Die 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland. Nachkriegszeit, Wirtschaftswunder und steigender Wohlstand. Um an dem aufkommenden Tourismus teilhaben zu können, machen sich viele kleinere und grössere Städte und Dörfer Gedanken über mögliche Attraktionen. In den Alpen blüht der Ski- und Wandertourismus auf. Und mit ihm werden unzählige Skilifte und Sesselbahnen gebaut. In der Mitte Deutschlands sind die hohen Berge rar gesäht. Skifahren ist im Hochwinter in den Mittelgebirgen möglich, aber nicht vergleichbar mit dem Süden der Bundesrepublik. Dennoch weiss man an Rhein und Mosel Seilbahnen als Tourismusmagnete zu nutzen. Es kommt zu einem regelrechten Bauboom in den 50er Jahren. Es scheint, dass nahezu jeder schöne Aussichtspunkt durch eine seilgezogene Aufstiegshilfe erschlossen werden will. Ob in Burg an der Wupper, Altenahr, Cochem, Assmannshausen, Rüdesheim oder Boppard, Seilbahnen spriessen plötzlich wie Pilze aus dem Boden. Auch im pfälzischen Edenkoben entsteht 1954 eine Sesselbahn.
Die Rietburgbahn – Eine der ersten Sesselbahnen Deutschlands
Es ist die erste Sesselbahn an der Weinstraße und gleichzeitig auch die erste Seilbahnanlage in der Pfalz. Dass man gerade an dieser Stelle eine Sesselbahn erstellt, ist kein Zufall. Die Haardt am östlichen Ende des Pfäzerwalds ist bereits zu diesem Zeitpunkt ein beliebtes Gebiet für Wanderer. Steil fallen die bewaldeten Hügel hier zur Rheinebene hinab und bieten von oben einen fantastischen Fernblick, der bei klarem Wetter von Frankenthal über Heidelberg bis in den Schwarzwald hinein reicht.
Wenig verwunderlich ist es daher, dass bereits im 13. Jahrhundert an diesem strategisch günstigen Standort zahlreiche Burgen entstanden. Eine unter ihnen war die Rietburg, zu der die heutige Sesselbahn führt. Während des 30-jährigen Kriegs wurde die Burganlage zwar fast vollständig zerstört, seit Beginn des 20. Jahrhunderts sorgten umfangreiche Erhaltungsmaßnahmen jedoch dafür, dem weiteren Verfall der Ruine vorzubeugen. 1931 errichtete der Pfälzerwald-Verein in den Ruinen der Burg eine Hütte, gemeinsam mit der Sesselbahn wurde Mitte der 50er Jahre die heute noch bestehende Gaststätte in die Burg integriert.
Erstlingswerk aus dem Hause Pohlig
Zugang zur Sesselbahn besteht über eine Fahrstraße, die wahlweise über Edenkoben oder über Roth unter Rietburg zur Talstation führt. Die Station befindet sich unweit des Schlosses Villa Ludwigshöhe, der einstigen Sommerresidenz des bayerischen Königs Ludwig dem Ersten. Verantwortlich für den Bau der Sesselbahn zeichnet die traditionsreiche Firma Julius Pohlig. Bereits Ende des 20. Jahrhunderts hatte der Kölner Seilbahnhersteller Materialseilbahnen für den Rohstoffabbau in die ganze Welt exportieren können und spezialisiert sich seit dem Ende des zweiten Weltkriegs auf den Bau von Personenseilbahnen.
Anders als zu jener Zeit üblich setzt Pohlig jedoch nicht auf die klassische Sesselbahn mit einplätzigen Sesseln, wie man sie in den Alpen an vielen Orten antrifft. Um die Fahrt nicht allein bestreiten zu müssen, setzt Pohlig Doppelsessel ein. Gemeinsam mit einer baugleichen Anlage in Bad Breisig ist es 1954 die erste derartige Anlage aus dem Hause Pohlig. Die Hersteller Weigmann und Hasenclever hatten bereits in den Jahren zuvor auf diese Konstruktionen gesetzt.
Zwischen Kastanienbäumen zur Rietburg
Von der in 321 Metern über dem Meer gelegenen Talstation nimmt eine Fahrt bis zur Rietburg rund acht Minuten in Anspruch. 210 Höhenmeter werden auf einer Strecke von gut einem halben Kilometer überwunden. Was zum Zeitpunkt des Baus üblich war, heute aber eher als Besonderheit gesehen werden kann, ist der geringe Bodenabstand auf der Strecke. Gerade einmal 3-4 Meter schweben die Sessel im Schnitt über die Kastanienbäume und Sandsteinfelsen hinweg. Teilweise sind die Äste während der Fahrt zum Greifen nah. Aus diesem Umstand resultiert auch die recht hohe Stützenanzahl für eine derart kurze Strecke. Ganze 11 Zwischenstützen befinden sich zwischen Tal- und Bergstation. Angetrieben und abgespannt wird die Anlage übrigens im Tal, während die Bergstation aus einer simplen starren Umlenkscheibe besteht.
Als eine der ältesten Sesselbahnen Deutschlands und eine der letzten noch verbliebenen Anlagen der Firma Pohlig ist die Rietburgbahn allein aus seilbahntechnischer Sicht eine Reise wert. Doch auch die phänomenale Aussicht auf die Rheinebene von der Burg und während der Talfahrt sollte man sich keinesfalls entgehen lassen!
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.
Die Rietburg-Bahn war vor 2018 für mehrere Jahre nicht betriebsfähig. Kann man mir mitteilen, von wann bis wann sie stillgelegt war?