhanden, Seile und Rollen hat man allerdings entfernt.

Gerüstet für die lange Fahrt

Als ich um die Mittagszeit schon mal etwas esse, um für die lange Fahrt gerüstet zu sein, treffen nach und nach einige Autos ein und die Insassen verschwinden in einem kleinen Restaurant, in dem scheinbar die Anmeldung erfolgt. Ich betrete das Gebäude gegen 12.30 Uhr, treffe dort aber niemanden an. Merkwürdig, aber vielleicht kommt ja noch jemand. Und wo sind überhaupt die ganzen Leute abgeblieben? Kurze Zeit später treffe ich einen Herrn mit wenigen Haaren und noch wenigeren Zähnen. Er kann mir aber auch nicht weiterhelfen und verweist auf eine Frau, die gerade das Picknick für die Leute zusammenstellt, die die Fahrt inklusive Verpflegung gebucht haben. Und sie teilt mir dann mit, dass noch Plätze frei wären. Ich müsse mich aber einen kleinen Moment gedulden.

Kurz darauf halte ich meine Quittung über 320 SEK in der Hand und darf mich noch kurz in einen Nebenraum begeben, wo die restlichen Leute gerade einen Film über die Geschichte der Seilbahn schauen. Der schwedische Sprecher gibt für mich leider nur unverständliche Laute von sich. Aber ich tue mal so, als würde ich alles verstehen. Die Bilder sind ja auch ganz interessant.

Pünktlich und kurz vor 13 Uhr verlassen die restlichen Leute und ich das Gebäude und marschieren auf die Seilbahnstation zu, in der die Kabinen auf ihre Abfahrt warten. Mir wird Kabine Nr. 11 zugewiesen, die ich ganz für mich alleine habe. Insofern ist es also doch überhaupt kein Problem, dass ich nicht reserviert habe. Am Ende sind aber alle Kabinen – wenn auch nicht ganz vollständig – besetzt.

Langsam, aber hörbar setzt sich die 70 Jahre alte Mechanik in Bewegung

Langsam, dafür aber deutlich hörbar setzen sich das Förderseil und die 70 Jahre alte Mechanik in Bewegung. Eine Kabine nach der anderen wird händisch durch die Station geschoben und auf die Beschleunigungsstrecke geschickt. Diese ist wie üblich bei diesen Anlagen eine schiefe Ebene, die die Gravitation zur Beschleunigung und Verzögerung nutzt. So rumpelt und scheppert es recht ordentlich, als meine Kabine ans Seil gekuppelt wird. Hach ja, erinnert ein wenig an die alten Giovanola-Anlagen :-) .

Der Herr mit den wenigen Zähnen wünscht mir eine gute Fahrt. Für die nächsten 100 Minuten bin ich also ganz alleine am Drahtseil unterwegs. In der Kabine mache ich es mir erst einmal gemütlich. Mit an Bord sind ein herunterklappbarer Tisch samt Übersichtskarte, ein Buch mit ein paar Sicherheitshinweisen und Informationen, ein Feuerlöscher und ein Funkgerät. Bei so einer langen Fahrt kann ja schon mal etwas schief gehen. Gleich nach der Station verläuft die Strecke malerisch über mehrere Seen, immer wieder rumpelt es bei den Stützenüberfahrten und meine Kamera bekommt ordentlich Arbeit.

Linbana Örträsk - Mensträsk in Norsjö

Nach einem Viertel der Strecke erwartet mich die erste von drei Spannstationen, an denen die Tragseile abgespannt und „gewechselt“ werden. Das sorgt wiederum für eine recht ruppige Fahrt. Aber gerade deshalb ist es so faszinierend, dass man hier tatsächlich die Möglichkeit hat, mit einer solchen Anlage einmal zu fahren. In Großbritannien gab es sie zu Hauf, in Deutschland standen ein paar dieser Anlagen, in den Anden gab es sie zum Erzabbau bis in 5.000 Metern Höhe. Doch man trifft eben überall nur noch Ruinen oder Relikte an. Das ist zwar zweifelsohne nicht minder interessant, aber hier kann man eben damit fahren!

Linbana Örträsk - Mensträsk in Norsjö

Linbana Örträsk - Mensträsk in Norsjö

Angekommen in Mensträsk, 13 Kilometer und 70 Stützen später

Ich genieße die Fahrt daher in vollen Zügen, als in der Streckenmitte die anderen 14 Kabinen entgegenkommen, die in Mensträsk gestartet sind. Nach 14 Uhr ist es inzwischen, sodass es also nochmals eine gute Dreiviertelstunde dauert, bis die andere Station erreicht ist. Spannstation zwei und drei lasse ich dann auch irgendwann hinter mir, und gegen 14.50 Uhr, nach über eineinhalb Stunden Fahrt, 13 Kilometer und über 70 Zwischenstützen später kommt die Station Mensträsk in Sicht.

Die Bahn verlangsamt ein wenig und mit einem lauten Scheppern und Rumpeln wird meine Kabine wieder vom Seil gelöst. Ein Herr empfängt mich in der Station und fragt mich gleich auf deutsch, ob es „scheiße“ war!? Äh, wie jetzt? Oder ob es zu heiß war? Wie auch immer, war es ja beides nicht :-) . Aber schon ein wenig kurios. Ich versichere ihm dann aber, dass mir die Fahrt gefallen hat und lasse die Station gleich hinter mir, um noch die beiden letzten Kabinen bei der Einfahrt zu filmen.

Landschaft im schwedischen Lappland

Viel Zeit bleibt mir nicht mehr, sodass ich noch schnell einen Blick auf die als Freilichtmuseum erhaltene angrenzende Sektion mit ihren originalen Kübeln werfe, bevor ich auch schon in den blauen Bus einsteige, der mich gegen 15.45 Uhr wieder am Auto in Örträsk auslädt. Nachdem das Auto die ganze Zeit in der Sonne stand, ist es erst einmal Zeit zu lüften und die Vorhänge zu reparieren, denn die Hitze hat den Kleber der Klettbänder zum Schmelzen gebracht. Und bevor er hart wird, muss ich folglich die Vorrichtungen wieder ankleben.

Linbana Örträsk - Mensträsk in Norsjö

Weiter Weg nach Åre

Auch wenn ich nun schon lange unterwegs bin, noch ist der Tag bei weitem nicht zu Ende. Da es am Dienstag regnen soll, muss ich zwingend schon morgen Vormittag in Åre sein, um dort das Wetter noch ausnutzen zu können. Dumm nur, dass der bekannte Skiort noch über 400 Kilometer entfernt liegt. So wird es ein langer Abend, bis ich nach einem Zwischenstopp für Benzin und Abendessen schließlich einen geeigneten Platz zum Übernachten an der E14 nach Trondheim finde.

Bis nach Åre ist es von hier aus noch etwa eine Stunde zu fahren, das kann ich morgen früh dann noch gut machen. Trotz der Länge ist es eine recht kurzweilige Fahrt. Das Abendlicht bei der Fahrt durch die Wälder Lapplands macht jeden Kilometer zu einem Erlebnis. Lediglich zwei Gewitter mit heftigen Niederschlägen halten mich ein wenig auf. Kann mich nicht entsinnen, dass ich bei solchen Bedingungen schon einmal Auto gefahren bin. Teilweise kann ich nicht mal mehr die Straße erkennen und muss mich daher mit maximal 10-20 km/h vorantasten. Dafür sind die Gewitterschauer aber glücklicherweise auch jeweils nur von kurzer Dauer.

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