Mit der Wallbergbahn hoch über dem Tegernsee

Seit Jahrhunderten zählt der Tegernsee in den bayerischen Alpen zu den beliebtesten Freizeit- und Ausflugsgegenden Süddeutschlands. Die Lage inmitten der ersten hohen Alpengipfel und die gute verkehrstechnische Anbindung an den Raum München machen die Region für Erholungssuchende besonders attraktiv. So ist es nicht wirklich erstaunlich, dass man sich bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Gedanken darüber macht, durch zusätzliche Attraktionen weitere Touristen anzulocken. Unter anderem kommen erste Überlegungen auf, die Bergwelt rund um den Tegernsee bequem per Seilbahn zugänglich zu machen. Im restlichen Alpenraum, insbesondere aber in der benachbarten Schweiz, sind derartige Anlagen immer häufiger anzutreffen. Dort sind es meist schienengebundene Standseilbahnsysteme, die teils bis in 2500 Meter Seehöhe vordringen.

Im Tegernseer Tal verfolgt man dagegen die Idee des Baus einer bodenunabhängigen Luftseilbahn. Seit Jahrzehnten sind die deutschen Firmen Pohlig und Bleichert im Bau solcher Anlagen für Materialtransporte tätig, doch auch ein Einsatz für Personentransporte scheint möglich. In Südtirol sind die ersten solchen Luftseilbahnen zu diesem Zeitpunkt bereits in Betrieb. Und mit dem neuartigen Pendelbahnsystem Bleichert-Zuegg ist ab Mitte der 20er Jahre eine Technologie verfügbar, die sich bestens auch für die Erschliessung unwegsamer Geländekammern eignet.

Eine Luftseilbahn auf den Wallberg in den 20er Jahren

Einige Visionäre aus der Ortschaft Rottach am südlichen Ende des Tegernsees planen zu diesem Zeitpunkt eine Erschliessung des 1700 Meter hoch gelegenen Wallbergs mit einer Luftseilbahn. Die Anlage soll vom Dorfrand bis auf ein Plateau unterhalb des Gipfels führen und dabei etwa 800 Meter Höhendifferenz überwinden. Doch der Plan scheitert letztlich daran, dass nicht genügend Kapital für den Bau der Bahn aufgebracht werden kann. Aus diesem Grund entsteht die erste grössere Luftseilbahn Bayerns erst 1928 in Bad Reichenhall. Die Anlage ist eine Konstruktion nach dem System Bleichert-Zuegg und bis heute im Originalzustand in Betrieb.

Doch auch am Tegernsee gibt man die Erschliessung des Wallbergs nicht auf. Nach dem zweiten Weltkrieg kann ein neues Projekt in Angriff genommen werden. Und diesmal mit Erfolg. Im Jahr 1950 erfolgt die Gründung der Wallbergbahn AG, die bald darauf den Bau einer Seilbahn in Auftrag gibt. Die Wahl fällt auf ein Zweiseilumlaufbahnsystem des Kölner Seilbahnpioniers Julius Pohlig. In Anlehnung an die weltweit exportierten Materialseilbahnen werden bei diesem System Kabinen für vier Fahrgäste durch ein umlaufendes Zugseil bewegt und von einem zusätzlichen Drahtseil auf der Strecke getragen. Für einen gefahrlosen Ein- und Ausstieg werden die Kabinen in den Stationen vom Seil gelöst und über Schienen durch den Stationsbogen geschoben. Durch die in regelmässigen Abständen verkehrenden Kleinkabinen ist die Förderleistung wesentlich höher als bei einer Pendelbahn mit zwei Kabinen, die zwischen den Stationen hin und her fahren.

