Es gibt Skigebiete, bei denen kann ich bereits beim Blick auf den Pistenplan und die Infrastruktur sagen, dass ich mir einen Besuch vermutlich sparen kann. Regelmässige Leser dieses Blogs wissen, dass Purismus und Kuriositäten für mich eine weit grössere Rolle bei der Wahl eines Skigebiets spielen als perfekt präparierte Pisten oder eine traute Wohlfühlatmosphäre in der Seilbahn. Es gibt aber auch Skigebiete, bei denen stellt sich erst nach einem Besuch heraus, dass sie doch nicht meinem Gusto entsprechen. Doch jeder verdient eine zweite Chance. Und das ist daher auch bei den Portes du Soleil nicht anders.
Der lange Weg zurück in die Portes du Soleil
Im März 2008 statte ich diesem grössten grenzüberschreitenden Skigebiet der Welt erst- und bislang einmalig einen Besuch ab. Südlich des Genfer Sees gelegen erstreckt sich das Areal überwiegend über französischen Boden, etwa ein Viertel der Pistenkilometer liegt aber in der Schweiz. Namhafte Orte wie Avoriaz, Champéry, Morgins oder Les Gets geniessen weltweite Bekanntheit. Und so ist es doch etwas erstaunlich, dass das Fazit des Erstbesuchs 2008 eher durchschnittlich ausfällt. Mit einer Höhenlage von überwiegend unter 2000 Metern über dem Meer können die Portes du Soleil den nahegelegenen Skigebieten im restlichen Unterwallis nicht das Wasser reichen. Die Abfahrten sind daher weniger spektakulär, die Landschaft besitzt in weiten Teilen eher einen mittelgebirgsähnlichen Charakter. Grösse ist eben nicht alles, lautet seinerzeit das abschliessende Urteil.
Doch immer wieder stolpere ich in den folgenden Jahren über ausgesprochen positive Berichte aus dem Skigebiet. Tue ich den Portes du Soleil Unrecht? Ist es überhaupt möglich, ein Skigebiet dieser Grösse nach nur einem einzigen Tag bei eher suboptimalen Wetterbedingungen abschliessend zu beurteilen? Die Zweifel werden mit der Zeit grösser. Und so fasse ich schon früh den Entschluss, dass das Mega-Skigebiet eine zweite Chance verdient. Doch weil aufgrund von drohenden Stilllegungen und Ersatzbauten die Dokumentation von Seilbahnen an anderen Orten immer Priorität geniesst, dauert es letztlich 15 Jahre, bis ich die Portes du Soleil wieder ansteuere. Natürlich nicht ganz uneigennützig, denn auch hier gibt es das eine oder andere fahrenswerte Seilbahnexemplar.
Einstieg in La Chapelle d‘Abondance
Der Weg führt mich diesmal in das eher beschauliche Dorf La Chapelle d’Abondance auf französischer Seite des grenzüberschreitenden Pas de Morgins. Der auf gerade einmal 1000 Metern über dem Meer gelegene Ort ist einer der nördlichsten Einstiegspunkte in die Portes du Soleil. Bereits seit den 60er Jahren sind hier am Crêt Béni einige Aufstiegshilfen für den Skisport in Betrieb. Der Anschluss an die restlichen Pisten des Skigebiets erfolgt dagegen erst zwei Jahrzehnte später. Der neue Sektor La Braitaz verbindet La Chapelle d’Abondance durch zwei neue Seilbahnen mit dem Bereich Torgon auf Schweizer Seite. Eine Pistenverbindung zum Crêt Béni auf der anderen Talseite existiert bis heute nicht, und so ist man beim Wechsel auf das gut ausgebaute Skibus-Netz angewiesen. Dieses verbindet La Chapelle d’Abondance auch mit dem passaufwärts gelegenen und weitaus bekannteren Châtel.
Als einer der ersten Gäste des Tages erreiche ich den geräumigen Parkplatz an der Talstation der Kabinenbahn Panthiaz. Die Station befindet sich etwas ausserhalb des Ortszentrums von La Chapelle d’Abondance und kommt in klassischer Retortenbauweise der 80er Jahre daher. Wie üblich in Frankreich öffnet die Anlage erst um 9 Uhr ihre Pforten, sodass ich noch ausreichend Zeit für den Kauf eines Tickets habe. Gänzlich ungewöhnlich für meine Verhältnisse löse ich eine Karte für zwei aufeinanderfolgende Tage. Doch wenn ich nun einmal hier bin, möchte ich auch einen möglichst grossen Bereich der Portes du Soleil abgrasen. Und genügend Auswahl für zwei ganze Tage bietet das Skigebiet mit seinen 580 Pistenkilometern definitiv.
Der Sektor La Braitaz – oder das, was davon übrig ist
Standesgemäss klapprig geht es mit der Poma-Kabinenbahn in die Höhe. Rost ist hier allgegenwärtig, aber wer so dröhnt und scheppert, der lebt noch. Die Anlage ist ein reiner Zubringer in den nördlichen Teil der Portes du Soleil und besitzt keine eigene Abfahrt. Wenig erstaunlich, denn an einem Südhang in dieser Höhenlage dürfte trotz des Niederschlagsreichtums in diesem Bereich nur selten genügend Schnee liegen.
Entsprechend begrüsst mich an der Bergstation auch als erstes eine Schneekanone. Als einzige im Bereich der Abfahrten oberhalb der Kabinenbahn ist sie in Betrieb und sprüht ihr Endprodukt genau in Richtung des Ausgangs aus dem Gebäude der Kabinenbahn. Ein kleiner Willkommensgruss der anderen Art. Vielleicht soll die Kanone aber auch nur davon ablenken, was sich hinter ihr befindet. Eine stillgelegte Sesselbahn von Montaz Mautino, die hier bis zum letzten Winter einige Pisten für Wiederholungsfahrten am Tromby erschliesst. Auch wenn die Anlage nicht allzu lang ist, wertet sie den Sektor bedeutend auf. Umso trauriger ist die vermutlich dauerhafte Stilllegung. Die Talstation ist bereits verschwunden, die Rollenbatterien hängen mit künstlerischer Freiheit windschief in der Gegend herum.
