Standseilbahnen haben in der Schweiz eine lange Tradition. Nach den Anfängen dieser schienengebundenen Seilbahnen als innerstädtisches Verkehrsmittel Ende des 19. Jahrhunderts werden sie in der Folge auch immer häufiger zur Bergerschliessung eingesetzt. Dort, wo das Gelände für eine Zahnradbahn nicht geeignet ist, erfreut sich die Standseilbahn als Aufstiegshilfe grosser Beliebtheit. Eine der ersten solchen Anlagen in der Ostschweiz nimmt 1934 im Obertoggenburg den Betrieb auf.
Frühe touristische Aufstiegshilfe im Obertoggenburg
Die Drahtseilbahn Unterwasser-Iltios entsteht in erster Linie als Attraktion für den Sommer- und Wintertourismus. Schon seit vielen Jahrzehnten ist das Obertoggenburg zu dieser Zeit ein beliebtes Ausflugsgebiet für Wanderer, Kurgäste und Wintersportler. Andere Orte laufen der Region um Unterwasser und Wildhaus mit ihren modernen Aufstiegshilfen aber langsam den Rang ab. Es ist daher keine Frage, dass auch in dem Tal nördlich der markanten Churfirsten eine Seilbahn als neue Attraktion unumgänglich wird. Ideen in den 20er Jahren für eine Luftseilbahn von Unterwasser auf den Säntis werden jedoch letztlich nie in die Realität umgesetzt. Wenige Jahre später erblickt dafür die Standseilbahn zur Alp Iltios das Licht der Welt.
Ein Jahr nach der Konzessionserteilung und dem Baubeginn kann die Anlage im Sommer 1934 den Betrieb aufnehmen. Auf einer Länge von ziemlich exakt 1,2 Kilometern überwinden die beiden Wagen eine Höhendifferenz von 428 Metern. Wie üblich bei Standseilbahnen mit zwei Wagen treffen sich diese in der Streckenmitte an einer entsprechend konzipierten Ausweiche. Auch in Unterwasser setzt man auf das bewährte System Abt, bei dem die Räder der Wagen nur auf einer Seite mit einem Spurkranz ausgestattet sind, der in der Begegnungszone die Richtung vorgibt. Auf diese Weise kommt die Ausweiche ohne bewegliche Teile aus. Mit der Konstruktion der Seilbahntechnik wird der Pionier auf diesem Gebiet, das Berner Unternehmen Von Roll, beauftragt. Zwei Wagen mit je 44 Personen Fassungsvermögen sind in der Folge bei einer Streckengeschwindigkeit von maximal 3,2 m/s in Unterwasser im Einsatz. Sieben Minuten nimmt eine Bergfahrt damals in Anspruch, in deren Genuss stündlich maximal 330 Personen kommen.
Nostalgie auf dem Weg zum Chäserrugg
Weil die Standseilbahn schon bald nach ihrer Eröffnung durch weitere Schlepplifte rund um die Bergstation ergänzt wird, kommt sie als einziger Zubringer schnell an ihre Kapazitätsgrenzen. 1963 erhält sie daher neues Rollmaterial, das man gebraucht von der Davoser Parsennbahn erwirbt. Durch den Umbau steigt die Förderleistung auf 620 Personen pro Stunde. Lange sind die Wagen allerdings nicht im Einsatz, denn 1975 erhält die Standseilbahn bereits die dritte Generation, diesmal für je 100 Personen. Die Förderleistung kann damit erneut gesteigert werden und beträgt fortan 850 Personen pro Stunde.
Trotz ihrer zahlreichen Umbauten kommt die Standseilbahn auch heute, fast 90 Jahre nach ihrer Eröffnung, noch immer ausgesprochen nostalgisch daher. Dieser Umstand ist aufgrund ihrer Lage mitten in einem grösseren Skigebiet durchaus bemerkenswert. Auch heute noch ist sie im Sommer wie im Winter ein beliebter Zubringer in das Ski- und Wandergebiet rund um den Chäserrugg. Die Drahtseilbahn von Unterwasser auf den Iltios ist daher unbedingt einen Besuch wert.
Schwebend über weitere drei Kilometer zum Gipfel
Vier Jahrzehnte nach der Standseilbahn nimmt die zweite Sektion bis auf den Gipfel des Chäserrugg den Betrieb auf. Eine typische Luftseilbahn des Berner Seilbahnkonstrukteurs Von Roll, die bis heute weitgehend original erhalten ist und damit zu den echten Klassikern der Schweizer Seilbahnwelt zählt.
Der markante Höhenzug der Churfirsten trennt das Obertoggenburg vom Walensee. Von Süden betrachtet charakterisiert sich die Gipfelkette durch steil abfallende Felswände über 1600 Höhenmeter. Die Nordseite ist zwar teilweise ebenfalls zerklüftet, fällt aber deutlich sanfter ab. Die Hänge unterhalb des Chäserruggs sind daher schon in frühen Jahren bei Skitourengängern beliebt.
