Les Marécottes – Habe die Ehre, Giovanola!

Giovanola – jedem Seilbahnfan dürfte dieser Name ein Begriff sein. Jene Firma ist es, die 1949 eine der weltweit ersten automatischen Kuppelklemmen für Einseilumlaufbahnen patentieren lässt. Der Erfinder Marc Dumour versucht noch im selben Jahr, seine Idee bei einem Prototyp im französischen Thollon-les-Mémises am Genfer See in der Praxis umzusetzen. Der Versuch scheitert, die Klemme funktioniert nicht.

Das System Giovanola – ein Meilenstein in der Seilbahngeschichte

Doch nach einigen Feinarbeiten und Anpassungen soll die Bahn im Jahr darauf dann doch noch in Betrieb gehen. Ebenfalls 1950 folgt die erste solche Anlage auf Schweizer Boden in Verbier. Es soll erst der Anfang werden. Nach den ersten Bahnen unweit des Firmenstandorts Monthey im Wallis kann Giovanola in den folgenden beiden Jahrzehnten mehrere dutzend Exemplare mit den patentierten Schwerkraftklemmen in der ganzen Schweiz erstellen. Wegen der Einfachheit des Systems finden sich schnell Lizenznehmer, durch die das System weltweite Popularität erfährt. Sogar die beiden führenden Schweizer Seilbahnfirmen Habegger und Von Roll setzen noch bis Mitte der 80er Jahre auf das Giovanola-System. Und das, obwohl beide Hersteller vorher bereits eigene Klemmen konstruiert haben.

Kabinenbahn Les Marécottes - La Creusaz

Kabinenbahn Les Marécottes - La Creusaz

In den Alpen sind die Giovanola-Bahnen inzwischen aber selten geworden. Die Schwerkraftklemme kann konstruktionsbedingt gewisse neuere Sicherheitsanforderungen nicht mehr erfüllen. Spätestens 2025 wird daher in der Schweiz die letzte derartige Anlage den Betrieb einstellen müssen. Und das nach 75 Jahren tadellosem Einsatz. In anderen Ländern werden sich die Anlagen der Lizenznehmer wahrscheinlich noch länger halten können, da in diesen Fällen ein Bestandsschutz greift. Schon jetzt sind es aber nur noch wenige Exemplare vom Originalhersteller, die erhalten sind. In Verbier, Saas Fee, am Flumserberg und in Les Marécottes.

Wegweiser im Skigebiet Les Marécottes

Das Skigebiet Les Marécottes – La Creusaz

Letztgenannte ist ausgerechnet die Anlage, die Luftlinie am wenigsten weit von Monthey entfernt liegt. Das kleine Skigebiet von Les Marécottes ist über eine kurvenreiche Straße von Martigny aus erreichbar. Die Kabinenbahn aus dem Jahre 1968 stellt den Zubringer zu den beiden anderen Anlagen dar. Eine kuppelbare Vierersesselbahn und ein Übungsschlepplift von Garaventa erschließen die Hänge im oberen Teil des Skigebiets. Die Giovanola-Anlage ersetzt bereits einen Vorgänger. 1951 kann die Zürcher Firma Gerhard Müller hier eine Einersesselbahn eröffnen. Die lange, steile Trasse ist allerdings alles andere als geeignet für diesen Seilbahntyp. Die Kabinenbahn ermöglicht eine deutliche Komfortsteigerung. Fortan geht es doppelt so schnell und mit dreimal höherer Förderleistung zur Ferienhaussiedlung La Creusaz nach oben.

Kabinenbahn Les Marécottes - La Creusaz

Kabinenbahn Les Marécottes - La Creusaz

Skigebiet Les Marécottes

Ein fahrenswerter Oldtimer

In den 90er Jahren vollzieht die Firma Garaventa einen größeren Umbau der Bahn. Hauptgrund stellt die vollständige Automatisierung durch den Einbau von Reifen- und Kettenförderern in den Stationen dar. Optisch am auffälligsten sind aber die neuen Kabinen. Durch sie wirkt die Bahn bei weitem nicht mehr so original wie beispielsweise die zwei Jahre jüngere Anlage von Verbier nach Savoleyres. Nichtsdestotrotz ist auch die Seilbahn in Les Marécottes ein fahrenswerter Oldtimer. Die durchwegs steile Trassierung und die für Giovanola typisch hohen Fachwerkstützen machen die Fahrt zu einem Erlebnis. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass diese Bahn vielleicht die letzte sein wird, die vom Hersteller Giovanola noch in Betrieb sein wird. Aber spätestens 2025 werden auch hier die Lichter ausgehen.