Die einzige verbliebene Aufstiegshilfe ist daher die Sesselbahn La Braitaz, die rund 400 Meter Höhendifferenz bis zur Schweizer Grenze überwindet. Überwiegend verläuft sie in schattiger Lage im Wald. Das macht die Fahrt bei den eisigen Temperaturen an diesem Morgen zu einer echten Geduldsprobe. Aber die fix geklemmte Poma-Vierersesselbahn gehört eben zu Frankreich wie der Eiffelturm oder das Baguette.
Über die Grenze nach Torgon
Oben angekommen überquere ich zum ersten Mal an diesem Tag die Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz. Die wärmenden Sonnenstrahlen sind daher leider nur von kurzer Dauer, denn auf der Rückseite des Berggrats erwarten mich wieder schattige Verhältnisse. Ich bin der einzige Skifahrer, der zu dieser frühen Stunde den Weg nach Torgon antritt. Die wenigen anderen Wintersportler scheinen sich vorerst auf den Hängen auf französischer Seite zu vergnügen.
Damit scheint dieser kalte Februarmorgen keine Ausnahme zu sein, denn der Sektor Torgon zählt ganz allgemein zu den wenigster frequentierten Bereichen der Portes du Soleil. Das macht sich zum einen an der erfreulich alten Liftinfrastruktur bemerkbar. Die Hauptverbindung nach Frankreich erfolgt noch immer per Schlepplift. Und auch in Richtung Châtel und Morgins ist der Schlepplift das Mittel der Wahl. Abgesehen von der 1995 eröffneten Sesselbahn zum Tête du Tronchey ist in Torgon keine weitere Anlage dieses Typs in Betrieb.
Das ist nicht immer so, denn zwei fix geklemmte Exemplare binden bis vor wenigen Jahren auch den Gipfel La Jorette und die Retortensiedlung Les Fignards an. Dieser Bereich, der den Auftakt zur Erschliessung des Sektors Torgon in den 60er Jahren macht, ist während Jahrzehnten ein fester Bestandteil der Portes du Soleil. Anfänglich mit steilen Poma-Schleppliften, ab Mitte der 80er Jahre dann mit den erwähnten Sesselbahnen. Weil deren Betriebsbewilligung aber 2015 ausläuft und kein Geld für die notwendigen Sanierungsarbeiten übrig ist, stehen die Überreste seither in der Landschaft herum.
So wirklich zu vermissen scheint die beiden Anlagen aber niemand so wirklich. Heute geht es per Skibus von Les Fignards zum Plan du Croix, dem Einstiegspunkt des Sektors Torgon. Neben der ersten Schleppliftsektion Richtung Frankreich geht es von hier mit der erwähnten Sesselbahn zum Tête du Tronchey. Der erste seilbahntechnische Höhepunkt des Tages wartet.
Von Roll Quattro am Tête du Tronchey
Schon der Blick auf die Strecke ist verheissungsvoll. Steile 552 Höhenmeter geht es vom Plan du Croix hinauf bis zur Bergstation in 1896 Metern über dem Meer. Die Aussicht ist dagegen bei der Bergfahrt nicht allzu spektakulär. Die Anlage führt durch ein langgezogenes, enges Tal, das sich im Hochwinter als echtes Schattenloch entpuppt. Ein Glück, dass die Anlage bei solch kalten Temperaturen dank hoher Streckengeschwindigkeit die Fahrzeit geringhalten kann.
Möglich macht das ein System, das es in dieser Form nur zwei Mal auf der Welt gibt. Mitte der 1990er Jahre ist das Quattro-System der letzte Geniestreich des traditionsreichen Schweizer Seilbahnherstellers Von Roll. Seinerzeit setzen alle grossen Konstrukteure immer mehr auf standardisierte Bauteile bei kuppelbaren Anlagen. Diese lassen die Stationen immer kompakter ausfallen und senken gleichzeitig die Baukosten. Poma macht schon Mitte der 1980er Jahre mit seinem Alpha-System den Auftakt, die anderen ziehen kurz darauf nach.
Von Roll treibt das Prinzip auf die Spitze. Das Ziel des Quattro-Systems ist es, kuppelbare Vierersesselbahnen so einfach und kompakt wie irgend möglich zu konstruieren. Angelehnt ist das System an die Baureihe VH400 light, einer kuppelbaren Variante für Zweiersesselbahnen. Von Roll lässt daher beim Quattro-System alles weg, was irgendwie entbehrlich ist. Die Stützen werden zur einfacheren Montage mit dem Helikopter lotrecht auf den Fundamenten platziert, die Stationen besitzen jeweils nur einen einzigen Steher. Die Kuppeltechnik ist dank Röhrendesign ebenfalls auf ein Minimum reduziert. Selbst auf eine konventionelle Abspannung des Förderseils verzichtet Von Roll. Stattdessen können sowohl Tal- als auch Bergstation als komplette Einheit verschoben werden.
Avantgardistische Technik der 90er Jahre
All das soll es auch kleineren Skigebieten mit begrenzten finanziellen Mitteln erlauben, in die Welt der kuppelbaren Anlagen einzusteigen. Nach dem Erstlingswerk 1994 in Airolo schlägt im Jahr darauf auch Torgon als Ersatz für eine fix geklemmte Sesselbahn von Baco zu. Weil Von Roll kurz darauf die Seilbahnsparte an Doppelmayr verkauft, verschwindet das Quattro-System so schnell wieder, wie es gekommen ist. Doch in Torgon lässt sich diese avantgardistische Technik auch fast drei Jahrzehnte später immer noch bestaunen.
Übrigens nicht mehr ganz im Original, denn anfänglich besitzt die Anlage unterhalb des Steilhangs eine einseitige Zwischenstation auf der bergfahrenden Seite. Nur vier Jahre nach dem Bau wird diese von einer Lawine beschädigt. Weil Torgon sich den Wiederaufbau nicht leisten kann, baut man die Überreste in der Folge ab. Einzig die fehlenden Stützennummern 9-11 zeugen heute noch von der einstigen Existenz der Station.
