Das Jungfraujoch, höchstgelegener Bahnhof Europas. Seit 1912 erreichen die Züge der Jungfraubahn diesen Punkt in 3454 Metern über dem Meer. Von der Kleinen Scheidegg geht es auf weniger als zehn Kilometern Strecke über 1400 Höhenmeter bergauf, die meiste Zeit im Tunnel. Oben wartet eine einmalige Aussicht, die das Jungfraujoch zu einem der beliebtesten Touristenziele der Welt macht.
Mit der Zahnradbahn aufs Jungfraujoch
Über ein Jahrhundert lang ist der Ausgangspunkt der Jungfraubahn auf der Kleinen Scheidegg nur über eine Zahnradbahn erreichbar. Von Lauterbrunnen und Grindelwald klettern die Züge mit ihren Zahnrädern bis auf diesen Passübergang. 2020 nimmt mit dem Eiger-Express auch eine Anbindung durch die Luft den Betrieb auf. Zwischen Grindelwald und der Station Eigergletscher schweben seither die Kabinen einer Seilbahn an der weltbekannten Eigernordwand entlang und ermöglichen eine Weiterreise per Zahnradbahn bis auf das Jungfraujoch.
Der Eiger-Express entsteht im Rahmen eines der grössten Projekte eines Schweizer Bergbahnunternehmens der letzten Jahrzehnte. In Grindelwald Grund entsteht in diesem Zusammenhang ein neues Terminal, das eine direkte Anbindung vom öffentlichen Verkehrsnetz an die Bergbahnen ermöglicht und zusätzlich neben einem Parkhaus und zahlreichen Geschäften die Stationen von zwei bedeutenden Seilbahnanlagen beherbergt. Einerseits die bereits seit Ende der 70er Jahre bestehende und 2019 komplett neu errichtete Männlichenbahn in ein beliebtes Ski- und Wandergebiet, andererseits den neuen Eiger-Express. Weil die beiden Zubringer vom selben Ausgangspunkt in verschiedene Richtungen führen, wird das Gesamtprojekt auch als V-Bahn bezeichnet.
Jahrhundertprojekt Eiger-Express in Grindelwald
Die Technik des Eiger-Express ist dabei besonders eindrücklich. Es handelt sich um eine sogenannte 3S-Bahn, eine Kabinenbahn mit zwei Tragseilen je Fahrspur und einem umlaufenden Zugseil. Die Kabinen werden in den Stationen automatisch vom Zugseil gelöst und ermöglichen mit verringerter Geschwindigkeit einen bequemen Ein- und Ausstieg. Die Konstruktion mit ihren monströsen Ausmassen ist beeindruckend.
Die Ursprünge dieses 3S-Systems gehen auf eine Überlegung zurück, wie die Vorteile einer klassischen Kabinenumlaufbahn mit nur einem Seil mit jenen einer Grosskabinenpendelbahn vereint werden können. Umlaufbahnen mit zahlreichen kleinen Kabinen ermöglichen unabhängig von ihrer Länge eine hohe Förderleistung, sind aber nicht für jede Art von Relief geeignet. Pendelbahnen mit zwei grossen Kabinen besitzen zwar die Möglichkeit, dank zusätzlicher Tragseile und langen Spannfeldern zwischen den Stützen jede Art von Berg zu erklimmen, können aber nur eine stark begrenzte Zahl von Personen je Stunde befördern.
Die Verschmelzung beider Ansätze ist erstmalig Anfang der 90er Jahre in Saas-Fee zu beobachten. Mit dem Alpinexpress nimmt dort eine Anlage den Betrieb auf, die mit Tragseilen und Zugseil ausgestattet ist wie eine grosse Pendelbahn, aber eine grössere Zahl an Kabinen mit Umlaufbetrieb besitzt. Die Idee geht zurück auf den traditionsreichen Schweizer Seilbahnhersteller Von Roll, der das Projekt 3S allerdings nur bei den beiden Sektionen des Alpinexpress in Saas-Fee verwirklichen kann.
Eiger Express – die längste 3S-Seilbahn der Alpen
Erst nach der Jahrtausendwende nimmt sich der Hersteller Doppelmayr erneut dem 3S-System an und optimiert die Technik für einen erstmaligen Einsatz im französischen Val d’Isère. In den folgenden Jahren entstehen rund um den Globus immer häufiger solche Anlagen, teils als urbanes Nahverkehrsmittel, teils bis in 3800 Meter über dem Meer. Der Eiger-Express in Grindelwald ist ein weiterer spektakulärer Neuzugang in die Liste der 3S-Anlagen. Konstruiert von Doppelmayr-Garaventa besticht die Seilbahn vor allem durch ihre enorme Länge. Zwischen Grindelwald und der Station Eigergletscher überwinden die Kabinen eine schräge Länge von knapp 6,5 Kilometern, womit die Anlage zu den längsten Seilbahnen überhaupt zählt. Auch die Höhendifferenz zwischen Tal- und Bergstation spielt mit nicht weniger als 1385 Metern in der obersten Liga mit.
Doch nicht nur die technischen Daten sind imposant, auch die Trassierung der Anlage kann sich sehen lassen. Insgesamt sieben Zwischenstützen prägen den Verlauf der Seilbahn, deren Kabinen direkt an der weltbekannten Eigernordwand vorbeischweben. Aufgrund dieser Nähe ist das Projekt während der Planung und des Baus nicht unumstritten, da Kritiker befürchten, die Seilbahn würde das Landschaftsbild in diesem Bereich zu stark beeinflussen. Wie schwerwiegend dieser Eingriff ist, dazu gibt es auch nach der Eröffnung weiterhin unterschiedliche Meinungen. Fakt ist, dass das 3S-System durch seine langen Spannfelder und die entsprechend geringe Stützenzahl die Auffälligkeit der Seilbahn vor der fast 2000 Meter hohen Felswand im Vergleich zu anderen Systemen minimiert.
Vorbei an der Eigernordwand
Die Ausblicke aus den geräumigen Kabinen sind während der Fahrt sehr beeindruckend. Abgesehen vom Panorama auf die steile Eigernordwand eröffnet sich ein Blick auf die anderen hohen Berge rund um Grindelwald, namentlich das Schreckhorn und Wetterhorn, die Grosse Scheidegg und das Skigebiet auf der gegenüberliegenden Talseite am First. Zeit für den Genuss des Panoramas ist während der Fahrt genug, denn trotz einer maximalen Fahrgeschwindigkeit von 8 m/s dauert die Fahrt bis zum Eigergletscher eine Viertelstunde. Gegenüber der Zahnradbahn zur Kleinen Scheidegg ist das aber dennoch ein deutlicher Zeitgewinn und so verkürzt sich auch die Reisezeit bis zum Jungfraujoch erheblich. Wer nicht mit dem Eiger-Express fahren möchte, der kann aber auch nach wie vor auf die altehrwürdige Route auf Schienen setzen.
Grindelwald ist mit dem neuen Eiger-Express damit um eine weitere Attraktion reicher. Nicht nur als Zubringer zum Jungfraujoch, sondern auch als Beschäftigungsanlage im Skigebiet Kleine Scheidegg ist die Anlage ein deutlicher Mehrwert. Die Ausblicke während der Fahrt und die spektakuläre Technik des 3S-Systems beeindrucken dabei nicht nur Seilbahnfans.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.