„Ach komm‘, ich fahr‘ einfach nochmal da oben hin. Einen besseren Standort werde ich wohl kaum finden.“ Meine nachmittäglichen Überlegungen bei einer Wanderung durch den Nationalpark Calanques gehen auf. Auch der zweite Sonnenuntergang in Folge am Cap Caillat oberhalb von Cassis ist ein Erlebnis. Überhaupt ist Frankreichs jüngster Nationalpark an der Mittelmeerküste in jeder Hinsicht eine Reise wert.
Eine Mischung aus Karibik und Skandinavien
Erst seit dem Jahr 2012 ist das Gebiet südöstlich von Marseille an der französischen Küste ein geschütztes Areal. Nur ein kleiner Teil davon liegt an Land. Etwa ein Sechstel der Fläche des Nationalparks erstreckt sich über das Massif des Calanques, der Rest verteilt sich auf das angrenzende Mittelmeer. Die Calanques, das ist eine Landschaft, die man auf den ersten Blick vielleicht am ehesten auf einer weit entfernten Karibikinsel vermuten würde. Oder im fernen Norden in Skandinavien. Denn mit ihren fjordartigen Küsteneinschnitten, ihrem kristallklaren Wasser und dem trockenen, meditarranen Klima bietet sie das Beste aus beiden Welten.
Ihre einzigartige Gestalt verleiht den Calanques der Kalksteinboden, der entlang der Küste vorzufinden ist. Steil fällt das Land hier in das Blau des Mittelmeers hinab. Das Wasser hat sich seinen Weg in Richtung des Landesinneren gesucht und ist bei dem losen Gestein auf wenig Widerstand gestoßen. Das sorgt für die einzigartigen Fjorde, die sich über die komplette Breite des Massif des Calanques erstrecken. Auf mehr als 20 Kilometern Küstenstreifen gibt es hier kaum Erdreich, sodass sich die Pflanzen ihren Weg durch kleine Risse der Felsen bahnen müssen, um zu überleben. Das trockene Klima leistet ebenfalls seinen Beitrag zu einer einzigartigen Flora. Feuchtigkeit entstammt nahezu ausschließlich verdunstetem Wasser aus dem Mittelmeer und der Gischt des Salzwassers.
Auf dem Wasser durch den Nationalpark Calanques
Eine bequeme Möglichkeit, die Calanques zu erkunden, führt über das Wasser. Vom Fischerdörfchen Cassis starten zu jeder Jahreszeit täglich mehrere Boote zu Erkundungstouren in die nahegelegenen Fjorde. Je nach Größe des Geldbeutels führt eine Fahrt bis zur Calanque d’En-Vau oder bis hin zu den bereits nahe Marseille gelegenen Calanques de Morgiou und Sormiou. Irgendwie ähnelt sich die Landschaft immer ein wenig. Doch jeder der Taleinschnitte besitzt einen ganz eigenen Charakter. Da wäre zum Beispiel die Calanque de Port-Miou, die zu einem Jachthafen umgebaut ist. Von kleinen Segelbooten bis hin zu stattlichen Schiffen trifft man hier so manches interessante Exemplar an. Wer inmitten der steilen Felsen dem Badevergnügen frönen möchte, der sucht die malerische Calanque d’En-Vau auf. Mitten in der unberührten Natur liegen hier Strände, die völlig unerwartet einen sanften Zugang zum Meer ermöglichen.
Andere wie die Calanque de l’Oule bietet mit ihrer Steilküste keinerlei Zugangsmöglichkeit zum Wasser. Den Blick auf das an dieser Stelle karibikblaue Mittelmeer genießt man hier besser vom Rand der Klippen, die über das umfangreiche Wanderwegenetz durch den Nationalpark erreichbar sind. Oder aber man sucht die Calanque de Sormiou auf. Der von Marseille aus leicht zu erreichende Küsteneinschnitt bietet mit allen Annehmlichkeiten einer modernen Tourismusinfrastruktur ein wenig Côte-d’Azur-Gefühl. Eine Calanque dürfte für jeden dabei sein.
