Schon um 6.05 Uhr reißt mich mein Handy aus dem Schlaf, den ich nach den ganzen unruhigen, kalten Nächten eigentlich noch gut gebrauchen könnte. Immerhin habe ich in dieser Nacht durchgeschlafen. Dank der Lage direkt am See und dem Schutz durch die umliegenden Bäume herrschen im Camper noch erträgliche Temperaturen.
Gegen den Strom nach Manapouri
Weil ich noch eine rund vierzigminütige Fahrt vor mir habe, darf ich aber keine Zeit verlieren. Daher mache ich mich heimlich, still und leise vor allen anderen Campinggästen wieder auf und davon. Entlang der Hauptstraße nach Te Anau kommen mir bereits zu dieser frühen Stunde eine Unmenge an Autos entgegen, die alle in Richtung Milford Sound unterwegs sind. Doch dort herrscht heute bei weitem nicht mehr das einmalige Wetter von gestern. Mein Weg führt mich bei leicht bewölktem Himmel an Te Anau vorbei nach Manapouri, einem kleinen Ort rund 20 Kilometer weiter südlich, am gleichnamigen See gelegen. Manapouri ist der Ausgangspunkt zu meiner heutigen Schiffsreise. Dem Doubtful Sound, einem Fjord ähnlich dem Milford Sound, aber wesentlich größer, abgelegener und unbekannter.
Das Wetter in Manapouri präsentiert sich wie angekündigt mit einem relativ klaren Himmel, lediglich in Richtung Doubtful Sound sind die Wolken zahlreicher. Das habe ich aber auch so erwartet. Mit 9.000 mm durchschnittlicher jährlicher Niederschlagssumme ist die Wahrscheinlichkeit eines sonnigen Tages noch einmal etwas geringer als am Milford Sound. Pünktlich um 7.30 Uhr nehme ich meine Bordkarte in Empfang und besteige eine Viertelstunde später den kleinen Katamaran, der die recht wenigen anderen Besucher und meine Wenigkeit innerhalb von 50 Minuten über den Lake Manapouri fahren wird.
Mit dem Boot über den Lake Manapouri
Der Lake Manapouri ist ein Süßwassersee und hat mit dem Doubtful Sound recht wenig gemeinsam. Lediglich die Entstehungsgeschichte durch den Rückzug eiszeitlicher Gletscher teilen die beiden Gewässer. Um den abgelegenen Doubtful Sound zu erreichen, führt der schnellste Weg allerdings über ebendiesen See, an dessen anderen Ende sich seit den 60er Jahren ein Wasserkraftwerk befindet.
Das Kraftwerk, das 176 Meter unter der Seeoberfläche liegt, wurde zwischen 1963 und 1971 zur Deckung des Strombedarfs eines Aluminium-Schmelzwerks in Bluff gebaut. Aus diesem Grund gibt es auch eine Verbindung per Straße, die aber deutlich länger und zeitintensiver als die Bootsreise ist. Das Kraftwerk wird normalerweise im Rahmen der Reise zum Doubtful Sound besucht, derzeit ist es aber wegen Wartungsarbeiten außer Betrieb, sodass auch die Besichtigung entfällt und die Tour ein wenig kürzer ausfällt.
Die Zivilisation entfernt sich weiter und weiter
Schon auf dem See verschwindet wieder einmal das Handysignal. Das erste Anzeichen, dass wir uns von der Zivilisation weiter und weiter entfernen. Am westlichen Ende des Lake Manapouri angekommen endet unsere Bootsfahrt am Besucherzentrum des Kraftwerks. Weiter zum Doubtful Sound geht es mit einem Reisebus.
Um auch eine Verbindung an die Westküste für motorisierte Fahrzeuge und den Transport schwerer Geräte für den Bau des Kraftwerks zu realisieren, wurde in den 60er Jahren mit dem Bau einer Straße begonnen, die seither vom heutigen Kraftwerk in den Doubtful Sound führt. Dabei führt sie durch förmlich undurchdringlichen Regenwald, es reiht sich Kurve an Kurve, die Schotterpiste ist schmal und entlang hoher Abhänge trassiert, und zu guter Letzt wird auch noch der knapp 700 Meter hohe Wilmot-Pass überwunden, bevor der Doubtful Sound in Sichtweite kommt. Was klingt wie eine Szene aus einem James-Bond-Film darf ich hier hautnah miterleben. Die Fahrt mit dem Bus ist wohl die abenteuerlichste ihrer Art, die ich je erlebt habe. Trotz des desolaten Zustands der Fahrbahn überwindet der Bus die 22 Kilometer in flottem Tempo. Aber Chris, unser Fahrer und Reiseleiter, kennt hier jedes der gefühlten 25.000 Schlaglöcher mit Namen.