Kabinenbahn Les Marécottes - La Creusaz

Skigebiet Les Marécottes

4 Gedanken zu „Les Marécottes – Habe die Ehre, Giovanola!“

  1. Interessehalber gefragt: nach wieviel Jahren Betrieb hat sich ungefähr eine Seilbahn armortisiert? Gerner auch Erfahrungswerte von früher als es winters noch viel geschneit hat? Dies auch angesichts Deiner Reportage über die Bahn vom Super Saint Bernard wo die bestehende Anlage nicht die Finanzmittel zu ihrem Erhalt erwirtschaften konnte bzw. aktuell beim Unglück am Monte Mottarone wegen nicht behobener technischer Fehler? Lohnt sich heute angesichts der unsicheren Wetterverhältnisse mit teilweise ausbleibendem Schnee sowie enormen jährlichen Fixkosten überhaupt noch ein Neubau?

    Danke für Deine Antwort!

    Hans

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    • Hallo Hans,

      das lässt sich glaube ich nicht so pauschal beantworten. Ich weiß von einzelnen Anlagen, die z. B. über 20 Jahre abgeschrieben werden. Das kann aber sehr stark variieren, je nach Größe der Anlage, Baukosten, Unterhalt etc. Da aber die wenigsten Bahnen nach weniger als 20 Jahren ersetzt werden, dürfte das schon ein ganz guter Richtwert in Bezug auf die Amortisation sein.

      Neubauten lohnen sich aber auch heute durchaus noch in Skigebieten. Das zeigen viele erfolgreich wirtschaftende Skigebiete in den Alpen. Es ist allerdings schon so, dass damit heute viel höhere Begleitkosten einhergehen als noch vor 30-40 Jahren. Das liegt in erster Linie an den gestiegenen Ansprüchen der Gäste. Die modernen hochtechnisierten Seilbahnen müssen einfach eine gewisse Anzahl von Tagen im Jahr laufen, damit sie rentabel sind. Aus dem Grund „muss“ dann zwangsläufig auch dafür gesorgt werden, dass entsprechend Schnee zur Verfügung steht (der dann ggf. durch Beschneiungsanlagen erzeugt werden muss, was wiederum sehr teuer ist). Inzwischen sind Seilbahnen aber nicht mehr nur eine Aufstiegshilfe im Gebirge, sondern werden immer häufiger auch als Nahverkehrsmittel eingesetzt. In diesem Bereich liegt ein riesiges Potenzial. Insofern gehe ich schon davon aus, dass sich die „Zielgruppe“ in den nächsten Jahren noch stärker in diese Richtung verlagern wird.

      Viele Grüße
      Felix

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  2. Hallo Felix,

    Vielen Dank für Deine Antwort.

    Wenn eine seilbahn ganzjährig betrieben werden kann mit entsprechenden Einnahmen dann sieht die Rechnung natürlich besser aus. In die ältere Seilbahn (1970) vom Monte Mottarone wurden wenige Jahre zuvor EUR 4,0 Mio. investiert in Antrieb und Steuerung jedoch ohne das Zugseil von 1998 mit auszutauschen oder die technischen Probleme zu beheben wiederholt die zum Auslösen der Tragseilbremse führten.

    Andererseits sind Seilbahnen im Vergleich zu vielen Kliniken, Einkaufszentren und Bürogebäuden (siehe u.a. Lurgihaus) geradezu langlebig.

    Freundliche Grüße,

    Hans

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  3. Hallo Felix,

    nochmals interessehalber gefragt: gibt es bei modernen Seilbahnneubauten ähnlich wie bei Windkraftanlagen die gesetzliche Verpflichtung die Mittel für Abbruch und Entsorgung bereits bei der Errichtung insolvenzfest anzulegen so daß nach Ablauf der wirtschaftlichen Nutzungsdauer die Anlage nicht auf Kosten der Allgemeinheit abgebrochen und entsorgt werden muß oder jahrelang nutzlos in der Gegend herumsteht wie dies bei vielen aufgegebenen Seilbahnen der Fall ist?

    Danke für Deine Antwort!

    Freundlich grüßt Dich

    Hans

    P.S: Bei Windkraftanlagen in Deutschland funktioniert dies bei ab 2004 errichteten Anlagen dergestalt:

    Soweit die Windenergieanlage (WEA) im Außenbereich ohne Geltung eines qualifizierten Bebauungsplans errichtet wurden, sind entsprechend des 2004 eingeführten § 35 Abs. 5 Satz 2 BauGB bei nach 2004 errichteten WEA Verpflichtungserklärungen zu Rückbau der Anlage und zur Beseitigung von Bodenversiegelungen abzugeben und nach Satz 3 derselben Vorschrift zur Sicherung des Rückbaus sind von der Behörde Sicherheitsleistungen einzufordern. Als Möglichkeiten zur Sicherstellung kommen neben der Baulast insbesondere Grundpfandrechte (Grundschuld, Hypothek) und andere Sicherheitsleistungen im engeren Sinne wie beispielsweise Bankbürgschaften, Hinterlegung oder Verpfändung in Betracht. Es steht im Ermessen der Genehmigungsbehörde, welches der Sicherungsmittel das geeignete ist. Die Höhe der Sicherheitsleistung orientiert sich an den voraussichtlichen Kosten, die für den Rückbau der Anlage und die Beseitigung der Bodenversiegelung aufzuwenden sind .

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