Eine nach der anderen machen sich die kleinen roten Kabinen der Pilatus-Seilbahn am frühen Morgen in Kriens auf den Weg. Noch lässt der Ansturm der Gäste auf sich warten. Doch zwischen den Hochnebelschwaden bahnt sich bereits ein sonniger Herbsttag an, an dem wieder unzählige Touristen den Weg zum Gipfel antreten werden. Der Gipfel – das ist die Station Pilatus Kulm in knapp 2100 Metern über dem Meer. Einst gilt der Berg als düsterer Gipfel, der Unwetter und Fluten mit sich bringt, als Sitz von Drachen, Zauberern und Hexen. Heute ist er einer der international bekanntesten Gipfel der Schweiz.
Eine Möglichkeit, den Pilatus bequem zu erreichen, bietet sich heute mit der erwähnten Kabinenbahn von der Ortschaft Kriens aus. Kaum hat eine Kabine die Talstation verlassen, schwebt sie auch schon zwischen Häusern hinweg sanft hinauf in Richtung Krienseregg. In diesem Teil der Strecke hat die Anlage einen fast schon urbanen Charakter. Kein Wunder, denn die Agglomeration Luzern erstreckt sich mittlerweile weit entlang der umliegenden Hänge hinauf. Einige Fahrminuten später lassen die Kabinen die städtische Umgebung aber hinter sich und tauchen in den herbstlich bunten Mischwald ein. Und es dauert nicht lange, da lassen sie auch die morgendliche dünne Nebelschicht hinter sich. Von nun an beleuchten die ersten Sonnenstrahlen des Tages die Blätter und tauchen die Umgebung in ein warmes Licht. Ein beeindruckendes Naturschauspiel, das die Fahrt bereits zum Erlebnis macht, noch bevor das eigentliche Ziel der Reise überhaupt in Sichtweite kommt.
Auftauchen aus dem Morgennebel
Bei sanften 4,5 m/s vergeht eine ganze Weile, bis die erste Zwischenstation der Seilbahn auf der Krienseregg erreicht ist. Mit einer Länge von über 2,1 Kilometern zählt die Kabinenbahn zu den längeren ihrer Art, verläuft aber vergleichsweise flach. Bei kontinuierlicher Steigung überwindet die Anlage auf dem ersten Abschnitt gut 500 Höhenmeter und erreicht eine Höhe von 1033 Metern über dem Meer. Mit einem leichten Ruckeln geht es in die Station Krienseregg hinein, in der sich unüberhörbar die Antriebsanlage befindet. Nicht nur jene der ersten Teilstrecke, sondern auch die der zweiten Sektion. Diese schliesst sich gleich an und kann dank automatischem Kabinentransport in der Station auch ohne Umsteigen erreicht werden.
Die meisten Fahrgäste bleiben auch in ihrer Kabine, um gleich die Fahrt mit der noch längeren zweiten Sektion anzutreten. Fast 2,8 Kilometer misst dieser Abschnitt, auf dem aber gerade einmal 386 weitere Höhenmeter überwunden werden. Ein Rekordhalter in Sachen Steigung ist die Seilbahn damit definitiv nicht. Sie zeichnet sich mit ihren langen Spannfeldern zwischen den Stützen aber durch eine interessante Besonderheit aus. Der Grund für diese Bauweise ist mit einem Blick in die Geschichtsbücher zu erklären. Während das Pilatusmassiv von Alpnachstad aus bereits seit dem Jahr 1889 mit einer Zahnradbahn erreichbar ist, beginnen Mitte der 1950er Jahre die Bauarbeiten für eine zweite Bergbahn-Achse in Form einer Seilbahn.
Zur Geschichte der Pilatus-Seilbahn
Von Kriens aus und damit in unmittelbarer Nähe zu Luzern mit seinem historischen Stadtkern soll eine zweite Bergbahn in drei Sektionen den Gipfel erschliessen. Auf den ersten beiden Abschnitten fällt die Wahl aufgrund der enormen Länge auf ein Umlaufsystem mit Kleinkabinen. Viele Hersteller sind damals noch nicht im Bau solcher Bahnen tätig. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Wahl gerade auf die Maschinenfabrik Bell fällt, die in Kriens ansässig ist. Bell nutzt ein System mit Trag- und Zugseil, eine sogenannte Zweiseilumlaufbahn, die zwischen den Stützen besonders grosse Abstände zulässt. Beim Neubau der heutigen Anlage im Jahr 1996 können diese Stützen zu grossen Teilen übernommen werden. Trotz der grossen Länge der Bahn sind daher bis zur Station Fräkmüntegg in 1419 Metern über dem Meer nur wenige Eingriffe in die Natur notwendig.