Per Schlepplift in Richtung Morgins
Ursprünglich ist die Sesselbahn Tête du Tronchey eine reine Beschäftigungsanlage. Das ändert sich drei Jahre nach dem Bau der ersten Generation im Jahr 1978, als die Firma Baco mit dem Bau von insgesamt vier Schleppliften beauftragt wird. Schon zu diesem Zeitpunkt ist im benachbarten Châtel auf französischer Seite ein kleines Skigebiet rund um den markanten Morclan-Gipfel in Betrieb. Auch Morgins am gleichnamigen Passübergang zwischen der Schweiz und Frankreich ist an das Areal angebunden. Mit den neuen Liften schliesst sich Torgon dem Gebiet an.
Drei von ihnen erstrecken sich über eine Hochebene unterhalb des Tour de Don. Der namensgleiche oberste Lift ist eher kurzer und flacher Natur und dementsprechend für Wiederholungsfahrten weitgehend uninteressant. Als einzige Verbindung zwischen Torgon und Morgins kommt ihm aber eine besondere Bedeutung zu. Genau wie seinem baugleichen Pendant Chaux Longe, der die Verbindung in die andere Richtung sicherstellt. Der Schlepplift Tour de Don überquert übrigens auf dem Weg zur Bergstation erneut die Grenze von Frankreich zur Schweiz. Nach einem kurzen Gastspiel in Frankreich während der Abfahrt vom Tête du Tronchey ist das für mich bereits der dritte Grenzübertritt für heute.
Die Abfahrt Richtung Morgins entlang des deutlich steileren Schlepplifts Porte d’Onnaz ist daraufhin ein echter Genuss. Langsam, aber sicher weicht der Voralpencharakter der Landschaft einem schrofferen Relief. Und auch das Panorama ins Rhônetal und weiter bis zum Genfer See kann sich sehen lassen.
Der erste transnationale Teil der Portes du Soleil
Am tiefsten Punkt angelangt bieten sich zwei Möglichkeiten für die Weiterfahrt. Der vierte Schlepplift aus der Baco-Reihe führt in Richtung Super-Châtel und damit nach Frankreich. Seit dem Jahr 2004 existiert aber auch eine Direktverbindung in Richtung Morgins. Mit diesem flachen Poma-Stangenschlepplift geht es in der Folge hinauf nach Pré la Vieille.
An der Bergstation treffe ich mit den Schleppliften Chalet Neuf auf die Hauptanlagen in diesem Bereich. Inmitten lichter Nadelwälder führen die beiden parallelen Poma-Stangenschlepplifte eher sanft den Berg hinauf. Von den schroffen Gipfeln des Wallis ist diese Szenerie nach wie vor weit entfernt. Insbesondere auch, weil die markanten Dents du Midi hinter Champéry von hier aus nicht zu sehen sind. Dafür ist plötzlich ein erstaunlicher Andrang. Ein echter Kontrast zu den vorherigen Fahrten und so ist es gut, dass sich beide Anlagen die Arbeit teilen.
Das ist längst nicht immer so, denn ab den 60er Jahren wird dieser Sektor zunächst von einem einzelnen Bügelschlepplift bedient. Damals ist die Anbindung an Torgon noch Zukunftsmusik, durch den ersten Schlepplift Chalet Neuf wachsen bald darauf aber die bis dato eigenständigen Bereiche Super-Châtel und Bec du Corbeau oberhalb von Morgins zusammen. Es ist einer der ersten grenzüberschreitenden Teile der späteren Portes du Soleil. Von Morgins geht es mit zwei Sektionen Einersesselbahn bis auf den Gipfel des Bec du Corbeau, von Châtel aus führen ebenfalls zwei Sektionen bis auf den Morclan-Gipfel. Dazwischen ermöglichen Bügelschlepplifte einen Wechsel zwischen den beiden Talorten.
Talfahrt nach Morgins
Bügel findet man hier allerdings schon seit den 80er Jahren nicht mehr. Anders als in den restlichen Schweizer Teilgebieten kann sich zwischen Morgins und Châtel der Poma-Stangenschlepplift durchsetzen. Nicht nur am Chalet Neuf, auch auf der anderen Seite des Berggrats führen zwei parallele Stangenschlepplifte von Sépaz nach Culet. Ein fünfter bedient schliesslich einen kurzen Hang an der Bergstation der Zubringersesselbahn von Morgins nach Les Têtes. Auch sie stammt wenig überraschend aus dem Hause Poma.
Mit ebendieser Sesselbahn schwebe ich schon kurze Zeit später nach Morgins hinab. Die Talabfahrt ist offiziell geschlossen, auch wenn die Schneelage eigentlich ausreichend erscheint. Da ich die Piste aber nicht kenne und angesichts der fortgeschrittenen Zeit keine Ausflüge in die Botanik riskieren will, nehme ich schweren Herzens die Sesselbahn. Immerhin stehen auf der anderen Seite von Morgins noch zahlreiche weitere hoffentlich interessantere Abfahrten auf dem Programm.
Auch heute noch ist es in Morgins nicht möglich, zwischen den beiden Talseiten zu wechseln, ohne die Ski zu schultern. Eine Verbindungsanlage liesse sich zwischen den ganzen Chaletbauten vermutlich nur schwer realisieren. Zumindest in Richtung Foilleuse geht es dank der leicht abschüssigen und schneebedeckten Strassen aber schnell voran. Nur zum Überqueren der Passstrasse muss ich die Ski kurz abschnallen.
Letzte Fahrt mit dem Städeli-Klassiker an der Foilleuse
Und dann steht sie auch schon vor mir, die Talstation der Sesselbahn von Morgins zur Foilleuse. Bereits im vergangenen Sommer habe ich der ältesten kuppelbaren Sesselbahn der Schweiz einen ausführlichen Besuch abgestattet. Dass es im Winter mit einem erneuten Besuch klappen würde, ist seinerzeit nicht klar und angesichts des geplanten Ersatzes am Ende der Wintersaison 2023 gehe ich daher auf Nummer sicher. Doch auch weil es heute noch so viel anderes zu entdecken gibt, bin ich froh, dass ich alle Film- und Fotoaufnahmen schon im Kasten habe. So kann ich gleich durchs Drehkreuz hindurch und ein letztes Mal auf den blauen Städeli-Latten in die Höhe schweben.
