Um 7 Uhr morgens schläft Val d‘Isère üblicherweise noch. Die VTT, die unbarmherzigen Downhillfahrer, liegen noch in ihren Betten irgendwo in einem der unzähligen Hochhausappartements. Motorradfahrer rüsten sich für die nächste Pässetour. Wanderer planen die Route für den heutigen Tag. Fährt man um diese Uhrzeit von dem Alpendorf in Richtung der Siedlung Le Fornet, kommt einem nur selten ein Wagen entgegen. Über der vergletscherten Grande Motte steht der Vollmond. Noch liegen die Täler im Schatten, während auf den Bergspitzen die ersten Sonnenstrahlen den neuen Tag ankündigen.
Col de l’Iseran – der höchste befahrbare Alpenpass
Quer durch das Skigebiet Espace Killy führt der Weg von Val d‘Isère auf den höchsten befahrbaren Pass der Alpen. Der Col de l‘Iseran erlaubt es, in 2770 Metern Höhe von Val d‘Isère nach Bonneville-sur-Arc zu gelangen. Still stehen die zahlreichen Sesselbahnen und wachen über das Morgengrauen im Hochgebirge. Als ich die Passhöhe erreiche, leuchtet das aus Stein geformte Schild mit den Kilometerangaben und der Höhenmarke in der Morgensonne. Einige Camper haben die Nacht hier oben verbracht. Auch sie wohnen dem Naturschauspiel bei, wie die Schatten langsam kürzer werden und die umliegenden Gletscher in ein warmes Licht getaucht werden. Eine kleine Kapelle spiegelt sich in dem davorliegenden Sumpf.
Wie ich auf dem weiteren Weg in Richtung Bonneville-sur-Arc feststelle, ist die Spezies Mensch nicht die einzige, die sich an diesem Morgen erfreut. Unzählige Murmeltiere begrüßen den neuen Tag am Morgenrand. Hier ist die Welt noch in Ordnung.
Wohlfühlatmosphäre am Lac du Mont Cenis
Etwas mehr Leben kehrt ein, als ich kurz darauf in Lanslebourg den Weg zum Col du Mont Cenis einschlage. Hinter dem Passübergang, aber noch vor der Grenze zu Italien, liegt der gleichnamige Stausee, der dem Tal eine gewisse Wohlfühlatmosphäre verleiht. Auch hier finden sich dementsprechend zahlreiche Camper. Weit beeindruckender ist aber der Blick, der sich von der Westseite des Passes auf die vergletscherten Berge des Nationalparks Vanoise bietet. Der 1963 gegründete Nationalpark ist frei und ohne Eintrittsgelder zugänglich.
Wie so oft in Frankreich ist es möglich, über eine Gebirgsstraße in das Innere des Nationalparks vorzudringen. Zwölf Kilometer sind es von der Ortschaft Termignon, bis der Parkplatz Bellecombe inmitten eines weiten Hochtals erreicht ist. Schon auf dem Weg dorthin stechen die umliegenden Dreitausender mit ihren Gletschern ins Auge. Noch wesentlich dramatischer erscheinen sie aber auf einer der zahlreichen Wanderungen durch den Nationalpark.
Wandern im Nationalpark Vanoise
Wie üblich gelten in dem gesamten Nationalpark verschiedene Verhaltensregeln zum Schutz von Flora und Fauna. Manche Dinge sollten in der Bergwelt eigentlich selbstverständlich sein, werden aber am Parkplatz auf umfangreichen Informationstafeln noch einmal explizit erwähnt. Laute Geräusche sind ebenso ein Tabu wie das Zurücklassen von Abfällen. Auch das Campieren ist verboten. Biwakieren ist dagegen für eine Nacht erlaubt, sofern man sich mindestens eine Stunde Fußmarsch vom Rand des Parks befindet. Alternativ bieten die zahlreichen im ganzen Park verstreuten Berghütten eine Unterkunft. Die erste solche Hütte befindet sich in Sichtweite des Parkplatzes und kann innert weniger Minuten zu Fuß erreicht werden. Es lohnt sich aber, auch einen etwas weiteren Weg einzuschlagen.
Eine empfehlenswerte Wanderung zum leichten Einstieg und mit sehenswertem Panorama führt in Richtung des Refuge du Lac Blanc. Die kleine Hütte ist vom Parkplatz Bellecombe je nach Marschtempo in rund 30-40 Minuten über einen geschotterten Fahrweg erreichbar. Zunächst führt der Weg über einige Serpentinen steil nach oben, wird mit der Zeit aber immer flacher. Nach etwa der Hälfte der Wegstrecke geht es kontinuierlich bergab zu der Schutzhütte. Bereits von hier ist der Blick auf die Berge und Glescherwelt des Nationalpark Vanoise überwältigend.
Gletscherblick am Refuge du Lac Blanc
Nicht entgehen lassen sollte man sich aber die kurze Verlängerung der Wanderung bis zum eigentlichen Lac Blanc. Dieser befindet sich etwas unterhalb der Hütte auf einer kleinen Ebene mit prachtvollem Blick auf die Dent Parrachée und den Dôme de l’Arpont. Wer Glück hat und einen windstillen Tag erwischt, der kann das Spiegelbild der Berge im See beobachten. Besonders reizvoll ist der Ausblick zum Sonnenaufgang. Ganz Mutige trauen sich noch einen Schritt weiter an den Rand des Abhangs, der hinter dem Lac Blanc liegt. Mehrere hunderte Meter geht es hier nahezu senkrecht in die Arpont-Schlucht hinab. Auf der gegenüberliegenden Seite lassen sich unzählige Wasserfälle erspähen, die in der Schlucht ein permanentes Grollen verursachen.
In den Sommermonaten sind die Berghütten bewirtet und bieten landes- und regionstypische Speisen und Getränke an. Wer vor dem halbstündigen Rückweg zum Parkplatz einer Stärkung nicht abgeneigt ist, der findet im Refuge du Lac Blanc allerlei leckere Gerichte von Omelette bis hin zu hausgemachtem Heidelbeerkuchen. Wer lieber gleich zur nächsten Wanderung aufbricht, der hat vom Parkplatz Bellecombe oder an verschiedenen Einstiegspunkten entlang der Zufahrtsstraße die Qual der Wahl …
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.