Die heutige Anlage kommt dagegen ohne zusätzliches Tragseil aus und setzt auf ein einziges Förderseil, das die Trage- und Zugfunktion simultan übernimmt. Mit Kuppelklemmen sind die Kabinen an diesem Seil befestigt und werden in den Stationen automatisch getrennt. Mit Reifenförderern erfolgt daraufhin bei verringerter Geschwindigkeit der Transport innerhalb des Stationsumlaufs. Für das geübte Auge ist es anhand des Klemmentyps und der Stationstechnik unschwer erkennbar, dass es sich um eine typische Anlage des Herstellers Garaventa aus dem nahegelegenen Kanton Schwyz handelt. Das Unternehmen zählt Mitte der 90er Jahre seit geraumer Zeit zu den führenden Herstellern im Bau kuppelbarer Einseilumlaufbahnen in der Schweiz. Das System mit den charakteristischen Tellerfederklemmen ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit etwa einem Jahrzehnt im Einsatz und nahezu in allen Ecken des Landes anzutreffen.
Eine Seilbahn mit technischen Besonderheiten
Viererkabinen gelten Mitte der 90er Jahre eigentlich schon als überholt, sodass Garaventa ab 1995 ein neues System für Kabinen mit bis zu acht Sitzplätzen vorstellt. Am Pilatus ist eine der Anforderungen beim Neubau aber die Übernahme der bestehenden Stationsbauten der alten Zweiseilumlaufbahn. Aus diesem Grund können wie beim Vorgänger nur vierplätzige Kabinen zum Einsatz kommen, was Garaventa dazu veranlasst, erneut auf die bewährte, ältere Baureihe zurückzugreifen. Obwohl die neue Bahn wie erwähnt nur noch ein Seil besitzt, können dank fortschrittlicher Technik deutlich mehr Kabinen zum Einsatz kommen als bei der alten Anlage aus den 50er Jahren. 132 Fahrzeuge sind auf beiden Sektionen insgesamt im Einsatz, wodurch sich eine Förderleistung von stündlich 550 Personen je Richtung ergibt. Doch auch damit kommt die Bahn an schönen Tagen nicht selten an ihre Grenzen.
Produziert werden die Kabinen vom Oltener Karosseriebauer CWA. Die Fahrzeuge sind annähernd während des ganzen Jahres im Einsatz, was man ihnen nach über 25 Jahren Betrieb aber erstaunlicherweise kaum ansieht. Auch während der Talfahrt mit der Bahn fasziniert in Sachen Ausblick wieder das tiefliegende Nebelmeer, in Sachen Technik aber auch der grosse Abstand zwischen den einzelnen Stützen. Bis auf einen Niederhalter im unteren Teil der zweiten Sektion stammen die Fachwerkschäfte noch vom Vorgänger, das Joch, die Rollenbatterien und die Anhebeböcke sind dagegen adaptierte Konstruktionen von Garaventa.
Fünf Kilometer unbeschwerter Landschaftsgenuss
Nahezu horizontal geht es in Richtung der Zwischenstation auf der Krienseregg, in der das Förderseil der zweiten Sektion mit einem Gegengewicht abgespannt wird. Anders als bei der neueren Baureihe setzt Garaventa hier interessanterweise nicht auf eine Hydraulik. Das gleiche Prinzip ist auch bei der ersten Sektion anzutreffen, wenngleich hier Antrieb und Abspannung nicht kombiniert sind, sondern sich auf die Berg- und Talstation der ersten Sektion verteilen.
Von der Fräkmüntegg aus ist der Gipfel des Pilatus mit einer 2015 erneuerten Grosskabinen-Pendelbahn erreichbar. Die Kabinenbahn von Kriens zur Fräkmüntegg ist nicht nur ein Zubringer, sondern selbst bereits ein äusserst fahrenswertes Seilbahnexemplar. Mit ihrer Länge von fast fünf Kilometern und dementsprechend langen Fahrzeit lädt sie zu einem unbeschwerten Genuss der umliegenden Landschaft ein. Für Seilbahnfans sind dagegen vor allem die vielen technischen Besonderheiten dieser Anlage einen Besuch wert. Eine moderne und gleichwohl mit nostalgischen Akzenten versehene Seilbahn trifft man nicht allzu häufig an. Und so wird die Anlage auch in Zukunft hoffentlich noch vielen weiteren Gästen den Weg an den Fuss des sagenumwobenen Drachenbergs oberhalb von Luzern erleichtern.
Spektakuläre dritte Sektion nach Pilatus-Kulm
Die angesprochene dritte Sektion von der Fräkmüntegg bis zur Station Pilatus Kulm steht der Kleinkabinenumlaufbahn aber in nichts nach. Seit dem Jahr 1956 ist dieser Punkt von der Nordseite aus mit einer Luftseilbahn erreichbar, nachdem bereits im 19. Jahrhundert eine Zahnradbahn den Gipfel von Alpnachstad aus erreicht.
Heute befährt eine ausgesprochen modern daherkommende Pendelbahn die Teilstrecke zwischen der Fräkmüntegg und dem Pilatus. Weitere 647 Höhenmeter überwindet diese Anlage. Je 55 Personen fassen die beiden charakteristisch roten Kabinen, die sich nach der Talstation über ein langes Spannfeld auf den Weg in Richtung der einzigen Zwischenstütze der Bahn machen. Das schroffe Relief des Pilatusmassivs ist in früheren Zeiten bereits Anlass für zahlreiche Sagen, die sich um den Berg ranken. Angefangen beim Präfekten Pontius Pilatus und seiner Bestattung im Pilatussee bis hin zum Luzerner Drachenstein gilt der Pilatus einst als unwirtlicher und tückischer Geselle. Heute beschert das Relief eine spektakuläre Seilbahn mit einem sehenswerten Bodenabstand im mittleren Streckenteil.