Oben angekommen erwartet mich ein erneut völlig konträres Bild. Himmel und Menschen tummeln sich auf der Foilleuse und ihrem angrenzenden Übungsbereich. Auch die Nadelbäume sind einer weitläufigen Landschaft gewichen, am Horizont grüssen die immer majestätischer erscheinenden Dents du Midi.
Von nun an lautet das Motto, einen Lift nach dem anderen abzugrasen. Zwischen Morgins und dem am Fusse der Dents du Midi gelegenen Champéry erstreckt sich der grösste Teil der Schweizer Seite der Portes du Soleil. Dazwischen liegen mit Champoussin und Les Crosets zwei Retortensiedlungen, die zwischen den 60er und 70er Jahren Gestalt annehmen. Und auch wenn sich mittlerweile doch einige modernere Aufstiegshilfen an den Hängen finden, ist noch viel Ursprünglichkeit in diesem Bereich anzutreffen.
Über Champoussin nach Les Crosets
Anders als noch bei meinem letzten Besuch sind die Abfahrten auf dem Weg in Richtung Champoussin mittlerweile mehrheitlich mit einer Beschneiungsanlage ausgerüstet. Eine Überlebensversicherung in schneearmen Wintern wie diesem, denn vor allem an der langsamen Poma-Sesselbahn La Chaux wäre andernfalls kein Skibetrieb möglich.
Mit der modernsten Anlage, der Sechsersesselbahn Bochasses, erreiche ich mit dem Schlepplift Derrière Pertuis die vielleicht optisch schönste Aufstiegshilfe des Tages. Wunderbar posieren die Städeli-Fachwerkstützen vor den allgegenwärtigen Dents du Midi. Auch wenn der Lift eigentlich nicht für meine Weiterreise nach Les Crosets auf dem Programm steht, lege ich hier eine Wiederholungsfahrt ein. Denn auch die zugehörige Abfahrt kann sich sehen lassen.
Der weitere Weg quer durch Champoussin führt mich daraufhin zu zwei weiteren Schleppliften, bevor mit der Sesselbahn Aiguille des Champeys das erste echte Gipfelerlebnis des Tages auf dem Programm steht. Die fix geklemmte Vierersesselbahn von Garaventa entsteht Ende der 80er Jahre als Neuerschliessung in diesem Bereich und bedient einige anspruchsvolle Pisten. Von der Bergstation bietet sich aber auch ein fabelhaftes Panorama. Ein ungewohnter Anblick an diesem Tag. Da kann der nördliche Teil rund um Torgon nicht mithalten.
Ausblicke von der Pointe de l’Eau auf die Portes du Soleil
Gleich noch eine Nummer besser präsentiert sich die Fernsicht nach der anschliessenden Fahrt auf die Pointe de l’Eau. Der 2152 Meter hohe Gipfel ist nach der Pointe des Mossettes der zweithöchste im Schweizer Teil der Portes du Soleil. Seit den 70er Jahren ist die Erhebung ein wichtiger Kulminationspunkt, führt der Weg von Champoussin nach Les Crosets und zurück doch einzig über diesen Berg. Drei Jahrzehnte lang zumindest. Weil die ursprünglichen Sesselbahnen um 2008 herum mangels Betriebsbewilligung stillgelegt werden müssen, entsteht ein Verbindungs-Provisorium mit kurzen Schleppliften auf halber Höhe des Hangs. Ab 2013 ist die Pointe de l’Eau wenigstens von Champoussin kommend wieder mit einer Sesselbahn erreichbar. Wieder einmal ein zeitraubender fix geklemmter Vierer, aber immerhin. In die andere Richtung geht’s nach wie vor mehr schlecht als recht.
Mit Les Crosets erreiche ich daraufhin einen der Ursprünge der Portes du Soleil. Schon in den 50er Jahren entstehen hier die ersten Schlepplifte, ab Ende der 60er Jahre ist der Bereich gemeinsam mit Champéry über den Pas de Chavanette auch mit Avoriaz verbunden. Der vielleicht bekannteste und eindrücklichste Teil der Portes du Soleil. Doch das hebe ich mir nicht zuletzt wegen der fortgeschrittenen Tageszeit für den zweiten Tag auf.
Inzwischen ist es nach halb zwei und mein Magen macht langsam auf sich aufmerksam. Mittagspausen und Kilometerfressen in Grossskigebieten vertragen sich nur bedingt, sodass ich mich auf die Suche nach einer möglichst schnellen Verpflegungsgelegenheit mache. Da kommt es mir gerade Recht, dass ich neben der Talstation der Sesselbahn Grande Conche ein Schild entdecke, das für die „restauration la plus rapide des Portes du Soleil“ wirbt. Das hört sich gut an. Und die Hütte hält tatsächlich, was sie verspricht. Nach nicht einmal 20 Minuten klacken schon wieder die Bindungen und ich schwebe hinauf in Richtung Grande Conche.
Über den Col des Portes du Soleil und die Tovassière zurück nach Morgins
Die kuppelbare Sechsersesselbahn von Garaventa nutze ich für eine Wiederholungsfahrt. Insgeheim trauere ich der ultrakultigen alten Zweiersesselbahn nach, die diesen Hang zuvor erschliesst. Aber auch die neue Anlage hat trotz fehlender technischer Besonderheiten ihren Reiz. Speziell den letzten, steilen Abschnitt vor der Bergstation mit vollem Tempo hochzudonnern, macht Spass.
Das hohe Tempo ist aber auch dringend notwendig, denn die Zeit drängt. Nur noch rund zweieinhalb Stunden bleiben, um wieder zurück nach La Chapelle d’Abondance zu gelangen. Zweieinhalb Stunden, und das Ziel liegt Luftlinie noch 14 Kilometer entfernt. So geht es mit einer weiteren Sesselbahn von Garaventa auf die Pointe des Mossettes. Mit einer Höhe von 2277 Metern über dem Meer stellt sie die höchste Erhebung der gesamten Portes du Soleil dar. Und auch der namensgebende Col des Portes du Soleil liegt nur wenige hundert Meter entfernt. Ein letztes Mal geht der Blick in Richtung Dents du Midi, dann biege an besagtem Pass auf die Tovassière-Abfahrt ein.