Mit dem Reisebus quer durch den Regenwald
Da das Wetter leider immer schlechter wird, je weiter wir nach Westen vordringen, entfällt auch der sonst übliche Aufenthalt auf der Passhöhe, von der man einen schönen Blick auf den Doubtful Sound hat. Wenn nicht gerade wie heute und an den meisten anderen Tagen im Jahr Wolken und Nebel die Sicht versperren. Am Ufer des Doubtful Sound angelangt staune ich nicht schlecht, dass sich hier, fernab jeglicher Zivilisation, ein Hostel und ein Internat für Schüler befinden!
Chris lässt uns wissen, dass das Internat seit 1971 inzwischen mehrere Generationen an Kindern beherbergt hat, darunter auch ihn. Er war im erwähnten Jahr einer der ersten, die hier zur Schule gegangen sind und Unterricht bei Bob hatten. Einem der zwei Einwohner dieser Region. Gemeinsam mit seiner Frau betreibt Bob heute hier das Hostel, das hauptsächlich von Wanderern besucht wird. Bei unserer Ankunft winkt er unserem Bus von der Veranda des Hostels aus zu. Was auch immer einen Menschen antreibt, hier im Dschungel bei endlosem Regen und völliger Einsamkeit sein ganzes Leben zu verbringen, will mir nicht so ganz in den Kopf gehen. Aber bewundernswert ist es allemal.
Start der Schiffstour in der Deep Cove
Am Hafen des Doubtful Sound, in der Deep Cove gelegen, wartet bereits das Schiff, mit dem wir während der nächsten drei Stunden den Fjord erkunden werden. Zwei Stunden sind wir inzwischen unterwegs, um überhaupt zum Ausgangspunkt des Fjords zu gelangen. Zwei Stunden also, die uns von der Zivilisation trennen. Ein unheimliches Gefühl.
Insbesondere der wolkenverhangene Himmel, aus dem da und dort ein kleiner Schauer auf die Erde trifft, lässt die Kulisse aus dem dunklen Wasser, den Regenwäldern und bis zu 1.500 Meter hohen Berge ringsherum noch bedrohlicher erscheinen. Gleichwohl erscheint die Szenerie nicht ganz so spektakulär wie gestern am Milford Sound, was aber durchaus auch auf das völlig andere Wetter zurückzuführen sein kann. Die zahlreichen Wasserfälle und ein wunderschöner Regenbogen am Ausgang des Fjords sind aber durchaus sehenswert.
Delfine, Pelzrobben und Albatrosse
Auch die Tierwelt enttäuscht am heutigen Tage nicht. Unterwegs entdecken wir am Rand des Fjords eine Gruppe Delfine, die allerdings leider nicht so neugierig sind, dass sie sich uns nähern, sodass mir mangels Teleobjektiv nur der Eindruck aus der Ferne in Erinnerung bleibt.
Bei heftigem Wellengang erreichen wir schließlich die Tasmansee, wo uns eine Pelzrobbenkolonie von einem Felsen aus beobachtet und in der Ferne zwei Albatrosse umherfliegen. Aufgrund der rauen See entscheidet sich unser Kapitän jedoch zu einer schnellen Rückkehr in den Fjord, sodass für die Tierbeobachtung leider nicht allzu viel Zeit bleibt. Bei dem stark schaukelnden Schiff hat der Aufenthalt hier aber ohnehin keinen allzu großen Sinn. Dennoch, nach einer Verfolgungsjagd über den Lake Manapouri, den Wilmot Pass und durch den Fjord wäre das hier wirklich der geeignete Ort für die finale Schlacht zwischen James Bond und Blofeld!
