Der Skisport befindet sich in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch in seiner Anfangszeit. Nach Krieg und Wirtschaftskrise beginnt der Tourismus in Europa zu florieren. Und mit ihm strömen immer mehr Menschen in die Berge, um dort im Winter Schnee und Sonne zu genießen. Verbunden sind die geliebten Abfahrten im Pulverschnee aber mit langen, beschwerlichen Aufstiegen.
1934 ist es, als sich ein junger Jean Pomagalski Gedanken darüber macht, wie man diesen mühsamen Aufstiegen ein Ende setzen könnte. Bereits knapp drei Jahrzehnte zuvor war es dem Tüftler Robert Winterhalder im Schwarzwald gelungen, eine erste derartige Idee auf seinem Hof in Schonach umzusetzen. Die Konstruktion ermöglichte es, Skifahrer und Schlittler durch Haltevorrichtungen an einem umlaufenden Seil den Berg hinaufzuziehen.
Pomagalskis Schlepplift-Ideen der 30er Jahre
Pomagalski schwebt eine ähnliche Überlegung vor. An einem umlaufenden Förderseil, das über Zwischenstützen geführt wird, sollen Stangen befestigt werden, die die Wintersportler bergauf ziehen. Um eine möglichst kraftsparende und komfortable Fahrt zu ermöglichen, werden an den Stangen Teller befestigt, die sich die Fahrgäste zwischen die Beine klemmen. Auf diese Weise zieht die Stange am Körperschwerpunkt – mit verblüffender Ähnlichkeit zu Winterhalders Prototyp im Schwarzwald. Ähnliche Systeme entstehen zur gleichen Zeit auch durch Ideen der Schweizer Ingenieure Beda Hefti und Ernst Constam. Letzterer entwickelt den klassischen Bügelskilift, der auch heute noch weltweit anzutreffen ist.
Um die Fahrgeschwindigkeit im Vergleich zu Constams Schleppliften zu erhöhen, verwendet Pomagalski eine spezielle Bauweise im Bereich der Talstation. Das Förderseil weist im Bereich des Einstiegs ein deutliches Gefälle auf und wird erst im Anschluss durch eine Niederhalterolle bergauf geführt. Durch diese Seilführung können die Fahrgäste trotz der hohen Geschwindigkeit in dem abschüssigen Bereich relativ komfortabel zusteigen. Seinen Prototyp kann Pomagalski 1936 in L’Alpe d’Huez eröffnen. Für eine flächendeckende Produktion des neuartigen Schleppliftsystems fehlen Pomagalski aber die Ressourcen. Er schließt sich daher mit dem Konstrukteur Georges Dandelot zusammen, der auf den Bau von Schlittenseilbahnen spezialisiert ist und bereits in den Jahren zuvor an einem eigenen Schleppliftsystem gearbeitet hat. Das erste Dandelot-System ähnelt den Constam-Schleppliften, ist aber wenig erfolgreich. Der Prototyp in Aravis ist gleichzeitig die letzte derartige Anlage, die das Licht der Welt erblickt.
Mäßiger Erfolg in Zusammenarbeit mit Dandelot und Applevage
Dandelot standardisiert in der Folge Pomagalskis Ideen und erstellt in Lizenz bis in die 40er Jahre zahlreiche solche Schlepplifte. Allerdings ist die Überlegung mit der Gefällsstrecke im Einstiegsbereich nicht so erfolgreich wie erhofft. Dandelot steigt schließlich wieder auf sein eigenes System um und Pomagalski ist erneut auf der Suche nach einem Partner. Er findet ihn in Form des renommierten Pariser Konstruktionsbüros Applevage.
In der Zwischenzeit hat er das System weiterentwickelt und mit einer neuartigen Kuppelklemme in Zangenform ausgestattet. Diese soll eine Verbesserung des Komforts ermöglichen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Stangen nur bei Benutzung auf die Strecke fahren. Bei Nichtnutzung sammelt ein Magazin die Schleppgehänge in der Talstation. Vier Schlepplifte enstehen aus der Zusammenarbeit, dann zieht sich Applevage aus dem Schleppliftbau zurück. Auch dieses System kann letztlich wegen zahlreicher Seilentgleisungen nicht überzeugen.
Der Poma-Schlepplift schafft den Durchbruch
Den Durchbruch schafft Pomagalski schließlich mit einer weiteren neuentwickelten Kuppelklemme, die das Seil umschließt. 1944 kann das System erstmalig am bereits bestehenden Schlepplift Lac Blanc in L’Alpe d’Huez eingesetzt werden. Die neuen Klemmen ersetzen die bis dato eingesetzten Zangenklemmen und ermöglichen endlich einen zuverlässigen Betrieb. Bis heute wird dieses grundlegende Konstruktionsprinzip nahezu unverändert eingesetzt und verhilft der Firma Poma ab Ende des zweiten Weltkriegs zu weltweiter Bekanntheit. Kein anderes Seilbahnsystem kann dem günstigen Poma-Schlepplift zahlenmäßig das Wasser reichen.
Aufgrund der erfolgreichen Weiterentwicklung haben die frühen Konstruktionen aus den 30er und 40er Jahren meist kein allzu langes Leben. Die neuen Anlagen ermöglichen hohe Förderleistungen und einen schnellen, unkomplizierten Transport der Fahrgäste. Im Ergebnis werden die einstigen Pionieranlagen daher im Laufe der Zeit durch neue Anlagen ersetzt. Einzig dort, wo keine besonders hohe Förderleistung benötigt wird, bestehen Überlebenschancen.