Die Piste ist mir noch gut von meinem Besuch 2008 in Erinnerung. Landschaftlich reizvoll führt sie durch ein völlig abgelegenes Seitental hinab bis nach Morgins. Auf der Rückseite des Berggrats im Osten liegen die zahlreichen Seilbahnen und Pisten zwischen der Foilleuse und Les Crosets, hinter den hohen Gipfeln im Westen liegt der Sektor Châtel. Dazwischen sucht man vergeblich nach Tourismusinfrastruktur. Ein seltenes Phänomen, und doch besitzt die Abfahrt gewisse Defizite. Genau genommen handelt es sich nämlich auf weiten Strecken um einen leicht abschüssigen Forstweg. Das Gefälle ist exakt so bemessen, dass der Wintersportler weder anschieben noch bremsen muss. Eine Viertelstunde lang stehe ich daher einfach nur gerade auf den Ski und lasse die Landschaft an mir vorbeiziehen. Ein surreales Erlebnis.
Auf Umwegen zurück in Richtung Torgon
In Morgins angelangt kommt die Muskulatur dann aber schnell wieder auf Temperatur. Knappe zehn Minuten dauert der Fussmarsch zurück zur Sesselbahn Les Têtes, die mich wieder in die Höhe bringt. Nicht ganz so weit wie ihre Vorgänger, denn der Gipfel des Bec du Corbeau ist seit Jahrzehnten nicht mehr erschlossen. Der einzige echte Aussichtsgipfel in diesem Bereich gehört damit der Vergangenheit an.
Ein wenig Panorama gönne ich mir dann aber doch noch, und so mache ich mich auf den Weg in Richtung Morclan. Der Weg zurück nach Torgon verläuft seit jeher exklusiv über die französische Seite. So statte ich den unzähligen Übungsliften im Bereich Super-Châtel einen kurzen Besuch ab, bevor ich mit einer recht modernen Poma-Sesselbahn auf den 1970 Meter hohen Gipfel schwebe. Dort fällt mir auf, dass ich dem Schlepplift Chermillon eigentlich auch noch fahren wollte. Also lege ich noch eine Wiederholungsfahrt ein, wenngleich ich zeitlich mittlerweile wirklich am Limit unterwegs bin.
Ohne weitere Fotostopps geht es nach der zweiten Runde am Morclan in Richtung Tour de Don. Drei Mal Schlepplift via Porte d’Onnaz, Chaux Longe und Contrebandiers, dann ist auch der Tête du Tronchey wieder erreicht. Aber wo ist jetzt die Abfahrt nach Torgon? Der Blick auf den Pistenplan verrät, dass sie gar nicht hier startet, sondern an der Bergstation des Schlepplifts Contrebandiers. Das schaffe ich aber nicht mehr, den nochmal zu fahren. Was nun? Dann eben schnell mit der Sesselbahn ins Tal fahren. Dank nach wie vor flotter Fahrgeschwindigkeit stehe ich kurz darauf wieder am Plan du Croix.
Tagesabschluss in La Chapelle-d‘Abondance
Jetzt sind es nur noch die beiden Schlepplifte im Bereich Djeu des Têtes. Der Betrieb läuft hier glücklicherweise bis 16.30 Uhr, sodass ich als vermutlich einer der letzten Fahrgäste des Tages noch einmal anbügle. Der Lift ist ausgesprochen langsam unterwegs. Doch auch die Fahrt mit der rettenden zweiten Sektion sollte sich noch ausgehen.
Die werden mich schon noch hoch lassen. Und tatsächlich, wenige Minuten vor Betriebsschluss erreiche ich den Schlepplift Conches 2000 und damit den Passübergang zurück nach Frankreich. Kurz vor 17 Uhr schwebe ich mit der klapprigen Poma-Kabinenbahn hinab nach La Chapelle-d’Abondance. Geschafft!
Neuer Anlauf in Châtel
Nach einer erneut kalten Nacht auf dem Camper-Stellplatz in La Chapelle-d’Abondance steuere ich am nächsten Morgen den Sektor Châtel-Linga an. Gemeinsam mit Avoriaz und Champéry stehen damit heute drei weitere Bereiche der Portes du Soleil auf der Agenda, die ich grösstenteils noch nicht kenne. Neben den mir unbekannten Abfahrten locken aber auch zahlreiche weitere interessante Seilbahnen. Darunter auch mehrere, die in diesem Winter ihre voraussichtlich letzten Runden drehen.
Und so geht es erneut schattig auf der ersten Fahrt in die Höhe. Ganz bewusst steige ich im hinteren Teil des Châtel-Sektors in das Skigebiet ein, um möglichst schnell in Richtung Avoriaz vorzustossen. Je nachdem wird am Ende des Tages noch die Möglichkeit bestehen, auch dem Linga-Bereich noch einen kurzen Besuch abzustatten. Aber nach den Erfahrungen des Vortags will ich lieber Vorsicht walten lassen.
Von Châtel quer durch die Portes du Soleil
Welch einen Unterschied 24 Stunden machen können. Ganz anders als in La Chapelle d’Abondance und Torgon ist der Sektor Châtel nicht nur bedeutend stärker frequentiert, auch die Aufstiegshilfen sind weitaus moderner. Mit den kuppelbaren Sechsersesselbahnen Pierre Longue und Rochassons geht es hinauf, mit Pré la Joux und Chaux des Rosées finden sich zwei weitere Anlagen dieses Typs in unmittelbarer Nähe.
Anders als in vielen anderen Grossskigebieten verteilt sich die hohe Förderleistung hier aber auf unzählige verschiedene Pisten. Deutlich anspruchsvoller geht es in diesem Bereich zu und her. Und auch die Länge und Höhendifferenz der Abfahrten kann sich sehen lassen. Landschaftlich ist der Talkessel Plaine Dranse ohnehin sehenswert.
