Zwölferhornbahn in St. Gilgen – Österreichs Nostalgie-Seilbahn

Seit mehr als sechs Jahrzehnten prägt die Zwölferhornbahn das Erscheinungsbild der Stadt St. Gilgen. Hoch über dem Wolfgangsee geniessen die Fahrgäste einen grandiosen Ausblick, der nur von der Bergstation aus noch einmal übertroffen wird. Als beliebtes Ski- und Wandergebiet ist das Zwölferhorn ein bedeutender Tourismusmotor einer ganzen Region. Und aus seilbahnhistorischer Sicht ist die Zwölferhornbahn eines der heute vielleicht bedeutendsten Technikdenkmäler überhaupt.

Zur Geschichte der Zweiseilumlaufbahn

Ihre Geschichte beginnt im weitesten Sinne bereits ein halbes Jahrhundert vor ihrer Eröffnung. Ende des 19. Jahrhunderts beginnen die deutschen Firmen Pohlig und Bleichert mit der Entwicklung von Materialseilbahnen zum Rohstoffabbau im Gebirge. Die oft in unwegsamem Gelände gelegenen Abbaustätten sollen per Seilbahn mit dem Talboden verbunden werden und die Abbauprodukte bis zu 100 Kilometer weit transportieren. Seilbahnen nach heutigem Verständnis gibt es zu jener Zeit fast ausschliesslich in Form der schienengebundenen Standseilbahn.

Die deutschen Luftseilbahnen sind da eine Revolution. Um die Förderleistung möglichst hoch zu halten, setzt das System erstmalig auf ein kontinuierlich umlaufendes Seil, an dem in regelmässigen Abständen Transportbehälter befestigt werden. Allerdings nicht permanent, denn in den Stationen wird die Befestigung automatisch über einen Hebel gelöst – ein Prinzip, das heute aus dem Seilbahnbau nicht mehr wegzudenken ist.

Drahtseile und ihre Eigenschaften sind zu diesem Zeitpunkt noch wenig erforscht. Insbesondere die Bruchlasten werden sehr konservativ geschätzt. Dementsprechend gering werden die Abspannungen bemessen. Zahlreiche Zwischenstützen sind somit notwendig, da die Seile auf den Spannfeldern sonst zu stark durchhängen würden. Zudem erfolgt der Einsatz eines zusätzlichen Drahtseils, das einzig eine Tragefunktion übernimmt – es ist die Geburtsstunde der Zweiseilumlaufbahn.

Das System Wallmannsberger

Viele Jahrzehnte später werden Seilbahnen auch immer häufiger zur touristischen Erschliessung und damit für den Personentransport eingesetzt. Wiederum ist es die Firma Bleichert, die mit ihren Grosskabinenpendelbahnen Erfolge verzeichnen kann. Doch mit nur zwei Kabinen können die Anlagen häufig nicht die gewünschte Förderleistung aufbringen. Bereits in der Zwischenkriegszeit entstehen Ideen, die dieses Problem zu lösen versuchen.

Einer der ersten, der sich mit der Entwicklung eines kapazitätsstärkeren Systems beschäftigt, ist der Salzburger Ingenieur Georg Wallmannsberger. Er erkennt das Potenzial der frühen deutschen Materialseilbahnen und konstruiert in Anlehnung an die automatische Klemme der Firma Pohlig ein Laufwerk für Zweiseilumlaufbahnen mit Personentransport. Über den Aufbau und die Berechnungen verfasst er seine Dissertation. Die Idee sieht für eine vierplätzige Kabine einen Klemmapparat mit zwei separaten Schraubklemmen vor, die über einen Hebel bei der Stationseinfahrt geöffnet und bei der Ausfahrt wieder geschlossen werden. In der Station selbst ist die Klemme geöffnet. Da die Hebel zum Schliessen bei der Ausfahrt über den Totpunkt geworfen werden, erhält die Konstruktion später den Namen Wurfhebelklemme.

