Nach den interessanten Entdeckungen am Wank komme ich um 11.30 Uhr wieder am Auto an und mache mich auf den Weg nach Bad Kohlgrub, das ich schon nach einer guten halben Stunde Fahrzeit erreiche. Das Objekt der Begierde ist schnell gefunden und so stehe ich trotz einer kurzen Diskussion mit einem älteren Herrn, dem meine Parkposition nicht ganz zusagt, kurze Zeit später an der Kasse dieser äusserst kuriosen Sesselbahn. Die entrichtete Parkgebühr wird mir an der Kasse erstattet. Die Berg- und Talfahrt ist mit acht Euro wahrlich sehr günstig.
Bergfahrt mit der Hörnlebahn. Aufgrund der suboptimalen Lichtverhältnisse verzichte ich für den Moment auf Fotos, diese will ich während der Talfahrt nachholen.
Die Geschichte des Schwenksessels
Kaum eingestiegen versuche ich schonmal, das Konstruktionsprinzip dieser Rarität zu verstehen. Beim Aussteigen schwingen die Sitzflächen der Sessel nach aussen weg, sodass die Fahrgäste lediglich stehen bleiben müssen und der Sessel durch sie hindurchfährt. Die Sesselbahn ist die einzige der Welt, an der dieses mehr als schräge System noch im Einsatz ist.
Über die Herkunft ist längst nicht alles bekannt. Relativ gesichert ist, dass der deutsche, nach Amerika ausgewanderte Ingenieur Karl Ringer dieses System ab 1951 bei sieben Sesselbahnen in den USA einsetzte. Auch in Deutschland soll es neben der Bahn in Bad Kohlgrub noch eine weitere derartige gegeben haben. Interessanterweise sicherte sich die Krienser Firma Bell Mitte der 50er Jahre die Rechte an dem Patent, allerdings – so steht es auf skilifts.org geschrieben – nur um das System vom Markt holen zu können.
Kurioserweise erstellte dann aber die Firma Habegger 1955 in Adelboden die erste Doppelsesselbahn der Schweiz mit einem ähnlichen Prinzip. Hier schwingen die Sessel jedoch nicht nach aussen, sondern entlang einer mittigen Aufhängung auf die Innenseite. Habegger scheint das System aber später nicht mehr eingesetzt zu haben. Die Bahn in Bad Kohlgrub jedenfalls soll ein Lizenzbau von Wolf & Switzeney sein, bei dem zumindest die Sessel exakt wie auf den Fotos alter Ringer-Sesselbahnen aussehen. Vermutlich entstammt auch der Rest der Konstruktionen den Ideen Karl Ringers.
Gemütliche Fahrt von Bad Kohlgrub auf das Hörnle
Noch kann ich mir nicht wirklich erklären, wie das System denn nun praktisch eigentlich funktioniert. Wenn das Schwenken auf einem Widerstand basiert, der beim plötzlichen Stehenbleiben der Fahrgäste am Ausstieg entsteht, dann wundert es mich, dass die Sessel nicht auch beim Einstieg zur Seite klappen. Kurios ist jedenfalls, dass durch den Schwenkmechanismus die Sitzflächen nur an der Aussenseite befestigt werden können. Dadurch entsteht zwischen den beiden Sitzen ein Loch, was die Fahrt zu einer recht luftigen Angelegenheit macht.
Nach einem eher flachen Beginn werden auf der zweiten Streckenhälfte die meisten Höhenmeter gewonnen.
Teilweise geht es in luftiger Höhe gen Gipfel. Gepaart mit den kleinen Seitwärtsschliessbügeln nichts für schwache Nerven!
Das Schwenksessel-Prinzip in natura
Nach den für eine Voralpenbahn stattlichen 500 Metern Höhendifferenz wartet an der Bergstation die Auflösung des Rätsels. Der Liftwart weist mich an, im Sessel nach vorne zu rutschen und auf einer markierten Plattform stehen zu bleiben. Ich leiste den Anweisungen Folge, und obwohl ich mir viele Gedanken über den Ablauf dieses Vorgangs gemacht habe, muss ich mich doch stark konzentrieren, nicht instinktiv nach vorne zu laufen. Der Liftwart greift von hinten an die Sitzfläche, zieht sie zur Seite und schon fährt der Sessel durch mich hindurch. Etwas konsterniert schaue ich dem Sessel nach und mache einige Fotos von diesem Mysterium.