Selbigen verlasse ich aber daraufhin trotzdem auf direktem Weg, indem ich unter der Sesselbahn Chaux Fleurie den Weg nach Les Lindarets einschlage. Dieser Taleinschnitt stellt mit der Zubringerbahn Ardent einen weiteren Einstiegspunkt in die Portes du Soleil dar, ist aber vor allem ein Durchgang zwischen Châtel und Avoriaz. Auf das Hochplateau, auf dem sich die bekannte Retortenstation befindet, führen aus diesem Kessel gleich drei verschiedene Sesselbahnen.
Für mich geht es aber erst einmal auf einen Gipfel, den ich am Vortag bereits besucht habe. Die Pointe des Mossettes ist als höchste Erhebung der Portes du Soleil seit Anfang der 90er Jahre auch von französischer Seite aus erreichbar. Der Gipfel liegt allerdings vollständig auf Schweizer Territorium. Und so überquere ich die Grenze mit der langen und spektakulären Poma-Klappersesselbahn Mossettes ein erstes Mal für heute.
Über Les Crosets nach Champéry
Von hier oben bietet sich erneut ein fabelhaftes Panorama. Eine knackige und noch weitgehend jungfräuliche Abfahrt führt mich zu einem kurzen Abstecher in den Sektor Cuboré. Ein weiteres Mal steht dann der Weg nach Les Crosets bevor. Diesmal geht es aber nicht wie am Vortag auf die Pointe des Mossettes, sondern mit der leistungsstärksten Seilbahn auf Schweizer Seite der Portes du Soleil in Richtung Champéry. Diese Achtersesselbahn von Garaventa ist zum Zeitpunkt ihrer Eröffnung 2008 erst die zweite ihrer Art in der Schweiz. Bei meinem letzten Besuch erlebe ich noch die beiden Vorgänger, einen fix geklemmten Vierer und einen parallel verlaufenden Schlepplift.
An dem Paradehang von Les Crosets gibt die heutige Anlage eine gute Figur ab. Umso erstaunlicher, dass auf der Rückseite ausgerechnet der letzte kuppelbare Poma-Stangeschlepplift in diesem Sektor überlebt hat. Der Schlepplift L’Échereuse bedient einen weit weniger frequentierten Hang und ist eine reine Beschäftigungsanlage. Schade, dass er wegen eines technischen Defekts ausser Betrieb ist, denn ich wäre ihn mit seiner idyllischen Lage gerne einmal gefahren.
So geht es stattdessen direkt weiter zu einem regelrechten Monstrum von Schlepplift. Am Gegenhang bedient der Doppelschlepplift Col de Ripaille die Paradehänge von Champéry. Auch an dieser Stelle steht einst ein Poma-Stangenschlepplift, er weicht für mehr Förderleistung in den 80ern aber diesem eindrücklichen Exemplar von Baco. Mehrere schön coupierte Pisten mit natürlichem Geländeverlauf links und rechts der Lifttrasse machen die Entscheidung an der Bergstation nicht leichter. Doch erst einmal steht eine andere Piste auf der Agenda.
Die kurioseste Talabfahrt der Portes du Soleil?
Bereits die Tovassière-Abfahrt nach Morgins am Vortag ist ein heisser Anwärter auf den Titel der kuriosesten Talabfahrt des Skigebiets. Doch ihre Schwester in Champéry ist in weiten Teilen noch etwas spezieller. Nicht nur, dass die Landschaft im Angesicht der Dents du Midi spektakulärer ist, die Piste ist über weite Strecken auch abwechslungsreicher trassiert. Gemein mit der Tovassière ist ihr aber ihre abgeschiedene Lage in einem völlig unberührten Hochtal.
Mindestens ebenso kurios ist die Tatsache, dass die Abfahrt die einzige präparierte hinab nach Champéry ist. Der südlichste Einstiegspunkt auf Schweizer Seite der Portes du Soleil besitzt mit der Luftseilbahn zum Croix de Culet und der Sesselbahn Grand Paradis zwei Zubringer, die aber fast genauso häufig auch zur Talfahrt genutzt werden. Denn neben der nur über den Col de Ripaille erreichbaren Talabfahrt existiert nur eine unpräparierte, steile Skiroute nach Champéry.
Von Champéry zum Croix de Culet
Ähnlich wie die Tovassière-Piste mündet auch die Talabfahrt nach Champéry letztlich auf einen Forstweg. Die Talstation der Sesselbahn Grand Paradis kommt jedoch schnell in Sicht, und in Windeseile geht es auch schon wieder hinauf ins Skigebiet. 2004 entsteht diese Sesselbahn, die mit ihren Hauben in den Portes du Soleil echten Seltenheitswert besitzt. Als Zubringer in moderater Höhenlage erfüllt der Wetterschutz bei Niederschlag aber sicher seinen Zweck. Anderswo hätte man vermutlich eine Kabinenbahn gebaut. Umso erfreulicher, dass man sich das Abschnallen der Ski hier sparen kann.
Stichwort Kabinenbahn, eine solche findet man in Champéry ab den 60er Jahren aber auch. Ein gar ungewöhnliches Exemplar nach dem System Carlevaro mit den kultigen bunten Eiergondeln für zwei je Personen. Diese Anlage entsteht seinerzeit als Entlastung für die Direktverbindung per Pendelbahn nach Planachaux. Diese wiederum nimmt noch in den 30er Jahren den Betrieb auf und zählt damit zu den ersten grossen touristischen Luftseilbahnen der Schweiz.
Heute erinnert kaum noch etwas an diese glorreiche Epoche. Einzig die markante Zwischenstation der ehemaligen Eiergondelbahn ist von der Sesselbahn Grand Paradis aus gut zu sehen. An gleicher Stelle besitzt auch die heutige Sesselbahn eine Winkelstation, allerdings ohne Aus- und Zustiegsmöglichkeit. Wenige hundert Meter weiter oberhalb wartet nämlich schon die Bergstation.
Von dort ist es auch nur ein Katzensprung zur nächsten Sektion. Ebenfalls im Jahr 2004 entsteht hier eine weitere Sechsersesselbahn von Garaventa, allerdings standesgemäss für den frankophonen Raum ohne Wetterschutzhauben. Die Anlage bedient heute als einzige diesen beliebten Hang, der zeitweise von bis zu fünf Aufstiegshilfen gleichzeitig erschlossen ist. Doch die Schleppliftnostalgie gehört hier schon lange der Vergangenheit an.