Das System Wallmannsberger und die Anfänge der Kabinenbahnen

Die Idee, das Prinzip der Materialseilbahn auch für den Personentransport zu nutzen, stammt jedoch nicht von Pohlig selbst. Es ist der Salzburger Konstrukteur Georg Wallmannsberger, der bereits in den 30er Jahren ein solches System ausarbeitet und nach dem zweiten Weltkrieg perfektioniert. Zum Zeitpunkt des Baus der Wallbergbahn findet er mit den Firmen Wiener Brückenbau und Bell erste Abnehmer für seine Ideen, sodass in den folgenden Jahren zahlreiche Zweiseilumlaufbahnen nach dem System Wallmannsberger entstehen. Die Anlage in Rottach-Egern basiert dagegen auf einer Pohlig-eigenen Entwicklung, deren Klemmapparate den hauseigenen Konstruktionen der Materialseilbahnen entstammen. Noch 1950 kann Pohlig eine zweite solche Anlage im Nachbartal auf den Spitzingsattel eröffnen.

Die Bahn auf den Wallberg folgt der bereits in den 1920ern vorgesehenen Linienführung. Die Talstation wird dabei etwas oberhalb der Ortschaft Rottach-Egern erstellt. Die Seilbahn steigt daraufhin kontinuierlich durch den Wald bis in 1600 Meter Seehöhe an. Knapp 2,2 Kilometer misst die schräge Länge, 825 Höhenmeter werden zwischen Tal- und Bergstation zurückgelegt. 1951 kann die Anlage schliesslich dem Betrieb übergeben werden und ist damit die erste grössere Seilbahn im Tegernseer Tal.

Das längst vergessene Skigebiet am Setzberg

Als zusätzliche Attraktion erfolgt wenige Jahre nach der Eröffnung ein Ausbau der Infrastruktur rund um den Wallberg durch zusätzliche Seilbahnanlagen. Zwei Einersesselbahnen erschliessen auf der Rückseite in Form einer Skischaukel den Setzberg, ein zusätzlicher Schlepplift erweitert das Areal für Wintersportler. Die Einersesselbahnen stammen wiederum aus dem Hause Pohlig und erfreuen sich auch in den Sommermonaten grosser Beliebtheit.

Wie an so vielen anderen Orten in den bayerischen Alpen bereiten die geringe Grösse des Skigebiets und schneearme Winter den Betreibern Jahrzehnte später jedoch Probleme. Die Sesselbahn am Setzberg wird 1988 zwar noch durch einen kurzen Schlepplift ersetzt, um die Jahrtausendwende sind die verbliebenen Anlagen dann aber letztmalig in Betrieb. Heute zeugen aber noch immer einige Überreste vom ehemaligen Skigebiet am Setzberg.

Nostalgieerlebnis Wallbergbahn

Auch die Wallbergbahn ändert ihr Erscheinungsbild im Laufe der Jahre immer wieder. So sind die ursprünglichen Klemmen nur ein knappes Jahrzehnt lang im Einsatz. Bereits 1959 erfolgt der erste Umbau, bei dem die Laufwerke mit neuen Schraubklemmen ausgestattet werden. Das gleiche System wird auch bei der kurz darauf eröffneten Kölner Rheinseilbahn eingesetzt und ist in Rottach-Egern bis heute im Einsatz. Die optisch auffälligste Neuerung erfolgt nach über vier Jahrzehnten Betrieb, als 1995 die Kabinen durch neue Exemplare der Firma CWA ersetzt werden. Auch eine Automatisierung des Stationsbetriebs erfolgt in dieser Zeit.

Abgesehen von den Kabinen kommt die Wallbergbahn aber auch heute noch sehr nostalgisch daher. Die Fachwerkstützen, die Laufwerke und die Stationsbauten faszinieren durch ihren simplen, aber monumental wirkenden Aufbau. Auch die Architektur und das Ambiente der Kassen- und Innenbereiche in den Stationen lässt ein nostalgisches Flair aufkommen. Mit Baujahr 1951 ist die Wallbergbahn heute nach der Schauinslandbahn die älteste noch in Betrieb befindliche kuppelbare Umlaufbahn in Deutschland. Der Ursprung der Kuppeltechnik, der auf die Ideen Pohligs bei den Materialseilbahnen des 19. Jahrhunderts zurückgeht und heute aus keinem Skigebiet mehr wegzudenken ist, lässt sich hier noch live erleben.

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