Währenddessen kommen weitere Fahrgäste an, denen der Liftwart das Prozedere jedes Mal von Neuem erklärt. Schliessbügel öffnen, nach vorne rutschen und stehen bleiben. Trotz der Anweisung verstehen das System offenbar noch weniger Leute als einen Seilscheibenausstieg am Schlepplift. Es spielen sich kuriose Szenen an der Bergstation ab, da ständig Personen beim Aussteigen nach vorne rennen und der Liftwart hechtet mit den zur Seite geklappten Sesseln hinterher. Dabei kommt es dann auch schonmal vor, dass jemand gleich komplett das Gleichgewicht verliert, der Sessel an die Führungsschienen der Station anschlägt und der Liftwart einen Nervenzusammenbruch erleidet.
Nachdem ich mir das Schauspiel einige Minuten lang angesehen habe, frage ich mich ernsthaft, wozu dieses System wohl gut sein kann. Und warum es sich hier bis heute gehalten hat. Der Betrieb ist äusserst personalintensiv, kaum jemand versteht das System und im Winter müssen die Wintersportgeräte separat befördert werden. Auch empfinde ich den Ausstiegsvorgang nicht als sonderlich komfortabel. Nunja, ich freue mich ja, dass immerhin eines dieser Relikte noch heute in Betrieb ist. Aber ich kann gut verstehen, warum sich dieses Prinzip nicht durchgesetzt hat!
Panoramagenuss auf die Voralpen
Ausblick von der Bergstation Richtung Nordwesten. Ein alter Leitner-Skilift erschliesst in Gipfelnähe einige Abfahrten.
Der formschöne Leitner-Skilift am Gipfel.
Nach einigen Panoramafotos ist es mittlerweile 12.30 Uhr, sodass ich mich zu einer kurzen Rast im Bergrestaurant entschliesse. Die günstigen Preise für die Fahrt sind hier dank eines saftigen Höhenzuschlags beim Essen schnell kompensiert. Da ich noch eine gute Strecke zu fahren habe und nicht allzu spät zu Hause ankommen will, begebe ich mich kurze Zeit später schon wieder auf die Talfahrt. An der Bergstation komme ich mit dem Liftwart ins Gespräch, der mangels Fahrgästen gerade eine ruhige Minute hat. Er erzählt mir einige Details zur Bahn und den technischen Besonderheiten. Man merkt ihm an, dass er mächtig stolz auf dieses Unikat ist, das hier nun seit 60 Jahren seine Runden dreht.
Impressionen während der Talfahrt.
An der Talstation ist noch einmal Konzentration beim Aussteigen gefordert, als der Sessel nach hinten wegklappt. So verlasse ich das Areal der Sesselbahn und begebe mich wieder zum Auto, nicht aber ohne die Fahrt noch einmal Revue passieren zu lassen. Einerseits ist es eine wunderschöne, historische Anlage; ein Unikat, das es eben nirgendwo sonst auf der Welt mehr gibt. Andererseits habe ich mir von dem System irgendwie etwas mehr erhofft. So wirklich kann ich mich einfach nicht dafür begeistern, so speziell es auch sein mag. Oder liegt es einfach daran, dass so kurze Zeit nach einer Fahrt mit einer Non-Plus-Ultra-Bahn wie der Forcella Staunies alles etwas langweiliger erscheint?
Blechkolonnen auf der Heimfahrt
Wie schon auf der Hinfahrt läuft es zunächst auch auf dem Heimweg zügig, doch an den berüchtigten Verkehrsknotenpunkten verbringe ich wieder einige Zeit in diversen Blechkolonnen. So erreiche ich mein Domizil erst gegen 19 Uhr, wiederum rund 1,5 Stunden später als bei der Abfahrt in Bad Kohlgrub geplant. Doch zu schön sind die vergangenen Tage gewesen, als dass dieses Malheur die Stimmung trüben könnte!
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.