Willkommene Ausreisser in einer geradlinigen Seilbahnlandschaft
Ein kurzer Abstecher über die Terrasse des Bergrestaurants Croix de Culet führt mich zur zweiten Zubringer-Seilbahn von Champéry. Anders als die Pendelbahn aus den 30er Jahren führt die heutige Luftseilbahn nicht nur bis nach Planachaux, sondern direkt hinauf bis in 1945 Meter über dem Meer. Mit fast 900 Metern Höhendifferenz ist es eine beeindruckende Anlage, die Garaventa 1987 hier dem Betrieb übergeben kann.
Und auch wenn der Sektor Champéry damit in Sachen Infrastruktur recht geradlinig daherkommt, gibt es noch immer einen willkommenen Ausreisser. In einer kleinen, abgelegenen Geländekammer unterhalb des Croix de Culet dreht der Schlepplift Marcheuson seine Runden. Die Anlage ist ausgesprochen kurz, wie so oft erweitert die rückseitige und abgeschiedene Lage das Skigebiet aber immens. Denn nicht nur eine, sondern gleich drei Pisten erschliesst der Lift, dazu kommt noch ein kleines Bergrestaurant.
Hier würde ich es durchaus länger aushalten. Aber Grossskigebiete wie die Portes du Soleil haben es nun einmal an sich, dass es töricht wäre, Wiederholungsfahrten einzulegen, wenn es doch noch so viel anderes zu entdecken gibt.
An der Schweizer Wand entlang nach Avoriaz
Daher breche ich unverzüglich in Richtung meines nächsten Tagesziels auf. Mit Avoriaz steht die vielleicht bekannteste Retortenstation der Welt auf dem Programm. Zu Beginn der 60er Jahre stampft eine Gruppe von Investoren hoch oberhalb des schon damals bekannten Talorts Morzine eine neue Stadt aus dem Boden. In einmaliger Lage auf einem Hochplateau in 1800 Metern über dem Meer soll es dem Gast an keinen Annehmlichkeiten fehlen. Spektakulär an einer steil abfallenden Felswand gelegen wachsen innert kürzester Zeit unzählige Appartmentbauten in die Höhe. Unzählige weitere solche Skistationen erobern in den folgenden Jahren die französischen Alpen. Doch Avoriaz bleibt einzigartig.
Um nach Avoriaz zu gelangen, führt mich der Weg aber zunächst noch zu einem weiteren Klassiker der Portes du Soleil. Die Mur Suisse, die Schweizer Wand, ist mit über 90% Gefälle die steilste Abfahrt des gesamten Skigebiets. Unpräpariert, versteht sich, und das trotz ihrer wichtigen Verbindungsfunktion zwischen Avoriaz und Champéry. Nicht wenige ziehen es angesichts der hohen Anforderungen an das Fahrkönnen vor, stattdessen mit der Sesselbahn ins Tal zu schweben.
Da mich der Weg in die entgegengesetzte Richtung führt, bleibt mir gar keine Wahl, als die Sesselbahn zu nehmen. Doch ich tue es gerne, denn auch die Fahrt mit diesem extrem steilen Exemplar ist ein Erlebnis. Da kann ich sogar darüber hinwegsehen, dass es sich mal wieder um einen der ungeliebten fixen Vierer handelt.
Der Auftakt der Portes du Soleil
Oben angekommen überquere ich ein weiteres Mal die Grenze nach Frankreich. Seit dem Jahr 1968 ist das an dieser Stelle im Winter möglich. Damals nimmt nicht nur der Vorgänger der heutigen Sesselbahn auf Schweizer Seite den Betrieb auf, sondern auch ein erster Poma-Stangenschlepplift auf französischer Seite des Pas de Chavanette. Es ist der Auftakt für das heutige Mega-Skigebiet Portes du Soleil.
Eine kurze Mittagsrast lege ich an diesem geschichtsträchtigen Ort ein. Und auch das Restaurant verkörpert das Band zwischen den beiden Ländern perfekt. Bezahlt wird angesichts der Lage in Frankreich zwar in Euro, die Preise stehen jenen in der Schweiz allerdings in nichts nach.
Gestärkt geht es weiter zur Sesselbahn Cuboré. Die Sesselbahn ist zwar aus Pistensicht nicht allzu relevant, aus seilbahntechnischer Sicht aber ein Schmuckstück. Eine alte, klapprige Poma-Sesselbahn ist allein schon eine Fahrt wert, als Tal-Berg-Tal-Anlage kommt sie aber noch ein Stückchen einmaliger daher.
Lac Intrets und die Verkörperung der französischen Skikultur
Nach einer weiteren Fahrt auf den Pas de Chavanette ist es dann aber an der Zeit, Avoriaz einmal mit eigenen Augen zu betrachten. Über eine überaus gut gefüllte Piste geht es zur Talstation einer Sesselbahn, die schon seit Jahren auf meiner Wunschliste steht. Die Anlage zum Lac Intrets ist 1986 die erste kuppelbare Sesselbahn in Avoriaz und noch weitgehend original aus jener Zeit erhalten. Eines der letzten noch existenten Exemplare des wegweisenden Alpha-Baukastensystems von Poma, das die Seilbahnwelt in den 80er Jahren revolutioniert. Es ist die letzte Saison dieses Dinosauriers unter den Sesselbahnen, der im kommenden Sommer einem neuen Exemplar mit sechsplätzigen Fahrzeugen weicht.
Gepaart mit den einmaligen wie gewöhnungsbedürftigen Hochhäusern im Hintergrund verkörpert die Sesselbahn Lac Intrets die französische Skikultur wie keine zweite. Schon die Geräuschkulisse ist überragend, die spektakuläre Trassierung mit unzähligen Niederhaltern tut ihr Übriges. Garniert mit einer Fachwerktalstation des Schlepplifts Arare, der im oberen Teil kurvenreich als redundante Beschäftigungsanlage operiert. Schön, dass ich es gerade noch rechtzeitig hierher geschafft habe, um dieses Erlebnis mitnehmen zu können.
