Grindelwald, Mitte der 70er Jahre. Seit vielen Jahrzehnten ist das Bergdorf ein Touristenmagnet in den Berner Alpen. Am Fusse der majestätischen Eigernordwand gelegen, unweit des weltbekannten Dreigestirns aus Eiger, Mönch und Jungfrau, lockt Grindelwald im Sommer wie im Winter Gäste aus aller Welt an. Bereits 1908 wurde mit der Eröffnung des Wetterhornaufzugs, der ersten öffentlichen Luftseilbahn der Schweiz, das Zeitalter der Bergerschliessung durch Seilbahnen eingeläutet.
Zur Wintersportgeschichte in Grindelwald
Eine lange Lebensdauer hat das Erstlingswerk nicht. Ohnehin läuft dem nie vollständig fertiggestellten Wetterhornaufzug ab 1912 die Zahnradbahn auf das Jungfraujoch den Rang ab. Auch von Grindelwald aus ist der Gipfel über die Zahnradbahn zur Kleinen Scheidegg erreichbar. Im Winter 1946/1947 folgt mit der Firstbahn die nächste bahnbrechende Neuerung in der umliegenden Bergwelt. Die in vier Sektionen aufgeteilte kuppelbare Sesselbahn vom Typ VR101 ist zu diesem Zeitpunkt die längste ihrer Art. Damit hält fortan auch der Skisport Einzug in Grindelwald.
Das Skigebiet Kleine Scheidegg – Männlichen
Neben dem Skigebiet First siedeln sich auch rund um die Kleine Scheidegg mehrere Skilifte an. Am Lauberhorn oder auch in Wengen auf der anderen Seite des Männlichengrats trifft man bereits ab Ende der 30er Jahre begeisterte Wintersportler an. Mit dem Bau einer Luftseilbahn von Wengen auf den Männlichengrat folgt 1954 die Erschliessung eines weiteren veritablen Aussichtsgipfels. Der Blick reicht vom Thuner See über das Wetterhorn bis hin zu Eiger, Mönch und Jungfrau. Während des folgenden Jahrzehnts entstehen zwischen dem Männlichen und der Kleinen Scheidegg zahlreiche weitere Seilbahnanlagen, die das Skigebiet zu einer stattlichen Grösse anwachsen lassen.
Eine Kabine der Luftseilbahn Wengen-Männlichen erreicht die Bergstation.
Panorama vom Männlichen mit Blick auf Wengen und das Lauterbrunnental. Im Hintergrund das Schilthorn, bekannt aus dem James-Bond-Klassiker „Im Geheimdienst ihrer Majestät“.
Jungfrau und Silberhorn, ein beliebtes Motiv auch beim jährlichen Lauberhorn-Skirennen.
Panorama vom Männlichengipfel mit dem Thuner See am Horizont, rechter Hand Grindelwald mit Wetterhorn und Eiger.
Männlichen mit Eiger, Mönch und Jungfrau.
Der Zugang von Grindelwald aus ist jedoch alles andere als optimal. Einziger Zubringer ist die langsame und häufig überlastete Zahnradbahn zur Kleinen Scheidegg. Der Skisport spielt sich daher hauptsächlich im First-Gebiet ab. Dass es keinen direkten Zubringer vom Dorf ins Männlichen-Gebiet gibt, ist vor allem der grossen Distanz zwischen beiden Punkten geschuldet. Luftlinie liegen die beiden Orte mehr als sechs Kilometer auseinander. Trotz der weiten Strecke beginnt man mit den Planungen einer Anbindung per Seilbahn. Schnell ist klar, dass einzig eine kuppelbare Umlaufbahn das Problem einer Anbindung lösen kann. Eine Pendelbahn könnte bei sechs Kilometern Länge keine ausreichende Förderleistung erreichen, fix geklemmte Bahnen hätten eine viel zu lange Fahrzeit.
Ein Jahrhundertbauwerk von Grindelwald auf den Männlichen
So folgt die Errichtung eines Jahrhundertbauwerks. Mit dem Bau beauftragt wird die Maschinenfrabrik Habegger, ihres Zeichens der zu diesem Zeitpunkt gemessen an den erbauten Seilbahnen erfolgreichste Schweizer Seilbahnhersteller. Der Seilbahn-Boom der früheren 70er Jahre ist 1978 zwar langsam Geschichte, für die Firma Habegger ist das Jahr aber ein weiterer Meilenstein. In Flims kann als Zubringer zum Vorabgletscher die erste Kabinenbahn der Schweiz mit sechsplätzigen Kabinen eröffnet werden. In Grindelwald setzt man dagegen bei der Kabinengrösse auf altbekannte Standardkost. Vier Personen sollen in den charakteristisch roten Kabinen Platz finden. Zum Einsatz kommt wie seit einigen Jahren üblich das lang erprobte Giovanola-Klemmensystem zum Einsatz. Die Schwerkraftklemmen sind zu dieser Zeit ein fester Bestandteil der Schweizer Bergwelt.