Wurfhebelklemmen an der Zwölferhornbahn

Für seine Idee findet Wallmannsberger zunächst jedoch keine Abnehmer. Erst nach dem zweiten Weltkrieg steigt der Bedarf an kapazitätsstarken Seilbahnanlagen. Der Ingenieur entwickelt eine modifizierte Variante seines Laufwerks mit Federklemme und findet ab 1949 mit der Schweizer Firma Bell und dem österreichischen Konzern Wiener Brückenbau zwei Lizenznehmer für seine Neuentwicklung. Die erste Anlage der Schweiz nach dem System Wallmannsberger kann 1950 in Crans im Wallis den Betrieb aufnehmen, noch im selben Jahr folgt in Österreich die Stubnerkogelbahn in Bad Gastein. In den nächsten Jahren entstehen zahlreiche weitere solche Anlagen im Alpenraum, später auch in Übersee.

Doch auch der erste Konstruktionsentwurf aus den 30er Jahren gerät nicht ganz in Vergessenheit. Die niederösterreichische Maschinenfabrik Girak erwirbt die Lizenzrechte zum Bau der Wurfhebelklemme und setzt sie 1952 erstmalig in Hallein bei der Salzbergbahn ein. In den darauffolgenden Jahren entstehen weitere Anlagen an der Muttereralm und am Kitzbüheler Horn. 1957 kommt das Wurfhebelklemmensystem dann schliesslich auch in St. Gilgen am Wolfgangsee zum Einsatz. Vom Dorfzentrum aus erstellt Girak eine fast drei Kilometer lange Kabinenbahn bis auf das Zwölferhorn. 900 Höhenmeter überwinden die Kabinen in gut 16 Minuten bei einer Fahrgeschwindigkeit von 2,8 Metern in der Sekunde.

Eine Zweiseilumlaufbahn aus dem Bilderbuch

Das Zweiseilsystem kann seine Stärken auf der Strecke voll und ganz ausspielen. Nur fünf Zwischenstützen benötigt die Bahn, das längste Spannfeld misst über 800 Meter. Und so schweben die roten und gelben Kabinen von der Firma Swoboda seit mehr als sechs Jahrzehnten über St. Gilgen hinweg, stets begleitet vom Surren der Rollen auf dem Tragseil. Alle 60 Sekunden nimmt eine Kabine den Weg zum Zwölferhorn in Angriff, 240 Personen können so je Stunde und Richtung befördert werden.

In den Jahren nach dem Bau entstehen auf der oberen Streckenhälfte für Skifahrer mehrere Ergänzungsanlagen, darunter eine Einersesselbahn und zwei Schlepplifte. Doch auch eine Talabfahrt ist trotz der geringen Talstationshöhe in 570 Metern im Winter häufig möglich. Diese gibt es auch heute noch, die zusätzlichen Seilbahnanlagen rund um das Zwölferhorn sind aber schon seit vielen Jahren wieder verschwunden. Geblieben ist einzig die Hauptattraktion. Es ist das nostalgische Ambiente, das eine Fahrt mit der Zwölferhornbahn so erlebnisreich macht. Die Anlage verkehrt noch immer im Originalzustand, besitzt keine automatischen Fördereinrichtungen in den Stationen und die laute Mechanik fasziniert auch heute noch. Nachdem alle anderen Girak-Zweiseilumlaufbahnen mittlerweile den Betrieb eingestellt haben, ist die Zwölferhornbahn die letzte in Europa, die noch die charakteristischen Wurfhebelklemmen besitzt. Lediglich die 1971 von der Firma Rudolf Kienast erbaute Kabinenbahn Cerro Otto im argentinischen Bariloche besitzt ebenfalls noch Wurfhebelklemmen.

Das Ende der Nostalgie am Zwölferhorn?

Das Jahr 2019 wird jedoch wahrscheinlich als das letzte in die Geschichte der nostalgischen Bahn eingehen. Eine notwendige Sanierung der Bahn wäre teurer als ein Neubau, sodass der Betreiber sich für einen Ersatz der Anlage stark macht. Wer das vielleicht nostalgischste Seilbahnexemplar Österreichs noch live erleben will, sollte daher unbedingt noch in diesem Sommer zu einer Reise an den Wolfgangsee aufbrechen!

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