Eigentlich hätte ich es mir am Vorabend schon denken können, als ich den nahezu sternenklaren Himmel betrachtet habe. Aber dass es so schlimm kommen würde, hätte ich nicht erwartet. Die Rede ist von der unglaublichen Kälte, die in meinem Camper in dieser Nacht herrscht. Auch wenn ich schon einige Male gefroren habe, diese Nacht bricht alle Rekorde. In dem schmalen, relativ hoch gelegenen Tal sammelt sich die kalte Luft wie bei solchen Landschaften üblich in Bodennähe und bildet dort einen Kältepol. Trotz Thermounterwäsche, Pyjama und Bettdecke ist es bitterkalt, sodass ich mir zusätzlich noch meine Fleecejacke über den Kopf lege, damit mir halbwegs warm ist.
Eisige Temperaturen am frühen Morgen
Am Morgen werfe ich als allererstes den Motor an, um etwas warme Luft in den Camper zu blasen, damit ich beim Anziehen der natürlich ebenso eiskalten Kleider nicht noch vollständig erstarre. Nach dem Frühstück heißt es erst einmal Scheiben kratzen. Allesamt sind sie von einer leichten Eisschicht überzogen. Nur mit was? Dass dieser Camper nicht einmal mit einem Warndreieck oder einem Verbandskasten bestückt ist, habe ich ja schon herausgefunden. Dass dann erst recht nichts zum Kratzen vorhanden ist, ist somit auch nicht weiter erstaunlich. Letztlich löst sich das Problem durch die warme Luft aus dem Gebläse, die die Scheiben von innen wärmt.
Einen Vorteil hat die ganze Schufterei aber. Nach der klaren Nacht sieht es in Richtung Milford Sound nach Sonne aus, während weiter südlich in Te Anau jede Menge Wolken auszumachen sind. War also doch die richtige Entscheidung, mich auf mein Bauchgefühl zu verlassen und nicht der dubiosen Wetterprognose des neuseeländischen Wetterdienstes zu folgen. Nach dieser wäre ich nämlich gestern bei stark bewölktem Himmel am Milford Sound gewesen.
Vor den Touristenmassen zum Milford Sound
Gegen 7.30 Uhr fahre ich schließlich los, um möglichst früh am Milford Sound einzutreffen und dort eine Zeitrafferaufnahme des Sonnenaufgangs zu machen. Davon erhoffe ich mir einiges. An den steilen Hängen rund um den Fjord dürften die Schatten gepaart mit der aufgehenden Sonne eine schöne Bewegung vollziehen. Zum anderen hat das frühe Aufbrechen aber auch den Vorteil, dass ich möglichst vor den meisten anderen Besuchern eintreffe und mir so noch einen guten Parkplatz sichern kann.
Ganz im Gegensatz zu dem Straßenabschnitt, den ich gestern bis zum Cascade Creek gefahren bin, charakterisiert sich die restliche Route zum Milford Sound durch zahlreiche Kurven und deutlich spürbare Höhendifferenzen. Nach dem Passieren des Lake Gunn und der Wasserscheide der Südinsel erreiche ich den höchsten Punkt der Straße. Dort findet sich ein mehrere Kilometer langer Tunnel. Der erste dieser Art, der mir auf einer neuseeländischen Landstraße begegnet. Entgegen meiner Erwartung ist er aber wie die meisten Brücken nur einspurig befahrbar und mit einer Ampelanlage ausgestattet. Lediglich nachts, wenn wenig Verkehr herrscht, wird der Tunnel auch gleichzeitig in beide Richtungen benutzt.