Bereits kurz nach der Talstation überquert die Männlichenbahn die Schwarze Lütschine.
Stationsumlauf der Männlichenbahn in der Talstation Grindelwald-Grund.
Die markanten Seilscheiben leiten das Förderseil in den Spannschacht.
Einst die weltweit am häufigsten eingesetzte Klemmenart, heute mitunter ein seltener Anblick: die Giovanola-Schwerkraftklemme.
Drei Kilometer von Grindelwald nach Holenstein
Ein Drahtseil mit zwölf Kilometern Länge zu fertigen, ist seinerzeit ausgeschlossen. Aufgrund der Länge entscheidet man sich daher dazu, die Anlage in zwei etwa gleich lange Sektionen aufzuteilen. Von Grindelwald verläuft die Strecke daher zunächst recht flach, ehe das Gelände im Wald bis zur Zwischenstation Holenstein ansteigt. Etwa auf halbem Weg der ersten Sektion erfolgt der Einbau der kleinen Station Egg. Diese ist jedoch nicht viel mehr als eine Plattform zum Ein- und Ausstieg für Anlieger. Die Station ist nicht öffentlich und zum Ein- oder Ausstieg muss die Bahn angehalten werden, da die Kabinen nicht vom Seil gelöst werden.
Wenige Höhenmeter werden auf dem ersten Kilometer Strecke überwunden.
In luftiger Höhe schweben die Kabinen in der Folge über den Nadelwald hinweg zur Zwischenstation Egg.
Ein Blick zurück nach Grindelwald.
Die kleine Station wird heute kaum noch genutzt, stellte einst aber eine wichtige und schnelle Anbindung für die Anlieger nach Grindelwald dar.
Auf halber Strecke der ersten Sektion kommt Kabine 218 entgegen.
Mit kontinuierlicher Steigung kommt die Bergstation der ersten Sektion, die Station Holenstein in Sicht. Der Kran ist ein erstes Anzeichen für den Neubau.
Grindelwald ist zu diesem Zeitpunkt bereits in weite Ferne gerückt.
Die Antriebsstation Holenstein
In der Station Holenstein befinden sich die Antriebe beider Sektionen. In beiden Fällen sind es Unterflurantriebe, die der Fahrgast im Normalfall nicht zu Gesicht bekommt. Lediglich die markanten Seilscheiben, die das Förderseil in den Keller ablenken, stechen bei der Stationsdurchfahrt ins Auge.
Ansichten der Zwischenstation Holenstein.
Die Männlichenbahn – ein technischer Rekord
Die zweite Sektion führt in der Folge etwas flacher und bald über der Baumgrenze bis zum Männlichengrat. Hier oben befindet sich die Gewichtsabspannung der zweiten Sektion. Ähnlich wie beim Antrieb in der Station Holenstein wird das Förderseil auch hier über Seilscheiben in den tiefen Spannschacht geführt. Sage und schreibe 52 Zwischenstützen und fast 1300 Höhenmeter lässt man auf einer Fahrt hinter sich. Nicht weniger als 230 Kabinen produziert die Firma De Giorgi, um eine adäquate Folgezeit in den Stationen zu gewährleisten. 900 Personen können auf diese Weise stündlich von Grindelwald auf den Männlichengrat befördert werden.
Die Gesamtfahrzeit von rund einer halben Stunde zählt zu den längsten der Welt. Und mit ihrer Länge von 6,2 Kilometern handelt es sich bei der Männlichenbahn um die längste Einseilumlaufbahn Europas. Sie übernimmt diesen Rekord von der ebenfalls im Berner Oberland gelegenen Rinderbergbahn in Zweisimmen. Seit deren Bau 1957 hatte diese den Titel inne.
Ausfahrt der zweiten Sektion aus der Station Holenstein mit den für das Giovanola-System typischen Niederhaltern.
Bald ist die Baumgrenze erreicht, der Männlichengrat liegt aber noch immer in weiter Ferne.
Männlichenbahn mit Grindelwald und dem Wetterhorn.
Rechter Hand verläuft im oberen Teil die Sesselbahn Itramen-Männlichen parallel.
