Argegno & Brunate – Seilbahnen hoch über dem Comer See

Am Fusse der italienischen Alpen, nur rund 50 Kilometer von der Metropole Mailand entfernt, liegt die Stadt Como. Der nach ihr benannte See ist der drittgrösste Italiens und seit Jahrzehnten ein beliebtes Ferien- und Erholungsdomizil für Gäste aus dem In- und Ausland. Auch die Stadt Como selbst hat mit ihren kleinen Gassen und pompösen Bauwerken allerlei architektonische Höhepunkte zu bieten. An erster Stelle liegt zweifelsohne der beeindruckende Dom, dessen Bau im Jahr 1396 beginnt und mehr als drei Jahrhunderte andauert.

Den Ursprung der Seilbahn am Comer See erleben

Doch auch aus Seilbahnsicht hat Como aus historischer wie aus architektonischer Sicht einen echten Leckerbissen zu bieten. Mehr noch, denn direkt am Seeufer lässt sich der Ursprung der Seilbahn hier auch heute noch erleben. Den Begriff der Seilbahn verbinden die meisten Menschen gedanklich mit Bergen und Skigebieten. Doch in ihrer ursprünglichen Form dienen seilgezogene Aufstiegshilfen als Ableger der Eisenbahn meist als innerstädtisches Verkehrsmittel. Die sogenannte Standseilbahn ist ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem dann das Mittel der Wahl, wenn längere Steigungen überwunden werden sollen. Die Anlage von Como nach Brunate ist genau ein solches Exemplar.

Ende 1894 nimmt diese schienengebundene Seilbahn als eine der ersten in Italien den Betrieb auf. Die technische Nähe zur Eisenbahn ist bei Standseilbahnen unübersehbar. Gezogen von einem Drahtseil fahren zwei Wagen auf Schienen den Berg hinauf und hinunter. 130 Meter geht es durch einen Tunnel, weitere gut 900 Meter verlaufen oberirdisch hinauf bis zur Station Brunate. Die Siedlung entwickelt sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem beliebten Ziel für wohlhabende Mailänder. Ein Umstand, der sich auch heute noch an den zahlreichen Villen in dieser Gegend ablesen lässt. Die bequeme Anbindung an Como und den See lässt daher nicht lange auf sich warten.

Standseilbahn Como - Brunate

Standseilbahn Como - Brunate

Standseilbahn Como – Brunate

Wie üblich bei Standseilbahnen aus jener Zeit erfolgt der Betrieb mit zwei Wagen, die sich in der Mitte der eingleisigen Strecke auf einer Ausweiche begegnen. Durch den Einsatz entsprechender Gleisanlagen kommt die sogenannte Abtsche Ausweiche ohne bewegliche Teile aus. Die beiden Wagen besitzen jeweils nur auf einer Seite Räder mit Spurkränzen, die die Richtung an der Ausweiche vorgeben. Die andere Seite besitzt Walzräder, die die Innenseite der Weichen befahren. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass ein Wagen stets die gleiche Seite der Ausweiche befährt und es so zu keiner Kollision kommen kann.

Besonderheit der Anlage sind ihre beiden zusätzlichen Haltestellen Como Alta und Carescione an denen die Wagen bei Bedarf anhalten. Die beiden Haltepunkte binden auf halber Höhe des Hangs einige Liegenschaften an das öffentliche Verkehrsnetz an. Mit dem Eintreffen in der Station Brunate hat ein Wagen 493 Höhenmeter hinter sich gelassen. Damit geht die Standseilbahn Como-Brunate zum Zeitpunkt ihrer Eröffnung als eine der ersten Personenseilbahnen überhaupt über eine reine innerstädtische Verbindung hinaus. Anfänglich mit Dampf betrieben wird sie 1911 auf einen elektrischen Betrieb umgebaut, dem sie bis heute treu geblieben ist. Der Antrieb erfolgt klassisch von der Bergstation aus, ein Gegenseil besitzt die Anlage nicht.