Schon die Anfahrt über die Straße ist Teil des Mythos Milford Sound
Im Anschluss an den Tunnel beginnt der landschaftlich wohl beeindruckendste Teil der Straße zum Milford Sound. Steil bergab schlängelt sich das Asphaltband, während rundherum immer steilere und immer höhere Berge auftauchen. Das Unglaubliche an der Szenerie ist aber, dass die Bergflanken bis weit hinauf mit Regenwald bewachsen sind, während sich nur wenig oberhalb bereits Gletschereis anschließt. Eine Kombination, die man auf der Welt nur hier und in Patagonien antrifft. Kein Wunder, dass der Milford Sound zu den bekanntesten und meistbesuchten Orten in Neuseeland gehört. Die Menschenmassen machen mir aber schon an diesem frühen Morgen zu schaffen. Noch gerade eben so erwische ich um 8.20 Uhr einen der letzten Parkplätze. Alles, was nach mir kommt, muss auf die weit außerhalb gelegenen Park-and-Ride-Areale ausweichen.
Da die Sonne gerade erst die oberen Spitzen der umliegenden Berge berührt, habe ich noch etwas Zeit. Daher entschließe ich mich zu einem Erkundungsspaziergang am Ufer des Fjords entlang. Immer mit Blick auf die auch im Schatten schon atemberaubende Kulisse. Weit komme ich allerdings nicht. Der Weg ist rundherum abgesperrt, da irgendein Filmprojekt hier heute einen Drehtag hat. Ach, hätten die doch besser mal auf die MetService-Prognose gehört, dann wären sie heute nicht hier!
Im Ernst. Wie kann der nationale Wetterdienst so vollkommen daneben liegen? Statt Wind und Schauern herrscht am Milford Sound strahlender Sonnenschein. Wieder einmal habe ich ein unglaubliches Glück, denn wie schon an den Gletschern der Westküste zählt auch der Milford Sound zu den regenreichsten Orten auf der ganzen Welt. Tage wie diese kann man hier im Jahr wohl nahezu an einer Hand abzählen!
Wanderung zum Milford Sound Lookout
Nachdem ich am Ufer die verbliebenen Fotomöglichkeiten ausgelotet habe, wähle ich noch einen anderen Weg, der mich zum Milford Sound Lookout führt. Bei diesem Namen nicht ganz überraschend bietet sich von der etwas höher gelegenen Aussichtsplattform eine schöne Aussicht auf den Fjord. Eine gute Gelegenheit, meine Kamera für die Zeitrafferaufnahme startklar zu machen, die am Ende eine gute halbe Stunde in Anspruch nimmt. Damit bleibt mir genug Zeit, um nochmals zum Auto zurückzukehren, das Stativ zu verstauen und zur zentralen Schiffsanlegestelle zu laufen, die sich rund 300 Meter vom Parkplatz entfernt befindet. Hier legen die Schiffe aller fünf Anbieter ab.
Meine Bordkarte halte ich kurze Zeit später in den Händen und kann einen ersten Blick auf das Schiff werfen, auf dem ich die nächsten rund zweieinhalb Stunden verbringen werde. Es ist mit Abstand das schönste unter den Booten, die in dem kleinen Hafen vor Anker liegen, besitzt es doch ein nostalgisches Aussehen und eine vollständige Segelausstattung. Das Schiff wird auch für Nachtfahrten verwendet und besitzt daher einige Kabinen und ein Restaurant. Für heute viel interessanter ist aber natürlich das Aussichtsdeck, das sich direkt vor der Brücke befindet und eine grandiose Rundumsicht garantiert.
Schiffstour über den Milford Sound
Mit einigen Minuten Verspätung kündigt Deon, der Kapitän, durch dreimaliges Betätigen des Schiffshorns den Start unserer Reise an. Nach einem Wendemanöver schippern wir auch schon gleich gemächlich an den steilen Bergflanken vorbei zu den ersten Wasserfällen, die nach dem vielen Regen der letzten Tage recht viel Wasser führen. Sie sind der Grund, warum der Milford Sound auch bei dem meist anzutreffenden Regenwetter eine Reise wert ist. Bei starken Regenfällen bilden sich hunderte Wasserfälle, die spektakulär in den Fjord hinunterfallen. Kein Wunder, bei durchschnittlich über 6.000 mm Regen pro Jahr! Irgendwie kann man es sich an diesem Tag aber gar nicht vorstellen, dass das Klima hier so rau ist. Keine Wolke ist am Himmel zu sehen, dazu ist es nahezu windstill.