Stille im Doubtful Sound
Auf der Rückfahrt in die Deep Cove, dem östlichen Ende des Doubtful Sound, legen wir in einem Seitenarm, dem Crooked Arm, noch eine Pause ein. Eine Pause im wahrsten Sinne des Wortes, denn das Schiff stellt den Motor ab und es herrscht Bewegungs- und Fotografierverbot, damit jeder ganz für sich alleine die unglaubliche Stille der Natur genießen kann. In dem engen Fjord ist jetzt tatsächlich nichts mehr zu hören. Kein Motor vom Schiff, kein plätscherndes Wasser, kein Wind, nichts. Es herrscht eine gespenstige Stille. Nicht einmal die Möwe, die uns seit einiger Zeit auf dem Dach des oberen Schiffsdecks begleitet, wagt es, einen Laut von sich zu geben.
Keineswegs spektakulär, aber doch ein kaum in Worte fassbares Naturerlebnis, an das ich mich wohl noch lange Zeit zurückerinnern werde. Nicht umsonst wird der Doubtful Sound auch in der Maori-Sprache „Patea“ genannt. Was nichts anderes bedeutet als „Stille“. Seinen englischen Namen erhielt der Fjord dagegen, man möchte schon fast sagen „natürlich“, durch James Cook, der sich aus Angst vor den beständigen Westwinden dagegen entschied, in den engen Fjord hinein zu segeln und ihn daher „Doubtful Harbour“ taufte.
Ein Naturerlebnis der Extraklasse
Nach rund fünf Minuten startet der Kapitän den Motor wieder und wir setzen unsere Fahrt ohne weitere Zwischenhalte bis zur Deep Cove fort, wo bereits die zweite Gruppe auf ihre Tour wartet. Im Gegensatz zu den wenigen Personen, die gleich um acht Uhr gestartet sind, haben sich für die zweite Runde zwei volle Reisebusse eingefunden, die das Schiff nun belagern. Kein Wunder, denn für diese Fahrt, die um 10.30 Uhr in Manapouri beginnt, kommen auch Busse aus dem überlaufenen Queenstown angefahren. Wer früher aufsteht und direkt in Manapouri startet, hat daher in Sachen Naturerlebnis einen deutlichen Vorteil.
Auf der Rückfahrt über den abenteuerlichen Wilmot-Pass legen wir einen kurzen Halt am Abflusstunnel des Kraftwerks ein. Aus diesem wird hier das für die Stromerzeugung genutzte Wasser in den Doubtful Sound geleitet. Auf der Passhöhe ist das Glück im Gegensatz zur Hinfahrt auf unserer Seite, sodass wir noch einen letzten Blick auf den Doubtful Sound aus 700 Metern Höhe genießen können, ehe es wieder über den Lake Manapouri zurück in den gleichnamigen Ort geht.
Eindrücke verarbeiten in Manapouri
Gegen 15 Uhr treffen wir am Ausgangspunkt unserer Fahrt wieder ein, von wo aus ich mich direkt zu einem nahe gelegenen Campingplatz begebe. Eigentlich würde ich gerne noch eine Kleinigkeit einkaufen und Benzin fassen, aber hier in Manapouri gibt es nur einen Tante-Emma-Laden und eine kleine Tankstelle mit einer Zapfsäule für völlig überteuertes Benzin, sodass ich es mir dann doch anders überlege. Offenbar muss man tatsächlich zwingend die 20 Kilometer nach Te Anau fahren, um sich mit derartigen Notwendigkeiten einzudecken.
Am Campingplatz eingetroffen werde ich von einem älteren Herrn empfangen, der den Platz wohl schon seit über 50 Jahren leitet. Zumindest steht es so im Internet. Der Stellplatz kostet normalerweise für zwei Personen 32 NZD, der Chef bietet mir dann aber gleich an, da ich ja alleine unterwegs bin, den Platz auch für die Hälfte des Geldes für eine Nacht zu bekommen. Das freut mich sehr, denn nach den Erlebnissen von Queenstown bin ich nicht mehr bereit, derart viel Geld für die Übernachtungen auszugeben. Wenn diese DOC-Campingplätze doch nur eine Dusche hätten, dann könnte ich immer für 6 NZD übernachten. So brauche ich dann aber eben schon jede zweite oder in diesem Fall dritte Nacht einen der teureren Holiday Parks. Aber gut, dafür ist der Stellplatz sehr schön im Wald gelegen und meinen Müll kann ich auf diese Weise auch mal wieder loswerden.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.