Standseilbahn Como - Brunate

Ein Wahrzeichen wie der Dom von Como

Im Laufe der Jahrzehnte wird die Standseilbahn mehrfach umfassend saniert. Von der originalen Bausubstanz sind daher nur noch wenige Teile vorhanden, in erster Linie die Stationsbauten. Auch die Wagen weichen im Laufe der Zeit immer wieder moderneren Nachfolgern. Der grösste Teil der Anlage stammt heute aus dem Hause Agudio, einem der ältesten und renommiertesten italienischen Seilbahnhersteller, der heute zum Poma-Konzern gehört. 480 Personen können die beiden aktuellen Wagen mit ihrem Fassungsvermögen von je 80 Personen pro Stunde und Richtung transportieren. Trotz aller Erneuerungen hat die Anlage ihren ursprünglichen Charme aber weitgehend erhalten. Die Talstation mit ihrem nostalgischen Antlitz direkt am Seeufer ist heute ein Touristenmagnet, genau wie die Ortschaft Brunate mit ihrer fantastischen Aussicht auf den Comer See.

Nach mehr als 125 Jahren Betrieb gehört die Standseilbahn mittlerweile genauso zu Como wie der markante Dom. Den gleichen Stellenwert hat sie bei den meisten Touristen jedoch kaum. Für den normalen Fahrgast ist sie ein einfaches Transportmittel wie viele andere auch. Vielfach wird dabei völlig übersehen, um welch historisch wertvolles und lebendiges Zeitdokument es sich bei der Bahn handelt. Seilbahnen sind aus der Welt heute nicht mehr wegzudenken. Egal ob als Aufstiegshilfe zur Bergerschliessung, für den Wintersport oder als Freizeitbeschäftigung, das Einsatzspektrum ist vielfältiger als bei jedem anderen Verkehrsmittel. Und mit der immer häufigeren Anwendung als Nahverkehrsmittel im urbanen Bereich kehrt die Seilbahn in neuerer Zeit auch wieder an ihre ursprüngliche Wirkungsstätte zurück. In Como lässt sich dieser Ursprung auch heute noch erleben.

Standseilbahn Como - Brunate

Die Seilbahn von Argegno nach Pigra

Die Standseilbahn von Como nach Brunate ist aber nicht das einzige interessante Seilbahnexemplar in der näheren Umgebung. Nicht weit entfernt von Como findet sich nämlich auch noch eine kleine Luftseilbahn etwas oberhalb des Seeufers. Der Comer See, mit einer Gesamtfläche von 146 km² der drittgrösste Italiens, erinnert mit seinen fjordähnlichen Armen ein wenig an Norwegen. Und auch am Westufer finden sich, abgesehen von den vielen Villen und Bauwerken von internationaler Bekanntheit, zahlreiche charmante kleine Dörfer. Eine der bekanntesten Ortschaften in diesem Bereich ist Argegno. Die Siedlung mit ihrem historischen Ortskern und einer architektonisch beeindruckenden Kirche liegt etwa in der Mitte zwischen der Stadt Como und Menaggio am nördlichen Ende des Sees.

Von hier aus führt seit Jahrzehnten eine Seilbahn in den Ort Pigra, der sich auf einer Terrasse in rund 900 Metern über dem Meer befindet. Steil führt die Seilbahn von der in Ufernähe gelegenen Talstation über einen bewaldeten Südhang nach oben. Die Anlage ist eine wichtige und schnelle Direktverbindung für die Einwohner von Pigra ins Tal. Eine Fahrstrasse existiert zwar ebenfalls, führt aber aufgrund des schroffen Reliefs mit einem weiten Umweg durch das nahegelegene Valle Intelvi. Doch nicht nur die rund 700 Einheimischen nutzen die Anlage, denn wie nahezu jede öffentlich zugängliche Einrichtung rund um den Comer See ist auch diese Seilbahn eine waschechte Touristenattraktion. Von der Bergstation aus bietet sich nämlich ein wunderbarer Rundumblick auf den fast 700 Meter tiefer gelegenen See.

