Sie sind mittlerweile selten. Aber es gibt sie noch. Die echten Seilbahn-Dinosaurier. Seilbahnen, die wegen ihrer Länge, ihrer Trassierung oder wegen ihrer Kompromisslosigkeit in die Geschichtsbücher eingegangen sind. Eine von ihnen befindet sich ganz im Osten der Alpen. Die Seilbahn Kanin im slowenischen Bovec ist nicht nur die mit Abstand spektakulärste Seilbahn des Landes, sondern ohne jeden Zweifel eine der herausragendsten Kabinenbahnen der Welt. 5,9 Kilometer Länge, eine Höhendifferenz von fast 1.800 Metern, 53 Stützen und eine Fahrzeit von 25 Minuten. Und das alles gepaart mit dem Charme einer typischen Poma-Kabinenbahn aus den frühen 70er Jahren.
Von Bovec quer durch das Soča-Tal
Dabei fängt alles so gemächlich an. Der unterste Streckenabschnitt lässt noch nicht erahnen, wo die Reise einmal hingehen soll. Die Talstation der Anlage befindet sich am südlichen Rand der Ortschaft Bovec, die sich im oberen Teil des Soča-Tals befindet. Weit ist es nicht bis zur italienischen Grenze am Predil-Pass, auch Österreich liegt Luftlinie nicht weit entfernt. 1973 stampft man an dieser Stelle inmitten der Julischen Alpen das höchstgelegene Skigebiet des heutigen Slowenien aus dem Boden. Kurioserweise kommt die Talstation jedoch nicht am Rand, sondern fast in der Mitte des an dieser Stelle relativ breiten Tals zum Stehen. Aus diesem Grund muss die Zubringer-Seilbahn erst einmal zwei Kilometer bewältigen, auf denen sie nahezu keine Höhenmeter überwindet. Die Strecke ist dennoch abwechslungsreich. Immer wieder überspannt die Bahn tiefere Geländeeinschnitte, während parallel dazu der Laubwald vorbeizieht.
Nach zwei Dritteln der ersten Sektion geht es dann ans Eingemachte. Unter lautem Geschepper passieren die Kabinen zwei Niederhalter, um in der Folge den Weg zur Zwischenstation Čela anzutreten. Von nun an geht es steil bergauf und dank der hohen Trassierung weit über den Baumgipfeln benötigt die Anlage in diesem Teilabschnitt nur wenige Stützen. Nach einer langen Fahrt über 2,7 Kilometer und 544 Höhenmeter ist die erste Zwischenstation erreicht. An dieser Stelle liegt eine Sektionentrennung vor. Die Antriebe von Sektion 1 und 2 befinden sich beide an diesem Ort, abgespannt werden die Förderseile in den jeweils anderen Stationen. Die erste Sektion ist übrigens die einzige, bei der der Spannschacht in der Station selbst liegt. Bei den anderen Teilstrecken ist das Spanngewicht typisch für den Hersteller Poma auf einer der stationsnahen Stützen angebracht.
Spektakuläre Strecke auf dem Weg zum Kanin
Bis nach Čela existiert auch eine Fahrstrasse, sodass die Station problemlos auch mit Fahrzeugen erreichbar ist. Von nun an wird das Gelände jedoch noch deutlich schroffer. Die zweite Teilstrecke bis zur Station Skripi beinhaltet den beeindruckendsten Teil der Strecke. Auf 1870 Metern überwinden die Kabinen hier weitere 670 Höhenmeter. Den grössten Gefällsbruch überwindet das Seil an Stütze elf der zweiten Sektion. Der Stützendrilling lenkt das Seil soweit ab, dass ein leicht abschüssiger Abschnitt folgt bei dem gleichzeitig noch ein tiefer Taleinschnitt passiert wird. Nach zwei weiteren Niederhaltern folgt der erneute Anstieg in Richtung Skripi.