Eine standardisierte Pendelbahn für den Chäserrugg
Seilgezogene Aufstiegshilfen finden sich in Unterwasser aber lange Jahre nur in deutlich geringerer Höhenlage. Mit der Luftseilbahn auf den Chäserrugg ändert sich dieser Zustand mit einem Mal komplett. Doch das Erreichen des Gipfels ist kein einfaches Unterfangen. Das Gelände ist von vielen Gefällsbrüchen gezeichnet, das bestehende Skigebiet Luftlinie über drei Kilometer entfernt. Schell wird klar, dass einzig eine grosse Luftseilbahn mit Pendelbetrieb die Strecke bewältigen kann.
Der Konstrukteur Von Roll ist zu Beginn der 70er Jahre mit einer ganzen Reihe von Bauprojekten beschäftigt. Nach den spektakulären Neuerschliessungen des vorangegangenen Jahrzehnts in Zermatt, am Schilthorn, Corvatsch und Titlis hat sich der Seilbahnpionier eine gute Reputation erarbeitet. Bereits früh entwickelt das Unternehmen daraufhin ein in vielen Teilen standardisiertes System für Pendelbahnen mit Kabinen für 80 Personen. Die Vorteile liegen auf der Hand. Dank der vielfach einheitlichen Konstruktionen können Kosten eingespart werden. Mit ihrer Kabinengrösse eignen sich die Anlagen zudem für eine Vielzahl von Standorten.
So erstellt Von Roll in den Jahren 1971 und 1972 in der Schweiz nicht weniger als sechs dieser grossen Pendelbahnen, die sich nach aussen hin auffallend ähneln. Die erste Anlage in Sörenberg am Brienzer Rothorn entsteht noch in Kooperation mit der Maschinenfabrik Bell Kriens, im selben Jahr nimmt noch eine weitere Bahn in Leukerbad den Betrieb auf. Im Jahr darauf folgen dann die Lenk, die Klewenalp, der Grauberg in Flims und zu guter Letzt die Anlage auf den Chäserrugg.
Herausragende Seilbahntechnik
Die Anlage im Obertoggenburg ist dabei in mancher Hinsicht die vielleicht herausragendste der ganzen Baureihe. Insbesondere in punkto Länge übertrifft sie all ihre Schwestern. 3452 Meter misst die Distanz zwischen Tal- und Bergstation, auf der die Bahn nicht weniger als fünf hohe Fachwerkstützen benötigt. Drei davon in der unteren Streckenhälfte, die beiden oberen in schroffem Relief unterhalb des Gipfels. Auch wenn die Bahn auf ihrer gesamten Strecke nie sonderlich steil verläuft, überwindet sie letztlich dennoch stattliche 916 Höhenmeter. Dass sie es mit diesem beeindruckenden Wert trotzdem nur auf Platz vier der sechs Anlagen schafft, unterstreicht, welch herausragende Luftseilbahnen Von Roll zu jener Zeit konstruiert. Bei der Anlage am Chäserrugg platziert der Hersteller die Antriebsanlage in der Talstation, die Abspannung des Zugseils erfolgt dagegen in der auf 2270 Metern über dem Meer gelegenen Bergstation.
Mit ihrer Länge hat die Chäserrugg-Seilbahn aber auch einen systemimmanenten Nachteil. Weil die beiden Kabinen fast zehn Minuten von einer Station zur anderen unterwegs sind, beträgt die stündliche Förderleistung nur 520 Personen pro Richtung. Auch die flotte maximale Fahrgeschwindigkeit von 10 m/s kann diesen Umstand nur bedingt abfedern. Der Gipfelaufenthalt bleibt daher während vieler Jahre ein recht exklusives Erlebnis. Ab 1981 bietet dann ein zusätzlicher Schlepplift auf dem Gipfelplateau immerhin die Möglichkeit für Wiederholungsfahrten, wenn man es denn einmal mit der Pendelbahn nach oben geschafft hat. 2015 investieren die Betreiber in eine neue Kabinenumlaufbahn, die einen bestehenden Schlepplift auf dem Iltios ersetzt und gleichzeitig bis auf das Plateau unterhalb des Chäserrugg weiterführt. Gemeinsam mit dem bestehenden Gipfellift besteht seither eine zweite Möglichkeit, den Berg per Seilbahn zu erreichen.
Einmalige Aussicht von den Churfirsten auf Walensee und Toggenburg
Im Winter kann die altehrwürdige Pendelbahn damit deutlich entlastet werden. Dass sie etwas von ihrer strategischen Bedeutung eingebüsst hat, ist aber keineswegs ein Nachteil. Im Gegenteil, denn dadurch ist ein Ersatz dieses Seilbahnschmuckstücks erst einmal in weite Ferne gerückt. Im Sommer ist die Bahn dagegen nach wie vor eine wichtige Attraktion, gemeinsam mit der nostalgischen Standseilbahn auf der ersten Sektion.
Speziell mit ihren beiden nach wie vor original erhaltenen Kabinen des Oltener Karosseriebauers CWA strahlt die Chäserruggbahn nach wie vor den Charme der 70er Jahre aus. Eine Zeit, in der kalte Betonbauten in Mode sind und in Sachen Bergerschliessung nahezu alles möglich scheint. Sie verkörpert auch heute noch die Zeit des Skigebietsbooms in den Alpen und ist daher allein schon aus diesem Grund einen Besuch definitiv wert. Aber auch die Aussicht, egal ob aus der Kabine auf das Obertoggenburg oder vom Gipfel auf den Walensee, ist ein guter Grund, Unterwasser und den Chäserrugg anzusteuern.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.