Aiguilles und der regionale Naturpark Queyras
Oder an jenen Orten, an denen man den Skibetrieb gänzlich aufgibt. Einer dieser Orte ist das unscheinbare Städtchen Aiguilles, gelegen inmitten des regionalen Naturparks Queyras im äußersten Osten der französischen Alpen. Wer den Col d‘Izoard überschreitet, der durchquert einen Teil dieses Parks, von seiner Schönheit nimmt er aber nur teilweise Notiz.
Nach Aiguilles verirren sich weit weniger Touristen als zu der vielbefahrenen Passstraße der Route des Grandes Alpes. Das dürfte auch der Grund dafür sein, warum der Skisport hier nie wirklich Fuß fassen kann. Einige kurze Schlepplifte sind auch heute noch in Betrieb, weiter hinten im Tal kann das Skigebiet Abriès sogar mit einer Sesselbahn auftrumpfen. Das einstige Skigebiet von Aiguilles ist dagegen seit vielen Jahren stillgelegt und größtenteils rückgebaut. Mit einer Ausnahme. Eine rostige Ruine zeugt oberhalb des Ortes auch heute noch von den Anfängen des Skisports.
Der Schlepplift Chabataron – die erste Seilbahnanlage im Skigebiet Aiguilles
1938 kann der Schlepplift Chabataron an dieser Stelle eingeweiht werden. Es ist eines der ersten Werke Jean Pomagalskis in Zusammenarbeit mit Dandelot. Charakteristisch für die Epoche sind die fragil anmutenden Fachwerkstützen, die überaus hohe Talstation und die angesprochene Gefällsstrecke zur ersten Stütze, die den Einstieg besonders komfortabel gestalten soll. Auch die für Jahrzehnte charakteristische fliegende Umlenkscheibe zur Abspannung des Förderseils in der Bergstation ist Teil dieser Konstruktion. Mit über 400 Höhenmetern auf weniger als einem Kilometer Strecke ist der Lift ausgesprochen steil und zählt zum Zeitpunkt seines Baus zu den längsten derartigen Anlagen der Welt. Der Schlepplift ist ein Pionierwerk, das sich schnell zu einem Touristenmagnet entwickelt.
Im Ursprungszustand ist der Lift jedoch nicht lange in Betrieb. Die permanent umlaufenden Tellergehänge werden gegen Ende der 40er Jahre durch das neuartige System mit seilumschließenden Kuppelklemmen ersetzt. Hierfür wird die Talstation umgebaut und erhält das typische Magazin, in dem die Klemmen samt der Stangen bei Nichtbenutzung gesammelt werden.
Vermutlich bis 1969 ist der Schlepplift Chabataron in Betrieb, bevor ihn eine Sesselbahn auf neuer Trasse ersetzt. Ironischerweise ist von der inzwischen ebenfalls stillgelegten Sesselbahn heute nur noch die Trasse im Wald ersichtlich, der Schlepplift aus den 30er Jahren ist dagegen noch nahezu vollständig erhalten. Stationen, Stützen und Seil sind noch vorhanden, sogar die Klemmen hängen noch in der Talstation. Der Verlauf oberhalb der Talstation ist allerdings nur noch zu erahnen. Seit der Stilllegung vor einem halben Jahrhundert hat sich die Natur ihren Weg zurück erobert. Wirklich sichtbar werden die Überreste nur, wenn man die steile Trasse zu Fuß begeht.
Der Schlepplift Chabataron – ein Kulturgut von internationaler Bedeutung
Wer durch den Regionalpark Queyras fährt, der nimmt von dem Schlepplift vielleicht gar keine Notiz. Manch anderer wird sich gar wundern, warum die rostige Ruine immer noch in der Landschaft steht. Doch der Schlepplift Chabataron ist nicht einfach ein Überbleibsel eines längst vergessenen Skigebiets. Die nahezu vollständig erhaltene Konstruktion ist ein einzigartiges Relikt, das die Anfänge des Skisports, wie wir ihn heute kennen, dokumentiert. Nirgendwo sonst auf der Welt ist ein solcher Schlepplift noch in diesem Umfang erhalten. Einzig in dem Pyrenäenörtchen La Cabanasse bei Font-Romeu findet sich ein weiteres Überbleibsel aus den 40er Jahren. Dort sind allerdings lediglich die Talstation und zwei Stützen erhalten geblieben. Der Rest wurde rückgebaut. Zudem handelt es sich dabei um einen bereits von Poma selbst konstruierten Lift mit Kuppelklemmen und nicht um die Ursprungsform in Zusammenarbeit mit Dandelot.
Der Schlepplift Chabataron ist ein stummer Zeitzeuge, an dem sich der Ursprung des bis heute mit Abstand meistgebauten Seilbahntyps nachvollziehen lässt. Ohne die Ideen Jean Pomagalskis, seiner Mitstreiter und der Entwickler der anderen populären Schleppliftsysteme würde es alpines Skifahren nach unserem heutigen Verständnis nicht geben. Die Schleppliftruine in Aiguilles ist daher ohne jeden Zweifel als Kulturgut von internationaler Bedeutung zu verstehen. Der Erhalt und ein Schutz vor weiterem Verfall sind daher unbedingt zu forcieren.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.