Sagenumwobener Berg mit sehenswertem Relief
Die einzige Stütze oberhalb der Streckenmitte fällt dafür ausgesprochen klein aus. Platziert auf einem Felsvorsprung passieren die Kabinen sie nur wenige Meter über dem Boden. Gleich darauf folgt mit dem zweiten Spannfeld bis zur Bergstation aber erneut eine gewagte Trassierung. Knapp 1,4 Kilometer misst die Distanz zwischen den beiden Endpunkten der Seilbahn, womit die Luftseilbahn Fräkmüntegg-Pilatus Kulm gewiss nicht zu den längsten Anlagen ihrer Art zählt. Bei einer maximalen Geschwindigkeit von 9 m/s ist die Bergstation bereits in unter vier Minuten erreicht. Rechnerisch ergibt das eine Förderleistung von etwas weniger als 600 Personen pro Stunde. Das ist sogar mehr als bei der Kleinkabinenumlaufbahn auf den unteren beiden Teilabschnitten, und dennoch bilden sich gerade am Nachmittag bei der Talfahrt nicht selten Warteschlangen auf dem Gipfel.
Vom Mons fractus zum Pilatus
Wie ein Adlerhorst ragt die Station der Luftseilbahn aus dem Bergstationskomplex hinaus, in dem sich auch das Hotel Bellevue und der Bahnhof der südseitig eintreffenden Zahnradbahn befinden. Aus Platzgründen besitzt die Bergstation der Seilbahn ein Schiebeperron, das jeweils immer auf die gerade nicht genutzte Seite geschoben wird, um der einfahrenden Kabine Platz zu machen. Der Grund für diese Bauweise resultiert aus den Gegebenheiten, die der Hersteller Garaventa beim Bau im Jahr 2015 vorfindet. Denn es gilt, die Anlage in die bestehende Bausubstanz des deutlich kleineren Vorgängers zu integrieren. Dieser stammt aus dem Jahr 1983 und ebenfalls aus der Feder des Zentralschweizer Herstellers.
Schon damals ist die Anlage eine Evolution des Vorgängers, der an dieser Stelle seit dem Jahr 1956 die Zahnradbahn ergänzt. Die Stütze und die Stationen kann Garaventa bei diesem Umbau vom Seilbahn-Erstlingswerk am Pilatus übernehmen. Auch zu dieser Zeit besteht die Seilbahnkette bereits aus drei Sektionen. Die Pendelbahn zum Gipfel ist damals eine Konstruktion der Von Rollschen Eisenwerke aus Bern. Charakteristisches Merkmal der ersten Pendelbahn sind ihre zwei parallelen Zugseile.
Die heutige Anlage kommt dagegen klassisch mit einem Zugseil und zwei Tragseilen je Fahrspur aus. Angetrieben wird sie dabei wie der Vorgänger von der Talstation auf der Fräkmüntegg aus. Die Bezeichnung dieses Ausläufers des Pilatusmassivs erinnert auch heute noch an den Namen, den der heutige Hausberg von Luzern einst trägt. Im Mittelalter heisst der Berg Mons fractus – zu deutsch gebrochener Berg – oder abgewandelt Frakmont oder Fräkmünd. Warum, das ist beim Anblick der schroffen Felsen auch heute noch gut erkennbar.
Rundreise um den Pilatus mit Zahnradbahn, Seilbahn und Schiff
Die inzwischen dritte Generation Gipfelseilbahn prägt den Pilatus genauso wie es ihre beiden Vorgänger einst tun. Aus dem Bild der Stadt Luzern ist der Berg seit Jahrhunderten nicht mehr wegzudenken. Und für unzählige Touristen aus dem In- und Ausland ist der Pilatus nach wie vor ein fester Punkt auf der Agenda. Konkurrenz in Sachen Aussichtsgipfel gibt es rund um den Vierwaldstättersee reichlich. Rigi, Stanserhorn, Bürgenstock oder natürlich auch der etwas weiter entfernte Titlis sind ebenfalls gefragte Ziele.
Doch der Pilatus mit seiner mystischen Geschichte ist nicht ohne Grund einer der bekanntesten und beliebtesten Berge der Schweiz. Neben der einmaligen fabelhaften Aussicht von vergletscherten Gipfeln bis weit ins Mittelland hinein sind aber auch die Bergbahnen ein guter Grund, die Reise in 2100 Meter Höhe anzutreten. Speziell die Luftseilbahn, aber natürlich auch die historische Zahnradbahn auf der Südseite. Wer es ganz klassisch machen will, der nimmt gleich beide Bahnen auf einer Rundtour mit. Zurück geht es dann als weiterer Höhepunkt per Schiff über den Vierwaldstättersee.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.