Seilbahn von Argegno nach Pigra

Seilbahn von Argegno nach Pigra

Lago di Como

Mit der Luftseilbahn hoch über dem Comer See

Aber auch in technischer Hinsicht ist die Seilbahn einen Besuch wert. Mit ihrer steilen Trassierung über zwei markante Stützen ist die Fahrt selbst bereits ein Erlebnis. 648 Höhenmeter überwinden die beiden Kabinen auf einer Streckenlänge von gerade einmal gut 1,1 Kilometern. Mit einer maximalen Steigung von 95% zählt sie zu den steilsten Luftseilbahnen dieser Grösse. Stichwort Grösse, die Kabinen fassen heute jeweils maximal zwölf Personen. Bei diesen kleinen Fahrzeugen ist die Fahrt gleich nochmal eine Nummer spektakulärer.

Ursprünglich sind auf der Anlage Kabinen für 15 Personen im Einsatz. Eröffnet wird sie im Jahr 1967 und seinerzeit konstruiert von der italienischen Maschinenfabrik Antonio Badoni aus dem nahegelegenen Lecco. Diese zählte zu den frühen Pionieren der kuppelbaren Umlaufbahnen für Materialtransporte zum Rohstoffabbau. Badoni zeichnet nach dem Zweiten Weltkrieg in Italien aber auch für zahlreiche grössere Luftseilbahnen verantwortlich, darunter auch kuppelbare Zweiseilumlaufbahnen für den Personentransport. Viele seiner Werke sind heute jedoch nicht mehr zu bestaunen. Die Seilbahn von Argegno nach Pigra ist da eine willkommene Ausnahme.

Argegno am Comer See mit Seilbahn

Seilbahn von Argegno nach Pigra

Seilbahn von Argegno nach Pigra

Pigra – Sonnenterrasse und Ausgangspunkt zu Wanderungen

Ganz original kommt auch sie allerdings nicht mehr daher. 2011 wird sie von der traditionsreichen Firma Agudio saniert, ihr ursprünglicher Charakter bleibt aber weitgehend erhalten. Und so sind die beiden Kabinen auch heute noch mit maximal 5 m/s auf der Strecke unterwegs. Gute fünf Minuten nimmt eine Fahrt in Anspruch, was eine Förderleistung von 180 Personen pro Stunde und Richtung ermöglicht. Gemessen an den oft völlig überlaufenen Attraktionen rund um den Comer See ist das ausgesprochen wenig, sodass die Seilbahn trotz Dauereinsatz speziell im Sommer häufig an ihre Grenzen kommt.

Dass so viele Menschen den Weg hierher aufsuchen, ist aber keineswegs überraschend. Abgesehen von dem angesprochenen Panorama ist die Ortschaft Pigra auch Ausgangspunkt zu zahlreichen lohnenden Wanderungen zu den umliegenden Gipfeln. Von diesen bietet sich eine noch beeindruckendere Aussicht und Fernsicht. Doch auch wer einfach nur wegen der Seilbahn kommt, wird in Argegno definitiv nicht enttäuscht. Wer sich die Fahrt über die vielbefahrene und enge Zufahrtsstrasse von Como nach Argegno und insbesondere die komplizierte Parkplatzsuche sparen möchte, der nutzt eine der zahlreichen Schiffsverbindungen über den See. Auch als Abstecher von einer Rundtour über den Comer See ist die Seilbahn eine willkommene Ergänzung. Und für Seilbahnfans ist sie als eines der letzten lebendigen Exemplare der Maschinenfabrik Badoni aus technischer wie historischer Sicht ohnehin definitiv eine Reise wert.

Seilbahn von Argegno nach Pigra

Seilbahn von Argegno nach Pigra

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