Nach einem letzten Streckenniederhalter kommt das Berghaus Männlichen in Sicht.
Angekommen auf dem Männlichengrat nach einer halben Stunde Fahrt.
Ein Blick zurück vom Männlichengrat in Richtung Holenstein.
In der Bergstation Männlichen mit dem Spannschacht der zweiten Sektion.
Am zentralen Pfeiler hängt unübersehbar das Logo der Maschinenfabrik Habegger.
Die letzten beiden Stützen der Männlichenbahn vor dem Mönch.
Vorreiterrolle und innovative Technolgie
Doch nicht nur in punkto Länge, sondern auch mit ihren zahlreichen kleineren technischen Innovationen ist die Männlichenbahn im Jahre 1978 ein technischer Vorreiter, der weltweit Beachtung findet. Als eine der ersten Kabinenbahnen verfügt sie über sogenannte Gummibandbeschleuniger, die ein komfortvolles Beschleunigen und Verzögern der Kabinen in den Stationen ermöglichen. Sie ersetzen die zuvor weit verbreiteten schiefen Ebenen. In den Stationen selbst erfolgt der Betrieb vollautomatisch durch Kettenförderer und Türöffnungseinrichtungen. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Angestellten mühevoll die Kabinen durch die Stationsumläufe schieben mussten. Aber auch für die Skifahrer ist die Anlage als schneller Zubringer in das beliebte Skigebiet und als Entlastung für die bestehende Zahnradbahn eine überaus willkommene Neuerung.
Kettenförderer in der Talstation Grindelwald-Grund.
Eine Klemme beim Verzögern mithilfe des typischen Habegger-Gummibands.
2018 – Eine neue Zeitrechnung am Männlichen beginnt
40 Jahre später sieht die Seilbahnwelt – nicht nur in Grindelwald – anders aus. Die Schlepplifte zwischen Männlichen und Kleiner Scheidegg sind inzwischen fast ausnahmslos kuppelbaren Hochleistungssesselbahnen gewichen, von Wengen transportiert die längst modernisierte Luftseilbahn ihre Gäste im Sommer auf einem Kabinen-Balkon auf den Berg. Übrig geblieben ist neben Eiger, Mönch und Jungfrau mit der Männlichenbahn noch ein letztes Schweizer Urgestein.
Doch der Sommer 2018 wird der letzte in der Geschichte dieses einmaligen Bauwerks sein. Der Bau einer Ersatzanlage ist bereits in vollem Gange. Stützenfundamente sind bereits gegossen, Baugruben lassen an allen Stationsstandorten die neuen Grundrisse erkennen. Schneller und komfortabler sollen die Gäste mit der neuen 10er-Kabinenbahn den Männlichen zukünftig erreichen können. Parallel dazu soll eine zusätzliche Zweiseilumlaufbahn zur Bahnstation Eigergletscher die neue Anlage entlasten.
Männlichen mit Eiger, Mönch und Jungfrau.
Grindelwald und Wetterhorn vom Männlichen-Gipfel aus gesehen.
Zweifelsohne werden auch die neuen Bahnen ihren Platz in den Schweizer Seilbahngeschichtsbüchern finden. Doch um von einem derartigen Pionierwerk zu sprechen, wie es die erste Männlichenbahn unbestreitbar ist, davon dürften die neuen Bahnen weit entfernt sein.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.
Hey Felix kannst du mir bitte erkären für was die dritte umlenkscheibe bei der Abspannung , bei der Grindelwaldbahn zu tun hat? Für was benötigt man eine dritte Scheibe die wäre ja komplett überflüssig oder nicht?? Bitte dich um eine Erklärung kopfe schon lang rum woe das dann auch im Keller aussieht mit der dritten oben stechenden Scheibe! Mit freundlichen Grüßen
Hey Maximilian,
die drei Seilscheiben, die man auf den Fotos sieht, sind noch nicht alle. Im Spannschacht unten wird das Seil noch zusätzlich abgelenkt. Der Grund ist, dass man damals absolut sicher gehen wollte, dass das Seil die Seilscheiben so fest umschlingt, dass es keinesfalls durchrutschen kann. Das wäre mit einer einzelnen Umlenkscheibe nicht so einfach möglich gewesen. Deswegen wird das Seil mehrfach in den Spannschacht geleitet und unten nochmal abgelenkt. Von Roll hat das später in ähnlicher Form auch in der Horizontalen so gebaut. Auch da wird das Seil dann in eine doppelte Schleife gelegt für die Abspannung. Hoffe, dass dir das weiterhilft.
Liebe Grüße
Felix