Die steilen Bergflanken ermöglichen es, dass die Schiffe recht nah an die Wasserfälle heranfahren können, sodass man auf dem Aussichtsdeck schon mal etwas nass werden kann. Kein Problem bei diesem Wetter, aber trotzdem eine unangenehm kalte Erfahrung an diesem Herbsttag. Eine ganze Stunde vergeht, bis wir schließlich das Ende des Fjords erreichen. Die Berge werden kontinuierlich niedriger, der Wellengang stärker, und langsam taucht vor uns die Tasmansee auf, das Meer zwischen Neuseeland und Australien. Was für ein gigantischer Anblick!
Schaukelndes Wendemanöver auf der Tasmansee
Das Wendemanöver unseres Schiffs sorgt bei dem hohen Wellengang für einige Konfusion unter den Passagieren. Schon bald ist die Schaukelei aber vergessen, als wir wieder in den Fjord einbiegen und wiederum entlang hoher Berge, Regenwälder und Wasserfälle zurückfahren. Unterwegs kommen wir wieder einmal an einer Pelzrobbenkolonie vorbei. Deren Tiere scheinen sich für die zahllosen Schiffe aber nicht wirklich zu interessieren und ruhen sich stattdessen auf den Felsvorsprüngen aus.
Nur wenige Minuten später legen wir in einer kleinen Bucht an. Dort gehen einige Passagiere von Bord, die sich hier ein Unterwassermuseum anschauen. Die Rückfahrt erfolgt bei ihnen mit der nachmittäglichen Rundfahrt des Schiffs. Von der Anlegestelle ist auch ein weit entfernter Gletscher auszumachen. Der letzte Überrest jenes Gletschers, der einst vor vielen zehntausend Jahren den Milford Sound formte und ihn zu einer Ikone der neuseeländischen Landschaft machte.
Milford Sound – eine gigantische, unvergleichbare Kulisse
Nach ziemlich genau zweieinhalb Stunden erreichen wir wieder die Hafenanlage von Milford Sound, von der aus ich noch einige Aufnahmen des nun vollständig in der Sonne gelegenen Fjords mache, ehe ich zum Parkplatz zurückkehre und dort eine Mittagsrast einlege. Auch wenn ich sonst eher skeptisch bei in den Himmel gelobten Touristendestinationen bin. Der Milford Sound verdient seinen Namen als herausragendes Naturerlebnis voll und ganz. Eine gigantische, unvergleichbare Kulisse, die man wohl mit eigenen Augen gesehen haben muss, um wirklich begreifen zu können, an welch schönem Flecken Erde man sich befindet.
Doch so schön es auch an diesem nach wie vor wolkenlosen Nachmittag ist, ich muss weiter, denn für den nächsten Tag steht mit dem Doubtful Sound bereits die nächste große Schiffsreise an, deren Ausgangspunkt von hier aber noch über 140 Kilometer entfernt liegt. Die ganze Strecke werde ich heute nicht mehr zurücklegen. Stattdessen werde ich wieder auf einem kleinen DOC-Campingplatz nahe Te Anau übernachten, um die letzten 40 Kilometer morgen früh noch zu fahren.
Einige Fotostopps lege ich auf meinem Weg bis zum Campingplatz am Henrys Creek noch ein. Unter anderem am Lake Fergus, in dem sich wunderbar die umliegende Bergwelt spiegelt. Der kleine Campingplatz, direkt am Ufer des Lake Te Anau gelegen, bietet mit seinen umliegenden Bäumen guten Schutz vor dem inzwischen auffrischenden Wind. So kann ich ganz im Gegensatz zu gestern problemlos mein Abendessen zubereiten. Am Abend gehe ich früh zu Bett. Morgen muss ich bereits um 6 Uhr wieder aufstehen, um pünktlich eineinhalb Stunden später in Manapouri das Schiff zum Doubtful Sound betreten zu können.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.