19 weitere Stützen überwinden die Kabinen auf der zweiten Teilstrecke, bis sie in 1649 Metern über dem Meer erneut vom Seil gelöst werden. Die Station Skripi ist im Normalfall der tiefste Punkt, bis zu dem im Winter eine Skiabfahrt möglich ist. Weiter hinab geht es nur in besonders schneereichen Zeiten. Wie auch in der ersten Zwischenstation werden die Kabinen automatisch zur dritten Teilstrecke weiterbefördert. Das Spanngewicht der dritten Sektion ist kurioserweise nicht etwa am Ausgang der Station, sondern selbst für Poma aussergewöhnlich erst viel weiter oberhalb an der zweiten Stütze angebracht. Die Spannseile werden entsprechend bis zur Station zurückgeführt, um dort Zugkraft auf die Umlenkscheibe auszuüben.
Skigebiet Kanin und die Julischen Alpen
Mit 1,3 Kilometern Länge ist die dritte Teilstrecke bis zur Bergstation Podi die kürzeste Sektion. Sie überwindet aber dennoch stattliche 550 Höhenmeter und kann entsprechend mit einem erneut steilen Verlauf begeistern. Unterwegs tauchen links und rechts die restlichen Beschäftigungsanlagen des Skigebiets Kanin auf. Nach fast einer halben Stunde ist schliesslich die Bergstation in 2200 Metern über dem Meer erreicht. Zwei hohe Fachwerkstützen lenken das Seil in die Horizontale, dann ist die Antriebsstation der dritten Sektion erreicht.
Von hier aus geht es mit Sesselbahnen und Schleppliften noch ein Stück weiter hinauf. Seit einigen Jahren ist das Skigebiet auch mit Sella Nevea auf italienischer Seite verbunden. Die dortigen Anlagen sind zwar teilweise ebenfalls technisch interessant, aber bei weitem nicht so einmalig wie die Seilbahn von Bovec. Seit fast fünf Jahrzehnten rumpelt die Anlage nun bereits vor sich hin. Sie ist damit eine der ältesten noch erhaltenen Poma-Kabinenbahn überhaupt. Ganz original kommt sie nicht mehr daher, denn die ursprünglichen Eiergondeln sind mittlerweile moderneren Exemplaren aus dem Hause Sigma gewichen. Das Fahrterlebnis ist allerdings deswegen kein bisschen weniger eindrücklich. Nur schon die Stützenüberfahrten mit 4 m/s lassen das Herz eines Seilbahnnostalgikers höher schlagen.
Seilbahn- und Naturerlebnis
Auch die Tatsache, dass die Seilbahn auf ihrem Weg von Bovec in das Skigebiet nahezu alle Vegetationszonen der Alpen durchquert, dürfte ziemlich einmalig sein. Mehr Abwechslung wird dem Fahrgast vermutlich auf keiner anderen Anlage geboten. Auch der Weg zurück ins Tal ist daher nicht weniger spannend als die Bergfahrt. Neue Ausblicke auf den angrenzenden Triglav-Nationalpark wechseln sich mit spektakulären Streckenpassagen ab.
Früher oder später wird aber auch das Skigebiet Kanin vermutlich nicht um einen Ersatz der Anlage herumkommen. Konkrete Pläne existieren derzeit zwar noch nicht, aber angesichts des Alters und des Zustands der derzeitigen Bahn ist es unübersehbar, dass diese Konstruktion nicht für die Ewigkeit errichtet ist. Auch eine neue Kabinenbahn auf gleicher Strecke wäre vermutlich ähnlich sehenswert. Das grandiose Fahrterlebnis aus den 70er Jahren bleibt aber nur so lange erhalten, wie die derzeitige Anlage noch ihre Runden dreht. Wer eine der beeindruckendsten Seilbahnen der ganzen Alpen nicht verpassen möchte, sollte daher unbedingt in naher Zukunft einmal in Bovec vorbeischauen. Mit dem Triglav-Nationalpark in unmittelbarer Nähe lohnt sich ein Aufenthalt nämlich auch nicht nur wegen der Seilbahn, sondern ebenso zum Wandern oder zum Naturgenuss.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.