Alles für den Skisport
Man muss das alles nicht mögen, und ja, auch ich finde das Erscheinungsbild von Avoriaz jenseits von Gut und Böse. Andererseits wirkt die künstliche Stadt am Berg so surreal, dass sie eine einmalige Faszination ausübt. Alles für den Skisport, koste es, was es wolle. Und irgendwie ist mir diese Einstellung weitaus sympathischer als der Versuch, die Auswüchse des Massentourismus hinter wuchtigen Holzbalken von Chaletsiedlungen zu verbergen.
Ski-in, ski-out, das ist es, was Avoriaz so speziell macht. Der Ort ist autofrei, der Parkplatz für die Gäste befindet sich in sicherer Entfernung. Zwischen den Häusern sind Ski das probate Fortbewegungsmittel. Und natürlich macht man sich auch schon in den 60ern Gedanken über einen adäquaten Zubringer aus dem Tal. Die Pendelbahn Prodains befördert daraufhin während fast einem halben Jahrhundert sowohl Waren als auch Gäste den Berg hinauf. Heute übernimmt die Aufgabe eine technisch nicht weniger interessante Kabinenbahn vom Typ 3S. Eine Fahrt lasse ich mir daher natürlich nicht entgehen.
Abgerocktes Ambiente in Avoriaz
Selbstverständlich darf aber auch eine Fahrt mit zwei anderen Seilbahnklassikern in Avoriaz nicht fehlen. Wo einzig Skipisten quer durch den Ort verlaufen, muss auch ein Weg wieder bergauf führen. Eine Möglichkeit dafür bietet die Sesselbahn Plateau. Eine knarzende Dreiersesselbahn von Poma, die neben den Hochhäusern am Abgrund vorbei verläuft. Am Ende der Fahrt dröhnen die Ohren. Nicht aufgrund des Surrens der Sessel, sondern dank der Beschallung von der nahegelegenen Folie Douce. Französisches Skierlebnis in Reinkultur.
Weil eine einzige Aufstiegshilfe für den riesigen Ort aber längst nicht ausreichen würde, führt noch eine weitere Sesselbahn durch die Häuserschluchten. Es ist kein Wunder, dass die erste kuppelbare Sechsersesselbahn Europas 1993 ausgerechnet an diesem Ort entsteht. Trotz der Mega-Förderleistung ist sie seit drei Jahrzehnten heillos überlastet und entsprechend abgerockt. Doch das Ambiente passt zum Rest.
Zwei kontrastreiche Episoden Portes du Soleil
So fällt es mir vor lauter Staunen schwer, langsam den Rückweg in Richtung Châtel anzutreten. Wie befürchtet hat die grenzüberschreitende Rallye auch am zweiten Tag mehr Zeit in Anspruch genommen als gedacht. Den Bereich Linga werde ich daher auslassen müssen. Unfreiwillig lege ich noch eine Wiederholungsfahrt an der Sesselbahn Brochaux ein, nachdem ich mich aus Unachtsamkeit verfahren habe. Für eine Bergfahrt mit der letzten für mich notwendigen Sesselbahn Chaux Fleurie reicht es aber noch ohne Probleme, sodass ich mir anders als am Vortag keine Sorgen bezüglich der Rückkehr zum Parkplatz machen muss.
Zwei gleichermassen beeindruckende wie anstrengende Skitage gehen an der Talstation der Sesselbahn Pierre Longue in Châtel zu Ende. Zwei Tage im gleichen Skigebiet, und doch sind die Kontraste zwischen den beiden Episoden Portes du Soleil beachtlich. Da schlägt auf der einen Seite der fast schon gespenstisch leere nördliche Teil zu Buche. Ein Mix aus alten, klapprigen Seilbahnanlagen, gepaart mit einer mittelgebirgsähnlichen Landschaft. Nadelwälder, Lichtungen, sanfte Hügel. Wären da nicht die Dents du Midi im Hintergrund, man könnte das Skigebiet auch in den Vogesen verorten. Auf der anderen Seite der zwar ebenfalls nicht sonderlich hoch gelegene, aber doch wesentlich alpinere Bereich zwischen Morgins, Champéry und Avoriaz. Steile, anspruchsvolle Abfahrten wie die Mur Suisse stehen langen und abgeschiedenen Pisten gegenüber. Hier die Sechsersesselbahn mit industriellen Ausmassen, nur wenige Meter nebenan völlig konträr dazu ein kurzer Schlepplift in einer einsamen Geländekammer.
Einmaliger Facettenreichtum der Portes du Soleil
Ein derartiger Facettenreichtum ist alpenweit vermutlich einmalig. Und das sage ich, wo ich ja noch immer nicht annähernd alle Teilgebiete kenne. Mit Morzine, Les Gets, Saint-Jean-d’Aulps und Abondance ist der Gültigkeitsbereich des Skipasses noch weitaus grösser. Mit Sicherheit werden diese Sektoren die Vielseitigkeit noch deutlich erhöhen. Umso erstaunlicher ist es, dass mir dieser Umstand bei meinem Besuch 2008 nicht so wirklich bewusst geworden ist. Doch vielleicht ist die exklusive Betrachtung eines kleinen Teilbereichs seinerzeit der springende Punkt.
Für sich genommen sind die einzelnen Teilsektoren nämlich tatsächlich nicht allzu aussergewöhnlich. Voralpenskigebiete vom Typ Torgon finden sich reichlich. Retortenstationen à la Avoriaz erst recht. Doch erst die Kombination aus alledem führt einem so wirklich vor Augen, wie abwechslungsreich ein Grossskigebiet auch in moderater Höhenlage sein kann. Selbst wenn in unmittelbarer Nähe andere Non-Plus-Ultra-Skigebiete wie die 4 Vallées, das Val d‘Anniviers oder Zermatt warten. Skifahren lebt eben von weit mehr als dem eigentlichen Sport. Das Ambiente, das Panorama, die Infrastruktur. Die Summe entscheidet über das Gesamterlebnis. Die Portes du Soleil haben ihre zweite Chance definitiv verdient. Und sie haben sie auf eindrückliche Art und Weise genutzt.
Auch interessant ...
Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.