Zu Fuß durch den Nationalpark Calanques
Aussteigen und Badevergnügen sind allerdings nur auf ausgewählten Bootstouren möglich. Wer die Strände der Calanques erkunden will, dem bleibt in der Hochsaison nur der Weg zu Fuß. Ein umfangreiches Wanderwegenetz durchquert den Nationalpark. Auch von Cassis aus erreicht man auf diese Weise nach einer bis zwei Stunden die ersten Fjorde des Nationalparks. Wer für eine Tagestour von außerhalb anreist, der umgeht die Parkgebühren von Cassis mit einem Start am Col de la Gineste. Der Passübergang trennt Cassis von Marseille und liegt in 326 Metern Höhe mitten im Massif des Calanques. Ein großzügig angelegter Parkplatz ermöglicht den Zugang in den Nationalpark. Die mit 563 Metern höchste Erhebung des Massivs, den Mont Puget, erreicht man von hier aus ebenfalls über einen Wanderweg.
Die weiter westlich gelegenen Calanques sind dagegen besser von Marseille aus erreichbar. Über die südlichen Vororte der Hauptstadt des Départements Bouches-du-Rhône führen Straßen zu den Calanques de Sormiou und Morgiou. Je nach Jahreszeit dürfen diese auch von Touristen befahren werden. In der Hochsaison gilt allerdings ein Fahrverbot. Auskünfte hinsichtlich der Öffnungszeiten finden sich auf der Webseite der Parkverwaltung. Doch auch außerhalb dieser Zeit empfiehlt es sich, die Wanderschuhe für eine Erkundung des Nationalparks zu nutzen. Denn nur auf diese Weise lässt sich die Natur in ihrer ganzen Fülle erleben.
Vorsicht sollte man jedoch insbesondere in den Sommermonaten walten lassen. Aufgrund der vorherrschenden Trockenheit besteht häufig die Gefahr von Waldbränden. Aus diesem Grund kann die Parkverwaltung Teile oder auch den kompletten Nationalpark vorübergehend für Touristen sperren. Auf der Seite der Parkverwaltung informiert eine täglich aktualisierte Übersichtskarte über die gefährdeten Zonen.
Das Cap Caillat und die Route des Crêtes von La Ciotat nach Cassis
Auch wer sich nicht zu Fuß auf die Wege des Nationalparks wagen mag, darf sich über spektakuläre Blicke freuen. Im östlichen Teil des Nationalparks führt eine 15 Kilometer lange Straße entlang der Steilküste von der Hafenstadt La Ciotat nach Cassis. Der treffend als Corniche des Crêtes bezeichnete Weg ist bereits ab der Autobahnausfahrt der A50 in La Ciotat gut ausgeschildert. Über mehrere Serpentinen schlängelt sich die Straße den Berg hinauf. Bereits wenig oberhalb von La Ciotat weist ein Schild auf den Eintritt in den Nationalpark hin. Der Blick reicht auf den Hafen von La Ciotat und das hügelige Hinterland.
Wirklich beeindruckend wird das Panorama aber erst, wenn mit dem Cap Canaille der höchste Punkt der Route des Crêtes erreicht ist. Mit 326 Metern Höhe ist das Kap die höchste Klippe des französischen Festlandes und vermutlich auch die am einfachsten zugängliche. An mehreren Stellen finden sich hier Parkplätze, von denen aus der Blick über das Mittelmeer und Cassis hinweg bis zu den Calanques reicht.
Besonders reizvoll gestaltet sich der Anblick des Sonnenuntergangs am Abend. Die tiefstehende Sonne taucht das Cap Canaille in ein warmes Licht, während im Hafen von Cassis bereits die ersten Lichter zu leuchten beginnen. Je nach Jahreszeit versinkt die Sonne kurz darauf im Mittelmeer oder hinter den Calanques und ihren vorgelagerten Inseln. Es ist ein Spektakel, das bei keinem Besuch des Nationalparks fehlen darf. Die einfache Zugänglichkeit hat jedoch auch ihren Preis. In der Hochsaison sollte man frühzeitig aufbrechen, um noch einen der beliebten Plätze am Klippenrand ergattern zu können. Einsame Sonnenuntergänge genießt man vermutlich besser anderswo. Aber einen schöneren Blick auf die Mittelmeerküste sucht man auf weiter Flur vergeblich.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.